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1.2 Heldenmythen als Vehikel individueller Angstbewältigung

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Die dritte Stufe der mythologisch visualisierten Angstbewältigung konzentrierte sich nun nicht mehr auf das Kollektiv der Menschheit in Auseinandersetzung mit der Götterwelt, sondern auf das Individuum als Katalysator von Angsterfahrung und -überwindung mit implizitem Vorbildcharakter, den Helden oder Heros. Dieser vollbringt außergewöhnliche Taten, indem er die Personifikationen der Angst, zumeist in Gestalt von grauenvollen Erscheinungen (z.B. Dämonen und dämonische Mischwesen, chthonische Monster wie Drachen oder Schlangen, Meeresungeheuer wie Skylla und Charybdis bei Homer), unter Aufbietung übermenschlicher Kräfte und Tapferkeit überwinden, besiegen und in letzter Instanz vernichten, d.h. aus der Welt schaffen – oder aber, wie im Perseusmythos, einer positiveren Bestimmung zuführen kann.

Perseus nämlich, einem Heros der griechischen Mythologie, gelang es mithilfe der Göttin Athene, die Gorgo Medusa als idealtypische Verkörperung des Schreckbildes, bei dessen Anblick jeder versteinern musste, zu erschlagen. Nach vollbrachter Tat überreichte er das abgeschlagene Gorgonenhaupt der Athene, die es seither als mächtiges Apotropaikon auf ihrer Aigis trug (Gorgoneion) und unheilabwendend einsetzte. Der Perseusmythos zeigt sehr deutlich, dass der Heros der griechischen Mythologie ausschließlich in engster Zusammenarbeit mit seiner persönlichen Schutzgottheit zu solch außergewöhnlichen Taten imstande ist, also nicht unbedingt aus eigener Kraft, sondern aufgrund besonderer Qualifikationen, sei es aufgrund von (göttlicher) Abstammung oder besonderer Frömmigkeit, welche ihn für die göttliche Protektion prädestinieren.

Heldenmythen, in deren Zentrum die Überwindung der Angst vor Naturkatastrophen stehen, besetzen in sämtlichen antiken Kulturen einen besonderen Stellenwert, wobei analoge Grundmuster deutlich zu erkennen sind: so erinnert der altorientalische, um den Heros Gilgamesch zentrierte Sintflut-Mythos in vielen Einzelheiten an die alttestamentliche Episode um Noah, gleichermaßen aber auch an den antik-griechischen Deukalionmythos.

Auch der Mythenkreis um den ‚Weltenbrand‘, der in der nordisch-germanischen Sagenwelt in letzter Instanz zu der von Richard Wagner vertonten ‚Götterdämmerung‘ führt, besitzt eine Parallele in dem (ebenfalls mehrfach in Musik gesetzten, so beispielsweise von Jean-Baptiste Lully im 17. Jh.) Mythos um Phaeton, den Sohn des Sonnengottes, der sich in prahlerischer Absicht anmaßt, den Sonnenwagen seines göttlichen Vaters steuern zu können und damit fast den Weltenbrand verursacht – die drohende Gefahr kann nur durch das Eingreifen des Sonnengottes selbst abgewendet werden, Phaeton selbst muss seine Hybris, seine Überhebung über das ihm zustehende Maß hinaus, allerdings mit dem Leben bezahlen. Heldenmythen erfüllen demnach nicht ausschließlich die Funktion einer individuellen Angstbewältigung, sondern implizieren zudem auch einen moralischen Auftrag, nämlich die an das Individuum gerichtete Warnung, trotz der Möglichkeit einer (punktuellen) Angstüberwindung durch persönliches Heldentum den Rahmen der menschlichen Existenz zu respektieren und nicht in Überhebung (Hybris) zu verfallen.

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