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(2) Ein Christ, eine Christin stellt ernsthafte politische Fragen und ernsthafte Anfragen an die Politik

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Eine Möglichkeit, an die politische Ethik heranzugehen, ist folgender Zugang: Man kann sich angesichts einer politischen Entscheidung oder einer politischen Maßnahme fragen: Auf welche Frage (auf welches Anliegen) antwortet diese Entscheidung oder diese Maßnahme und welchen moralischen Status hat diese Frage?

Ein Beispiel: Der Innenminister entscheidet, im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen eine Tafel „Ausreisezentrum“ anzubringen. Auf welche Frage antwortet diese Entscheidung und welchen moralischen Status hat diese Frage? Man könnte vorschlagen, dass die der Entscheidung zugrunde liegende Frage lautet: „Wie kann man Menschen dazu bringen, sich nicht willkommen zu fühlen?“

Der moralische Status der Frage hängt dabei auch mit bestimmten Voraussetzungen zusammen, die die Frage ermöglichen. Das ist das Feld der erotetischen Logik. Die erotetische Logik untersucht die Voraussetzungen einer Frage. Wenn etwa eine Frage lautet: „Hat Boris aufgehört, seine Frau zu schlagen?“, so setzt diese Frage voraus: (1) Es gibt einen verheirateten Mann namens Boris, auf den sich eine Frage so beziehen kann, dass klar ist, wer gemeint ist; (2) Boris hat in der Vergangenheit seine Frau geschlagen; (3) Boris hat die Möglichkeit, die Gewalt an seiner Frau zu beenden.

Diese drei Voraussetzungen können jeweils wahr oder falsch sein. Vom Status dieser Voraussetzungen ist der Status der Frage abhängig. Der moralische Status der Frage ergibt sich freilich nicht allein aus wahren Voraussetzungen. Wenn jedoch die Voraussetzungen falsch sind, ist die Frage irregeführt und irreführend. Die Politik ist gut beraten, sich mit wohlbegründeten Fragen zu beschäftigen. Niemand wird vernünftigerweise abstreiten können, dass die Sicherung der Gewährleistung von Pflege bis 2030 jetzt eine wohlbegründete politische Frage ist. Es wird wenig Zeit darauf verwendet, sich über die Formulierung der Frage Gedanken zu machen. Soll die Frage lauten: „Wie kann die Finanzierung der Pflege aus Sicht des Staates und der Staatsfinanzen gesichert werden?“, oder: „Wie kann gewährleistet werden, dass alle Menschen einen menschenwürdigen letzten Lebensabschnitt haben?“, oder: „Wie kann sichergestellt werden, dass sich jeder einzelne Mensch gute Pflege leisten kann?“

Die Nuancierung der Formulierung macht einen Unterschied; es ist sinnvoll und hilfreich, sich vor Antwortversuchen Klarheit über die Frage zu verschaffen, um die es gehen soll. Es ist eine Sache „Themen“ und „Probleme“ zu identifizieren, es ist eine andere Sache, präzise formulierte Fragestellungen zu bearbeiten. Es wird wenig Zeit darauf verwendet, über die zu verhandelnden Fragen Konsens zu erzielen. Ein wichtiger Beitrag zur politischen Kultur könnte gerade darin bestehen, vor dem konflikthaften Pluralismus einer lebendigen Demokratie einen vorgelagerten Konsens über die Fragen zu erzielen. Damit wird gemeinsamer Boden geschaffen, der Konflikte entschärft. Die Art der Frage macht einen Unterschied – die Frage „Wie kann sichergestellt werden, dass für den Straßenverkehr hinreichend Straßen vorhanden sind?“ ist eine andere als die Frage „Wie kann das Verkehrsaufkommen angesichts des begrenzten Straßennetzes reduziert werden?“.

Ich will hier nicht ausdrücken, dass es in der Politik nicht auch um die Kunst der Antwort geht, doch bleibt die Kunst der Frage der ars respondendi vorgelagert. Fragen sind Fenster im Wertgefüge. Die Fahrverbote in Tirol sind sicherlich nicht Antwort auf die Frage: „Wie kann man Autofahrer ärgern?“ Hier sollten politische Maßnahmen vermieden werden, die den Eindruck erwecken, dass die zugrunde liegende Frage lautet: „Wie kann eine Retourkutsche auf Österreichs Klage gegen die geplante deutsche Autobahnmaut aussehen?“

Eine Christin trägt ernsthafte Fragen an die Politik heran, weil ihr die Gemeinschaft am Herzen liegt. Sie stellt „Warum“-Fragen und „Wie“-Fragen. Sie stellt die Frage nach dem „Witz des Politischen“, der aus den politischen Regeln allein nicht abgelesen werden kann. Sie stellt jeweils die tiefere Frage, die sich mit pragmatischer Rationalität, auch wenn mitunter unvermeidlich, nicht abschließend zufriedengibt. Die Christin stellt die Frage nach den Fragen, auf die die Politik antworten muss. Und sie tut das von einem Standpunkt, der Politik als Zweites und Vorletztes ansieht, das einem Ersten und Letzten verpflichtet sein sollte. Das christliche Kriterium für die wohlgeformte Frage ist dabei das bereits angesprochene Gemeinwohl. Wie kann eine Politik des Gemeinwohls aussehen, bei der tatsächlich „no one left behind“ ist? Wie kann eine Politik eines globalen Gemeinwohls gestaltet werden? Ja, die Fragen sind groß – aber auch das Ziel christlichen Glaubens.

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