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1.6 Der ‚Neid der Götter‘ als Angstfaktor

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Göttliche Willkür und Unberechenbarkeit ist ein nicht zu unterschätzender, transkultureller und deshalb in sämtlichen Mythenkreisen immer wieder und in vielfältigen Facetten thematisierter Angstfaktor, so bereits im Alten Orient, wenn die Göttin Innana ihren Geliebten Dumuzi ihrer eigenen Machtgier opfert und den Vertretern des Totenreiches überantwortet, in der altägyptischen Literatur, wenn der auf einer Insel gestrandete ‚Schiffbrüchige‘ sich unversehens mit einer göttlichen Schlange konfrontiert sieht, vor der er in Schrecken erstarrt, zum einen aufgrund ihres furchteinflößenden Auftretens, zum anderen aber auch, weil er nicht einschätzen kann, was der anonyme Schlangengott mit ihm vorhat.

Auch in der griechischen Mythologie findet sich diese Thematik des Öfteren, insbesondere gekoppelt mit zwei weiteren Motiven: dem menschlichen Fehlverhalten (Frevel, Hybris), das Strafe erfordert, doch ebenso auch dem göttlichen Fehlverhalten, getragen von dem Neid der Götter auf menschliches Glück. Letzteres erweist sich für die betroffenen Menschen als äußerst fatal, da sie schuldlos vernichtet werden, und beinhaltet damit einen gravierenden Angstfaktor, der sich am ehesten als Determination durch ein ‚blindes Schicksal‘ beschreiben lässt (die Ödipus-Sage ist das wohl eindrücklichste Beispiel hierfür).

Dieser Faktor konstituiert ein zentrales Thema der griechischen Tragödie, wobei dem gottgesandten Schrecken (Phobos) das menschliche Mitleid (Eleos) als eine Form zwischenmenschlicher Solidarität gegenübergestellt wird, mit dem Ziel, eine Reinigung (Katharsis) herbeizuführen, die wiederum, in letzter Instanz, die menschliche Größe als Befreiung von der Angst vor schicksalhaftem Determinismus demonstriert. Die Gottesfurcht (in dieser Nuance nicht mehr Deimos/Deima, sondern ausschließlich Deos) als Furcht vor den Göttern wird von diesen, wie die zahlreichen mythologischen Erzählungen verdeutlichen, zumeist brutal und gewaltsam durchgesetzt (so z.B. die verheerende Seuche, die das Lager der Griechen überfällt, als Rache des Apollon für die Kränkung seines Priesters in der Ilias, 1, 33ff.), sodass Kulterfüllung und Frömmigkeit in erster Linie Handlungen umfassen, die, geboten von permanent vorhandener latenter Angst, primär der Angstverlagerung bzw. Angstvermeidung dienen: die Reaktion auf göttliches Handeln steht als Schauder, Furcht, Schrecken, oder Scheu demnach ganz im Einflussbereich der Angst, sodass die durch die mythologische ‚Erschaffung‘ der Götter bezweckte Angstbewältigung vielmehr zu einer Angststeigerung aufgrund der permanent vorhandenen latenten Bedrohung durch ebendiese Götter transformiert ist.

Auch innerhalb des Monotheismus wird dieser Angstcharakter beibehalten, sogar durch die Konzentration auf einen einzigen Gott noch verstärkt, wenn im Alten Testament Jahwe als der Gott, der Furcht und Schrecken (wiederum ein Aktionsfeld für Phobos und Deimos?) verbreitet, charakterisiert wird (z.B. Genesis, Propheten) und der Anblick von Jahwes Antlitz, analog zu dem des griechischen Zeus, als furchterregend und tödlich (Deimatios?) beschrieben wird (Jesaja). Die Erscheinung Jahwes lässt den Menschen seiner Sünde bewusst werden und erfüllt ihn mit Schrecken (fürchte dich nicht ist eine stereotype Formel in der Bibel; die Gottesfürchtigen werden als phoboumenoi [griech. φοβούμενοι] bezeichnet) – ähnlich der Konfrontation des altägyptischen ‚Schiffbrüchigen‘ mit dem Schlangengott.

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