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1. Natürliche oder gesetzliche Gerechtigkeit

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Wenden wir uns zunächst einigen Eckpunkten der Diskussion um die Form der Gerechtigkeit zu. Sie betrifft die Frage, wie sich der Tugendbegriff der Gerechtigkeit zu ihrer positiv-rechtlich institutionalisierten Form verhält. Platon war in seinen früheren Werken bekanntlich noch der Überzeugung, dass die Gerechtigkeit der Seele17 und insbesondere des Politikers wichtiger sei als diejenige des Rechts18. Bezeichnenderweise legte er jedoch in den Nomoi mehr Aufmerksamkeit auf die Gerechtigkeit der Gesetze19. Aristoteles integrierte den Aspekt der Gerechtigkeit als Tugend und den institutionalisierten Aspekt, indem er die Gerechtigkeit im allgemeinen Sinn als gleichbedeutend mit der auf andere Menschen bezogenen Tugend ansah20 und die besondere Gerechtigkeit durch die Institutionen des unter gleichberechtigten Partnern geschlossenen Vertrages (arithmetische Gerechtigkeit) und der Gerechtigkeit innerhalb eines Gemeinwesens zwischen den Regierenden und den Bürgern als distributive Gerechtigkeit verstand21. Durch die Herrschaft des Gesetzes sowie durch seine Allgemeinheit wird auch eine gewisse Gleichheit und damit Gerechtigkeit erzielt22. Im Mittelalter war Thomas von Aquin der Auffassung, dass eine Maßnahme nur dann Recht genannt werden könne, wenn sie Ausdruck der Gerechtigkeit sei. Dieses Verhältnis kehrt Thomas Hobbes um: „Wo keine öffentliche Macht ist, gibt es kein Gesetz, wo kein Gesetz ist, gibt es keine Ungerechtigkeit. “23 Die öffentliche Gewalt als Grundlage der Gerechtigkeit ist wiederum auf den Unterwerfungsvertrag gegründet. Damit gelangen auch die prozeduralen Aspekte starker in den Fokus der Aufmerksamkeit.

Immanuel Kant greift diesen Hobbes’schen Gedanken durchaus auf, verbindet ihn aber mit Locke’schen Theorieelementen. Recht ist für ihn die Ordnung gleicher Freiheitsräume durch ein allgemeines Gesetz der Freiheit24. Diese Freiräume dienen den Menschen zur Realisierung ihrer Freiheitspotentiale. Frei sind sie dann, wenn sie kraft ihrer praktischen Vernunft in der Lage sind, das Sittengesetz des kategorischen Imperativs zu erkennen und entsprechend zu handeln. Damit das Unvermögen einiger nicht die Entfaltung dieser Freiheitspotentiale durch andere verhindert, grenzt das Recht die äußeren Freiheitssphären gegeneinander ab. Auf dieses Recht wendet Kant nun die überkommene aristotelische Gerechtigkeitskonzeption an. Dabei ist das durch Eigentum und Verträge gekennzeichnete Zivilrecht durch das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit gekennzeichnet. Das Privatrecht ist jedoch unvollkommen. Vollständig realisiert sich das Recht erst dann, wenn auch die austeilende Gerechtigkeit institutionalisiert ist. Die Transformation der natürlichen ausgleichenden in eine distributive Gerechtigkeit, wird von ihm als Gebot bezeichnet. Das ist erst in der Republik der Fall. Die Republik mit ihrem öffentlichen Recht realisiert erst vollständig die Gerechtigkeit auf nationaler Ebene25. Kants zeigt so, dass Gerechtigkeit nicht nur eine externe Anforderung an das Recht darstellt, sondern zugleich eine Voraussetzung der Institutionalisierung des Rechts ist. Ohne arithmetische Gerechtigkeit gäbe es kein Privatrecht und ohne austeilende Gerechtigkeit gäbe es kein öffentliches Recht, sodass die ganze Verfassung des Rechts unvollständig wäre. Diese Unvollständigkeit besteht weiterhin auf der Ebene des Völkerrechts.

Der metaphysische Hintergrund dieser Theorie der Gerechtigkeit ist jedoch im 20. Jahrhundert kritisiert worden26, insbesondere auch durch John Rawls. Statt materiale Gehalte der Gerechtigkeit vorauszusetzen, will er Institutionen so gestalten, dass sie nicht nur Ausdruck von Gerechtigkeit sind, sondern auch selbst Gerechtigkeit hervorbringen. Das ist der Grund dafür, dass nach der Gerechtigkeit gefragt werden kann, die das Recht hervorbringt. Obwohl die Theologie weiterhin mit dem Begriff des Naturrechts und einer entsprechenden Gerechtigkeitskonzeption arbeitet und die Ethik Gerechtigkeit auch als eine Tugend behandeln kann, ist rechtliche Gerechtigkeit institutionalisierte Gerechtigkeit.

Das Recht trägt schon durch seine allgemeine Form zur Gerechtigkeit bei27. Es kann auch durch sein Verfahren zu gerechten Ergebnis führen, wenn die rechtlichen Prozesse selbst wiederum hierfür etablierte Grundsätze der Gerechtigkeit berücksichtigen wie etwa die gleiche Einflussmöglichkeit der Parteien auf die Entscheidung, die Notwendigkeit, vor einer Entscheidung auch die andere Seite zu hören („audiatur et altera pars“), die Unabhängigkeit des Richters und das Verbot, Richter in eigener Sache zu sein („nemo est iudex in causa sua“). Sie sichern den Prozessbeteiligten gleiche Einflussmöglichkeiten auf das Verfahrensergebnis, damit sie diesem nicht unterworfen sind, ohne angemessenen Anteil an ihm gehabt zu haben. Rechtliche Gerechtigkeit kann nur aus gerechten Verfahren hervorgehen.

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