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VI. Zusammenfassung

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Treffend hebt Bernhard Jakl im Anschluss an Kant hervor, dass Freiheit und Gleichheit im Recht wechselbezüglich sind85. Dass diese Dialektik von Freiheit und Gleichheit durch die Menschenwürde vermittelt ist, führt noch einmal auf Protagoras zurück. Von ihm ist nicht nur die Idee überliefert, dass der Mensch das Maß der Dinge unter Einschluss der Gerechtigkeit ist. Er erzählt uns auch einen Mythos, der im ihm gewidmeten Dialog Platons überliefert ist86. Protagoras berichtet in dem Mythos von der Bedeutung der Gerechtigkeit für das Recht. Darin heißt es, dass die sanguinische Gestalt Epimetheus bei der Schöpfung einem jeden Wesen seine Fähigkeiten austeilt, dabei jedoch so verschwenderisch ist, dass für den Menschen nichts mehr übrigbleibt, das ihn zur Anpassung an seine Umwelt befähigen würde. Mit dem von Prometheus gestohlenen Erkenntnisvermögen und dem Feuer können Menschen zwar überleben, aber nicht zusammenleben: Sie befinden sich vielmehr im Naturzustand der Vereinzelung und der wechselseitigen Schadenszufügung und nicht in einem politischen Zustand87. Damit der Mensch nun zu der ihm gemäßen Sozialform findet, befiehlt Zeus Hermes den Menschen die sittliche Erkenntnis und Gerechtigkeit zu bringen88. Hermes zögert und fragt, wie die Gerechtigkeit unter den Menschen verteilt werden soll:

„Soll ich mich hierbei, fragt er, nach dem Muster richten, das die Verteilung der Künste bietet? Diese Verteilung ist folgender Art: ein Einzelner, der im Besitz der ärztlichen Kunst ist, reicht aus für viele Laien, und so steht es auch mit den anderen Werkmeistern. “

Die Frage zielt also auf eine elitäre Institutionalisierung von Gerechtigkeit. Soll Hermes auch die Gerechtigkeit so unterschiedlich verteilen wie die Künste zwischen Experten und Laien? Das würde zu einer Oligarchie führen. So antwortet Zeus:

An alle … und jeder soll daran teil haben. Denn nie wird es zum Bestehen von Staaten kommen, wenn nur wenige jener Güter teilhaftig sind wie bei den anderen Künsten.89

Weil die Gerechtigkeit eine Eigenschaft des Menschen als Menschen ist und ihr Zusammenleben regeln soll, muss sie allen in gleicher Weise zukommen. Die besondere Stellung des Menschen in der Welt besteht dem Mythos gemäß darin, dass er anders als andere Wesen nicht mit denjenigen Fähigkeiten ausgestattet ist, die seinen Schutz sicherstellen können. Die dazu gehörende Gerechtigkeit soll nach Protagoras allen zukommen. Die Oratio des Pico della Mirandola knüpft an diesen Gedanken des Mythos an, auch wenn sie Protagoras und die Gerechtigkeit nicht erwähnt90. Die Würde des Menschen besteht darin, sich zu dem machen zu können und zu müssen, der er sein will, weil ihm kein fester Platz in der Welt zugemessen wurde. Er ist, wie Jean-Paul Sartre gesagt hat, verdammt dazu, frei zu sein91. In seiner Freiheitsfähigkeit ruht das Menschliche seiner Würde: Diese Fähigkeit ist allen Menschen gemeinsam. Was der Mensch kraft seiner Freiheit geschaffen hat, gereicht ihm zur Ehre; nicht in den Werken jedoch, sondern in der Fähigkeit zu ihnen liegt seine Würde. Die Achtung vor der in seiner Freiheitsfähigkeit begründeten Würde ist die Voraussetzung vor der Achtung seiner Ehre als freier Persönlichkeit. Auf ihr basieren allen anderen Fähigkeiten, die Martha Nussbaum auflistet. Sie ist der Vergleichsgesichtspunkt der Gerechtigkeit. Die Würde des Menschen als Freiheitsfähigkeit wird so zum Maß der Dinge und dem Kriterium der Gerechtigkeit. Weil sie das Gattungsmerkmal des Menschen ist, kommt sie allen Menschen in gleicher Weise zu.

Die Freiheitsfähigkeit realisiert er auch durch die Begründung von Sozialordnungen, insbesondere auch der Rechtsordnung. In seinen Normen wendet sich das Recht an Freiheit: Eröffnet sie (Erlaubnis), beschränkt sie (Verbot) und gibt ihr eine Richtung (Gebot). Rechtsnormen sind jedoch zugleich auch Ausdruck von Freiheit. Im modernen demokratischen Rechtsstaat sind sie Ausdruck der privaten (Verträge) und politischen Autonomie (Gesetze) aller von den Normen Betroffenen. Die Vertragschließenden anerkennen wechselseitig die gleiche Autonomie bei der Eingehung der Pflichten an; die Bürger als Citoyens legitimieren in entsprechender Weise das für alle geltende Gesetz. Insofern ist das Recht schon seiner Form nach Ausdruck gleicher Freiheit und regelt den gleichen Freiheitsgebrauch. Der Gebrauch dieser Freiheit setzt aber die rechtliche Anerkennung der Freiheitsfähigkeit aller Menschen voraus. Da rechtliche Freiheit bedeutet, Rechte zu haben, ist rechtliche Freiheitsfähigkeit Rechtsfähigkeit. Nur wer sie hat, kann sich als Subjekt am Recht beteiligen. Nur derjenige, der sie hat, besitzt rechtliche Menschenwürde. Die rechtliche Würde des Menschen ist die Anerkennung Rechtsfähigkeit, wie sie außerhalb des Rechts die Anerkennung seiner Freiheitsfähigkeit bedeutet. Dass die Rechtsfähigkeit eines jeden Menschen anerkannt werden soll, ist das subjektive Recht der Menschenwürde. Die Menschenwürde ist mithin Bedingung der Möglichkeit dafür, dass Menschen überhaupt rechtlich miteinander umgehen, das heißt in Rechtsverhältnissen stehen.

Sollen die Regelungen des Rechts gerecht sein, so kann ihr Maßstab weder nur die Gleichheit noch nur die Freiheit sein. Gleichheit muss das Ziel dort sein, wo der Mensch nicht aus eigener Kraft seine Freiheitsfähigkeit realisieren kann. Würde Gerechtigkeit nur Gleichheit bedeuten, so müssten die rechtlichen Regelungen alle Differenz und Individualität unterdrücken. Das Recht muss also die Freiheitsfähigkeit und die Freiheit schützen, um dem Menschen einen Bereich der Individualität zu sichern. Würde das Recht aber nur die Freiheit schützen, so würde den Schwächeren die Realisierungsmöglichkeit ihrer Freiheit genommen. Das Verhältnis zwischen starken und schwachen Gesellschaftsmitgliedern würde nicht mehr rechtlich sein können. Der in strukturelle Armut verfallene, der ständiger Bedrohung ausgesetzte Bewohner einer Favela ist nicht mehr in der Lage, eine freie vertragliche Beziehung eingehen oder an der politischen Selbstbestimmung partizipieren zu können. Mit ihm verliert aber auch der Starke die Möglichkeit eines rechtlich geordneten Zusammenlebens der wechselseitigen Anerkennung. Es ist mithin Aufgabe des Rechts, so viel an Gleichheit zu garantieren, dass diese Freiheitsfähigkeit gesichert bleibt.

Gerechtigkeit

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