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1. Die Würde des Menschen im Recht

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Über viele Jahrhunderte wurde die Würde des Menschen als ein religiöser oder metaphysischer Begriff verstanden. Sein wissenschaftlicher Ort waren theologische, insbesondere kosmologische und philosophische, Diskurse61. In religiöser Perspektive sollte die Würde des Menschen die Bedeutung von „Gottebenbildlichkeit“62 oder von „Sohn des Himmels“ haben63. Philosophisch wurde sie als „Entwurfsvermögen“64, als Selbstzweckhaftigkeit65, als Notwendigkeit, sich zu dem zu machen, der man sein will oder als Befreiung aus Entfremdung verstanden66. Die Würde des Menschen sollte in der Vernunftfähigkeit des Menschen verwurzelt sein, die die Grundlage für die Einsicht in das Sittengesetz ist, die wiederum den Menschen zu einer moralischen Person in der Kantischen Philosophie machte. Nussbaum weist diese voraussetzungsvollen Konzeptionen der Würde der menschlichen Person zurück und wendet aristotelische und marxistische Vorstellungen der Menschenwürde an. Danach ist das Ziel der Gerechtigkeit und das hauptsächliche ethische Gut die Würde des menschlichen Lebens.

Es ist bemerkenswert, dass ein philosophischer Begriff mit einer derartig langen Tradition wie der der Menschenwürde erst im 20. Jahrhundert seinen Weg in Rechtstexte findet67. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 legte noch das letztlich von Karl Marx angeregte Konzept der menschenwürdigen Lebensbedingungen zugrunde. Die Irische Verfassung von 1937 bringt in ihrer Präambel ein eher christliches Verständnis der Würde des Menschen zum Ausdruck68. Ein allgemeiner Begriff der Menschenwürde findet erst nach dem 2.Weltkrieg und zunächst in der Präambel der Vereinten Nationen und im Text der Allgemeinen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1948 seinen Weg in Rechtsnormen. Wiederum war es das Deutsche Grundgesetz, das nach den Grausamkeiten des Nationalsozialismus, die Würde des Menschen nicht nur zum objektiven Fundament der Verfassung und des Staates insgesamt und insbesondere seiner Grundrechte machte, sondern ihr – nach immer noch umstrittener Auffassung – selbst die Form eines Grundrechts gab69.

Wie bei der Gerechtigkeit hat die Rechtsphilosophie auch bei der Würde nach ihrer rechtlichen Form zu fragen. Soll etwa die Vorstellung der Gottebenbildlichkeit oder der Fähigkeit des Menschen, sich zu dem machen zu können, der er sein will, oder dass er als Zweck in sich selbst behandelt werden soll, ins Recht transformiert werden? Wie ist dies rechtlich zu konstruieren70. Wesen, die in der Lage sind, sich selbst zu dem machen zu können, der sie sein wollen, freiheitsfähige Wesen, Wesen, die keine Mittel zum Zweck anderer sind, sind Subjekte. Sie sollten mithin im Recht ebenfalls als Subjekte und nicht als Objekte für die Zwecke anderer behandelt und nicht gedemütigt oder erniedrigt71 werden. Der Mensch ist ein Rechtssubjekt, wenn er rechtsfähig ist. Rechtsfähig zu sein, bedeutet, fähig zu sein, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Das bedeutet nicht notwendig, dass er auch rechtlich handlungsfähig ist. Die Rechtsfähigkeit hat vielmehr keine weiteren Voraussetzungen. Deshalb kann sogar künstlichen Gebilden wie wirtschaftlichen Unternehmen Rechtsfähigkeit zugemessen werden72.

Die Fähigkeit, als Subjekt von Rechten und Pflichten behandelt zu werden, ist die Grundvoraussetzung dafür, überhaupt am Rechtssystem partizipieren zu können. Sie ist mithin die elementare Fähigkeit der Rechtsperson. Während Friedrich Carl von Savigny und andere Rechtstheoretiker im 19. Jahrhundert keinen Zweifel daran hatten, dass alle Menschen notwendigerweise Rechtspersonen wären73 und dass diese Fähigkeit künstlich anderen Gebilden verliehen werden müsse, haben die weitere dogmatische Entwicklung des Instituts der Rechtsperson und die weitere politische Geschichte gezeigt, dass die Rechtsfähigkeit aller Menschen keineswegs selbstverständlich ist. Rechtspositivisten wie Hans Kelsen nahmen an, dass die natürliche Rechtsperson nicht weniger als die juristische Person eine Schöpfung des Rechts ist74. Carl Schmitt meinte schließlich: „Nicht der Mensch, weil er Mensch ist, sondern der Mensch, der gut und achtungswürdig ist, verdient Achtung“75. Das war eine Einladung, diejenigen, die sich diese „Achtungswürdigkeit“ nicht erarbeiten können, aus dem Kreis der Subjekte im Recht auszuschließen und als Objekte zu behandeln, mit denen man nicht in Rechtsverhältnissen steht und mit denen man daher nach Belieben verfahren kann76.

Die Probleme der Sklaverei, der Euthanasie, des Holocaust und anderer historischer Grausamkeiten haben dramatisch vor Augen geführt, dass die Anerkennung des Menschen als Rechtssubjekt nicht selbstverständlich angenommen werden kann. Die Anerkennung der Rechtssubjektivität muss daher selbst als rechtlicher Anspruch des Einzelnen juristisch ausgeformt werden. Deshalb forderte Hannah Arendt aufgrund der Vertreibungen und des Holocaust ein „Recht auf Rechte“77. Dieses Recht ist keines auf dieses oder jenes Freiheits- oder Gleichheitsrecht. Es ist vielmehr ein Recht auf eine Rechtsstellung, die diese Menschenrechte alle bereits voraussetzen. Es ist das Recht darauf, überhaupt als Subjekt anerkannt zu werden, das fähig ist, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Nimmt man die zuvor entwickelten Aspekte – dass der Mensch nur dann eine Würde hat, wenn er als freiheitsfähiges Subjekt und nicht als unfreies Objekt behandelt wird, dass dies im Recht die Fähigkeit zu Rechten und Pflichten bedeutet und dass schließlich diese Eigenschaft im Recht nicht mehr vorausgesetzt, sondern als subjektives Recht ausgeformt werden muss – zusammen, dann ergibt sich, dass die Würde des Menschen im Recht seinen Anspruch bedeutet, als Rechtssubjekt anerkannt zu werden78.

Die weiteren subjektiven Rechte sind die Formen rechtlicher Freiheit. Sie erlauben es der Rechtsperson, in einer rechtlich anerkannten Weise zu handeln. Sie schützen die negative und die positive Freiheit und garantieren der Rechtsperson private und öffentliche Autonomie im Recht. Während die Realisierung dieser weiteren Rechte ohne wirkliche Handlungsfreiheit nicht möglich ist und sie zugleich ihre rechtliche Anerkennung sichern, ist die Menschenwürde alleine dazu nicht in der Lage. Sie ruht in dem, allen Menschen in gleicher Weise zukommenden Potential der Menschen frei zu sein.

Weil dieses Recht der Menschenwürde keine Voraussetzungen besitzt, außer der, überhaupt ein menschliches Wesen zu sein, haben behinderte Menschen, Personen also, von denen oft angenommen wird, sie hätten in einem Sozialvertrag nichts beizusteuern, dieses Recht ebenso, wie diejenigen, bei denen die Realisierung dieses Potentials nicht auf Hindernisse stößt. In ihrer Rechtsfähigkeit und den Rechten, die sich aus der Würde herleiten, sind alle Menschen gleich. Dies ist die fundamentale Rechtsgleichheit aller Rechtspersonen. Sie ist begründet in ihrer Rechtsfähigkeit. Menschen sind frei und gleich in ihrer Würde. Tiere haben diese Würde nicht. Die Würde des Menschen ist daher ‚speziezistisch‘. Andere Wesen oder soziale Gebilde können aus guten Gründen als Rechtssubjekte anerkannt werden. Tieren mag ein besonderer Status zwischen Rechtssubjekten und Rechtsobjekten zugeschrieben werden, der ihren Eigenschaften entspricht. Primaten mögen auch im Allgemeinen oder hinsichtlich bestimmter Aspekte als Rechtssubjekte anerkannt werden. Ein Recht hierauf lässt sich jedoch aus der Menschenwürde nicht ableiten.

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