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2.2.1. Stabile, überschaubare Überlieferungsverhältnisse: ‚Klage‘ und ‚Gregorius‘
ОглавлениеAusgesprochen überschaubar ist die Überlieferung der ‚Klage‘, denn sie ist nur in einer einzigen Handschrift, dem sogenannten Ambraser HeldenbuchAmbraser Heldenbuch überliefert. Dabei handelt es sich um eine besonders junge Handschrift vom Beginn des 16. Jahrhunderts. Zwischen Entstehung und einziger Überlieferung liegen somit über drei Jahrhunderte – eine Schwierigkeit, die auch für den ebenfalls nur dort (annähernd) vollständig überlieferten ‚Ereck‘ gilt und am Ende des Kapitels noch ausführlicher zu Sprache kommen wird (→ Kap. 2.2.3.). Auch der ‚Gregorius‘ weist insgesamt eine sehr stabile Überlieferung auf: Der Text ist neben sechs Fragmenten in insgesamt sechs Handschriften überliefert (→ Verzeichnis der Handschriften und Fragmente), die einen weitgehend übereinstimmenden Textbestand aufweisen. Eine Besonderheit ist allerdings erwähnenswert, denn sie ist typisch für die mittelalterliche Handschriftenkultur: In den älteren Handschriften fehlt nämlich der Prolog, diesen beinhalten nur Überlieferungzwei Handschriften aus dem 15. Jahrhundert. Da der ‚Gregorius‘ jedoch bereits Anfang des 13. Jahrhunderts durch Arnold von Lübeck ins Lateinische übersetzt wurdeArnold von Lübeck, ‚Gesta Gregorii Peccatoris‘ und darin aus dem Prolog zitiert wird, scheint dieser nicht erst im Spätmittelalter hinzugekommen zu sein, vielmehr haben die uns erhaltenen frühen Handschriften den Prolog offenbar weggelassen.
Im Falle des ‚Gregorius‘ zeigt sich, dass nicht nur unterschiedliche Fassungen oder Versionen den Umgang der Rezipienten mit einem Text beleuchten können, sondern auch der Überlieferungskontext Überlieferungskontext– diejenigen Texte also, die in der Handschrift mitüberliefert sind. Das ist im Falle des ‚Gregorius‘ besonders für die umstrittene Frage des Status dieses Textes interessant, der ja Genregrenzen überschreitet: Handelt es sich um eine LegendeLegende oder einen höfischen Roman – oder um das ‚Gattungshybrid‘ eines Legendenromans? Derartige Fragestellungen einer neuzeitlichen Philologie evozieren freilich ein Gattungsbewusstsein, das es im Mittelalter so nicht gegeben haben dürfte. Das kann man hier besonders gut erkennen (vgl. Ernst 1996): Der ‚Gregorius‘ ist fast durchweg zusammen mit anderen religiösen Texten überliefert; in der späten Sammelhandschrift E aus dem 15. Jahrhundert steht er hingegen gemeinsam mit anderen Artusepen (u.a. dem ‚Iwein‘). Offenbar haben die mittelalterlichen Rezipienten den ‚Gregorius‘ also in den meisten Fällen in eine Reihe mit anderen Legendendichtungen gesetzt – aber eben nicht alle, denn zumindest eine Handschrift zeigt ja, dass man im Spätmittelalter weniger den legendarischen als vielmehr den höfischen Charakter der Erzählung ins Auge fasste. Das Changieren zwischen den Gattungen, zwischen Legendendichtung und ArtusromanArtusroman, lässt sich folglich bis in den Überlieferungskontext verfolgen, wenngleich die meisten Handschriften das Werk eher in einen legendarischen Zusammenhang stellen.