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Für die Übung von Solidarität gilt:

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(1) Solidarität muss machbar sein. Weltferne Utopien sind wenig hilfreich. Freilich kann man sich ein Paradies vorstellen, in dem man ohne Arbeit in Reichtum lebt. Aktuelle Vorstellungen eines bedingungslosen Grundeinkommens sind Beispiele (Eicker-Wolf 2013). Aber das gehört in eine fiktive Welt, die den Einzelnen von jeder Verantwortung entlastet.

(2) Solidarität muss so geartet sein, dass sie an der Natur der Menschen nicht scheitert. Die Imagination der „neuen Menschen“ knüpft meist an rousseauistische Vorstellungen an: Der Mensch ist an sich gut; er ist durch die Zivilisation (durch den Kapitalismus) verdorben worden; und wenn erst ein neues Ambiente geschaffen ist, wird er wieder gut sein und sich ganz anders verhalten als die derzeit empirisch sich vorfindlichen Menschen. Das sind unbegründete Träume. Wir haben es mit konkreten Menschen – und ihren guten und bösen Eigenschaften – zu tun. Das ist Anthropologie, nicht Sozialpolitik.

(3) Solidarität muss nicht bis zur Selbstaufgabe führen, im Dienste der Beseitigung des Elends auf der ganzen Welt. Freilich ist es moralisch geboten, den eigenen Überschuss zu verwenden, um Menschen in Not zu unterstützen. Das aber lässt sich auf konkrete Fälle herunterbrechen: Darf man sich ein (billiges) Auto kaufen, wenn man mit demselben Geld ein paar Dutzend Menschenleben in Zentralafrika retten könnte? Darf man ein Schnitzel verzehren, wenn man mit demselben Geld einen Menschen vor der Blindheit bewahren könnte? Bei solcher Zuspitzung wäre es geboten, das Leben aller Europäer auf das Existenzminimum zu reduzieren, um eine globale Umschichtung vorzunehmen. Jeder Kinobesuch wäre Sünde. Es gibt aber wohl eine (räumlich) abgestufte Verantwortung, und diese ist mit gängigen Gerechtigkeitsgefühlen verträglich. Das ist auch auf Migrationsprobleme anwendbar. Wenn man die ethische Latte so hoch legt, dass man sie nur durch den eigenen Ruin erreichen kann, ist das weder lebenspraktisch noch ethisch sinnvoll.8

Dennoch gilt auch wieder: Freiheit stabilisiert sich nicht nur durch Institutionen. Sie braucht ein Substrat an Gesinnung, und das bei jedem Einzelnen: Respekt dem Nächsten gegenüber, in seiner Würde, auch wenn er in dieser oder jener Hinsicht – ethnisch, habituell, sexuell – ein wenig „anders“ sein mag (Etzioni 1994; Sen 2002). Ein wohlverstandenes, moralisch akzeptables Selbstinteresse entbindet nicht von jeder Verantwortung. Vielmehr gelten Verpflichtungen: über niemanden einfach drüberfahren in der Berufung auf die „Wahrheit“ (wie alle linken und rechten Dogmatiker), im Dienst einer höheren (allenfalls religiösen) Ordnung oder zugunsten einer besseren Zukunft (unter Opferung der Gegenwartsgeneration).

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