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1.9 Angstbewältigung im Christentum
ОглавлениеDie Erlösungsbotschaft des Christentums schließlich stellt die Synthese aus sämtlichen altorientalischen und antiken mythologischen und philosophischen Konzepten der Angstbewältigung dar, indem es die Überwindung der klassischen Heroenmythologie impliziert: Christus agiert zunächst wie der mythologische Heros, indem er aufgrund seiner göttlichen Abstammung für die Überwindung der Angst prädestiniert ist und diese mithilfe seines göttlichen Vaters auch in die Tat umsetzt. Hinzu kommt das aus der orientalischen Mythologie entlehnte Motiv des Opfertodes des Heros (Vorbild ist hier das Opfer Dumuzis), das im Christentum mit dem Motiv der Auferstehung eine neue Komponente erhält. Christus erhebt sich damit über die Stufe des Heroentums hinaus und verspricht nachhaltige Angstbewältigung, da er den Tod selbst, als den größten Angstfaktor der Menschheitsgeschichte, zu besiegen vermochte.
Auch im Christentum spielen jedoch Phobos und Deimos, die Protagonisten der Angst, eine entscheidende Rolle: Christus selbst ist nicht frei von Furcht und findet sich immer wieder in Angstsituationen – allein jedoch, dass er seine Angst thematisieren und über sie reden kann, macht den Unterschied und relativiert ihren Schrecken. Furcht und Schrecken sind im Christentum jedoch nicht mehr nur ausschließlich als negative Mächte, denen der Mensch hilflos ausgeliefert ist, charakterisiert, sondern haben als Manifestation des Staunens (thaumazein) über ein Wunder bzw. eine himmlische Erscheinung oftmals sogar Katalysatorfunktion.
Obgleich das Christentum wohl als die nachhaltigste und weitreichendste Form der Angstbewältigung durch ein religiöses System gelten darf, bedient es sich gleichzeitig selbst wiederum ausgesprochen starker Angstmechanismen, um die Frömmigkeit der Gläubigen stets von Neuem zu aktivieren: apokalyptische Angstvisionen stellen den Glauben diverser Heiliger stets von Neuem auf die Probe und insbesondere die beiden Extreme Himmel und Hölle fungieren als Antipoden der Angst (Böhme 2008, 169). Die hierbei literarisch und bildlich heraufbeschworenen Höllenszenarien greifen antike Unterweltsvorstellungen (hier liegt der primäre Angstfaktor weniger in prospektierten Höllenqualen, sondern vielmehr in der Aussicht auf eine sinnentleerte Existenz als Schatten) auf, kombinieren diese mit spätantiken Dämonologien und transformieren sie entsprechend. Entscheidender Faktor der Angstbewältigung und absolutes Novum im Christentum ist das Prinzip der Hoffnung, das weder die Mythologie noch die antike Philosophie impliziert.