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1.7 Angstbewältigung durch Ratio
ОглавлениеWährend sich die verschiedenen Ausprägungen der aus der Mythologie erwachsenen Religionen immer stärker in Richtung einer Angststeigerung statt Angstbewältigung entwickelten, versuchte die griechische Philosophie, parallel zur Affekttransformation in der Tragödie, durch Rationalität (Stoa, Epikur) und sittliche Autarkie (Platon, Aristoteles) neue Wege der Angstbewältigung zu beschreiten, unter Verzicht auf die als Götter personifizierten Angstfaktoren der Mythologie. Hierzu war zunächst eine Neudefinition der zugrundeliegenden Körper- und Gefühlskonzepte notwendig: während in der Mythologie Gefühle stets als körperliche Symptome mit Sitz im Herzen (thymos, als dem ‚mutvollen‘ Organ) oder Zwerchfell (phren, das ‚Bauchgefühl‘) beschrieben werden, konzentrierte sich die antike Philosophie auf die innere Reflexion von Emotionen und deren Regulierung durch Vernunft, Einsicht und (wissenschaftliche) Erkenntnis, um solcherart letztendlich eine Form der Angstbewältigung durch rationale Transformation des Phobos zu erreichen.
Eine Art von Synchronisierung mythologischer Personifikationsstruk-turen und individuellen Gefühlskonzepten begegnet bereits in der antiken Tragödie, wenn das körperinterne Ausbreiten emotionaler Regungen als eine Form des Besitzergreifens, vielleicht sogar der Besessenheit geschildert wird. Den Gefühlen kommt hierbei die aktive Rolle zu, während die Menschen die Besitzergreifung als passive Opfer erdulden müssen – und dies erinnert sehr deutlich an altägyptische Dämonenkonzepte, insbesondere Krankheitsdämonen, die sich über die sieben Öffnungen des Kopfes Zugang zum menschlichen Körper verschaffen, um dort, von innen heraus, quasi als Incubi, von ihm Besitz zu ergreifen, um ihn schließlich zu zerstören. In ähnlicher Weise verlieh der Historiker Thukydides im 5. vorchristlichen Jahrhundert, im Zuge seiner Schilderung der ‚attischen Seuche‘, dem Phänomen der Ansteckung Ausdruck, indem er es als ‚Anfüllen mit dem Krankheitsstoff‘ bezeichnete.
Der enge Zusammenhang zwischen kombinierten Dämonenvorstellungen und Angstkonzepten wird ferner durch die Vielzahl von (Universal-) Amuletten, die ausdrücklich gegen sämtliche Dämonen und Phoboi (πρὸς δαίμονας καὶ φόβους) gerichtet sind, untermauert, wie auch durch die transformierte Rolle des Phobos in den hermetischen und gnostischen Überlieferungen, wo er nicht mehr im Gefolge des Kriegsgottes Ares auftritt, sondern als bösartiges Nachtgespenst in einem Atemzug mit den seuchenbringenden ‚Mittagsdämonen‘ genannt wird, die insbesondere für diverse Fiebersymptomatiken, Malaria und Anfallsleiden verantwortlich gemacht wurden. In diesen Kontext gehören weiterhin die furchteinflößenden ursprünglich altorientalischen Dämonen, wie beispielsweise Lamaschtu, die personifizierte Angst (vgl. Renggli 2001, 30f.), die in der jüdischen Überlieferung als Lilith und in griechischen Quellen als Gyllou oder Abyzou ihr Unwesen treibt: als Manifestation des Bösen schlechthin, versehen mit einem Löwenkopf, Eselsohren, Hundezähnen, Klauen statt Händen und Füßen sowie mit blutgesudelten Brüsten, zeichnet sie verantwortlich für die Vernichtung jeglicher Vegetation und Fruchtbarkeit, für Früh- und Fehlgeburten, plötzlichen Kindstod, Kinderkrankheiten, sämtliche Fieber, Schüttelfrost – kurz, für sämtliche fürchterlichen Schicksalsschläge, mit denen sich die Menschen immer wieder und plötzlich konfrontiert fanden. Nachtgespenster treten oftmals auch als halluzinogene Dämonen, die Alpträume und Schlaflosigkeit auslösen, in Erscheinung, wie beispielsweise der in byzantinischer Zeit von dem Universalgelehrten Michael Psellos (11. Jh. n. Chr.) eingehend analysierte Babutzikarios, der von Psellos allerdings als von überreizter Phantasie herrührendes Augensymptom wegrationalisiert wird.