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1. Gerechtigkeit und Wertegemeinschaft

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„Gerechtigkeit“ wird in den Dokumenten der Europäischen Union als Grundlage einer gut funktionierenden Gemeinschaft dargestellt. Dieser Gedanke kann einer ehrwürdigen europäischen Denktradition verankert werden,. Nach Thomas von Aquin hat die Gesetzesgerechtigkeit das Gemeinwohl zum Gegenstand (STh II–II, 95 u 96) – dadurch wird die potentielle Willkür der Machthabenden klar zugunsten einer „Ordo“-Forderung eingeschränkt. Thomas von Aquin geht selbstverständlich von einer Verbindung von Gerechtigkeit und Gemeinwohl über sein Verständnis von Ordnung aus. Das ist eine Frage der Gemeinschaftsauffassung, wobei Thomas unter Gemeinschaft einen Ordo versteht, ein koordiniertes Miteinander. Das Fundament der politischen Ordnung und damit des Ringens um Gerechtigkeit ist die Ausrichtung am Gemeinwohl, was Thomas von Aquin explizit festgehalten hat: „Socialis vita multorum esse non posset nisi aliquis praesideret qui ad bonum commune intenderet“ (STh I 96, 4 – p 88). Diese Koordination bringt es mit sich, sich auch über Ziele und gemeinsame Anstrengungen zu verständigen. „If society is not a mere aggregate of subjects, it must have an end – its common good – which cannot be reduced to the particular good of its members“.1 Hier zeigt sich die Frage nach dem „Telos“ als Fundamenalfrage des Gerechtigkeitsdiskuses, eine Frage, die die Europäische Union in besonderer Weise beschäftigt. Was hält Gerechtigkeitsvorstellunge und Gerechtigkeitsbemüungen zusammen?

Aristoteles hatte seinerzeit den Staat über Gemeinsames und Differenz charakterisiert und daran festgehalten, dass der Staat um eines Gutes willen gebildet worden sei (to koine sympheron). Gerechtigkeit und dieses Staatsgut können nicht voneinander getrennt werden. Ein Staat ist ein Projekt zum gemeinsamen „Gutleben“ (Politik III,9, 1280b–1281a). In diesem Sinne ist das Gemeinwohl, wie es Ricoeur ausgedrückt hat, „the aim of the ‚good life‘ with and for others in just institutions. “2 Dahinter steht eine bestimmte Auffassung von Gemeinschaft, für die eine Kultur des öffentlichen Gesprächs entscheidend ist und etwa in der Auffassung der griechischen „polis“ zu finden ist.3 Im Gespräch ist auszuhandeln, welche Gemeinschaft und denn auch welches Wohl angestrebt werden sollen. Ein normativ aufgeladener Begriff von Gemeinschaft wird zu einer bestimmten Auffassung von Wohl führen. Anders gesagt: Eine bestimmte Auffassung von Gesellschaft oder Gemeinschaft wird es mit sich bringen, dass in einer bestimmten Weise über das Gedeihen oder Gelingen dieser Gemeinschaft nachgedacht wird. Wenn man etwa den Begriff der Gemeinschaft mit dem Begriff der Ordnung verbindet, wird „das Volk“ oder auch „alle Adressaten des Gesetzes“ als Subjekt des Gemeinwohls in Frage kommen. Dieser prozedurale Gedanke „Gerechtigkeit als vielfältiges Gespräch“ prägt auch den europäischen Diskurs, etwa im fundamentalen Bekenntnis zu Partizipation und Pluralismus. Ähnlich wie bei Aristoteles stellt sich hier aber auch die Frage nach „Wertebasis“ versus „Diversität“ und damit auch die Frage nach dem „Telos“ einer Gemeinschaft. Ein plausibler Kandidat für die Telos-Dimension ist der Hinweis auf das Gemeinwohl.

Die Telos-Frage ist ebenso wie der Begriff des Gemeinwohls seit der griechischen Philosophie Bestandteil des politisch-philosophischen Vokabulars und immer wieder Gegenstand des europäischen Wertediskurses.4 Der Begriff des Gemeinwohls kann im Rahmen der politischen Philosophie insofern als Schlüsselbegriff angesehen werden, als in diesem Begriff Individualethik und die Frage gelingenden Lebens und Sozialethik mit der Frage nach der guten Gesellschaft konvergieren, geht es doch in der Erzeugung des „common good“ darum, das personale Wohl aller Gesellschaftsglieder durch soziale Kooperation zu ermöglichen. Das Gemeinwohl schließt also Sozialsysteme, Institutionen und Umwelt(en) ein, die allen Mitgliedern einer Gemeinschaft zugute kommen. So gesehen ist das Gemeinwohl jene Dimension, die das Gelingen von Gemeinschaft auf Dauer sicherstellt. Aus diesen strukturellen Überlegungen ist auch klar, dass das Gemeinwohl sich nicht automatisch einstellt, sondern Ergebnis von konzertierten Anstrengungen ist. Saubere und sichere öffentliche Räume und eine nicht verschmutzte Umwelt setzen institutionelle und individuelle Anstrengungen voraus und verlangen nach einem entsprechenden rechtlichen und politischen Regelwerk. Hier stellen sich Fragen nach den Rahmenbedingungen für die Realisierung individuellen Wohls und sozialer Gerechtigkeit (u.a. Absicherung der materiellen Lebensgrundlage, Förderung von Einkommens- und Wirtschaftswachstum sowie von Wohlstand) und nach deren Umsetzung. Das sind eben jene Dimensionen, die bei innereuropäischen Diskussionen mühsam ausgehandelt werden müssen und zu den Debatten um die gerechte Verteilung von Ressourcen und Lasten führen. Dies wird besonders deutlich an der Dynamik einer „Tragedy of the Commons“, wie sie Gareth Hardin seinerzeit beschrieben hat5: Diese Dynamik spielt einerseits innerhalb Europas eine Rolle, andererseits im Verhältnis Europas zu anderen politischen Entitäten gerade in Zeiten der Klimaschutzdiskussion. Hier stellen sich Fragen der Gerechtigkeit auf einer neuen globalen Ebene, die nicht mehr mit monetären Mitteln kontrolliert werden kann, sondern uns auf die Frage der Einstellungen verweist.

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