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Gerechtigkeit Innen und Außen. Zur Einleitung

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„Gerechtigkeit“ ist einer der Schlüsselbegriffe der europäischen Ethik. Der vorliegende Band thematisiert diesen Kernwert, nachdem vorangegangene Bände sich mit Solidarität, Freiheit und Gleichheit beschäftigt haben. Dabei geht es nach einer begrifflichen Grundlegung durch den Philosophen Stephan Kirste um das Verhältnis von Gerechtigkeitsbegriff und Rahmenbedingungen auf einer Makroebene, wie sie von Aspekten der Generationengerechtigkeit, der Wohlfahrtsstaatsgerechtigkeit und der Steuergerechtigkeit von Jörg Chet Tremmel, Christoph Butterwegge und Helmut Gaisbauer diskutiert werden. Teilweise wird hier eine Diskursanalyse eingebracht, Butterwegge schildert etwa die dreifache Transformation des vorherrschenden Gerechtigkeitsbegriffs von der Bedarfs- zur „Leistungsgerechtigkeit“, von der Verteilungs- zur „Teilhabegerechtigkeit“ und von der sozialen zur „Generationengerechtigkeit“. Weiters zeigt sich, dass der Gerechtigkeitsbegriff auf zwei Ebenen diskutiert werden kann, „ad intra“ (also mit Blick auf eine Bezugsgemeinschaft mit ihren Grenzen, hier wiederum kann zwischen einer synchronen und einer diachronen Betrachtungsweise, die auch künftige Generationen einschließt, unterschieden werden) und „ad extra“, also mit Bezugnahme auf die globale Situation über die Grenzen der Europäschen Union hinweg. An dieser Stelle zeigen sich Aspekte der Verwundbarkeit, wie sie etwa auch dort schlagend werden, wo nach einer Beobachtung Kirstes Aspekte der Ungleichheit so groß werden, dass sie die Freiheitsfähigkeit erodieren. Fragen der Verwundbarkeit werden auch im zweiten Abschnitt des Bandes aufgegriffen, mit Blick auf Fragen der Gleichstellung und Integration und der Suche nach einem guten Leben – diese Dimensionen werden von Uta Klein, Dieter Röh und Angela Wegscheider behandelt. Hier zeigen sich die Kriterien von Glaubwürdigkeit einer Rhetorik von Gerechtigkeit als “europäischem Wert“ in besonderer Weise, gerade weil das Bekenntnis der europäischen Tradition zu fundamentalen Werten, die die Menschheitsfamilie als solche tangieren, hier die Latte hoch legt. Im dritten Abschnitt wird eine komparative und globale Perspektive eingebracht – Hennig Hahn (globale Gerechtigkeit), Anke Graneß (Gerechtigkeitskonzepte im subsaharischen Afrika) und Thomas Kesselring (Entwicklungszusammenarbeit und Gerechtigkeit) weiten die Diskussion des Gerechtigkeitsbegriffs aus, dessen europäische Konturen in Fragen der theoretischen Ausweitung (Hahn), der im Vergleich gewonnenen Grenzen (Graneß) und der praktischen Anwendung (Kesselring) geprüft werden. Neben dem Aspekt der Freiheit wird hier gerade auch der Aspekt der Asymmetrie mit den Vorstellungen von Gerechtigkeit zusammengebracht, was uns wiederum auf den Begriff der Verwundbarkeit blicken lässt. Es scheint, als könnte eine Diskussion von Gerechtigkeit als europäischem Wert, will sie glaubwürdig sein, nicht von den dunklen Seiten der Verwundbarkeit absehen. Das ist m.E. eine wichtige Lektion aus diesem Band.

Die „European Group on Ethics“ hat in ihrer Opinion 27 („An ethical framework for assessing research, production and use of energy“) vom 16. Januar 2013 im Abschnitt 3 mit Verweis auf die Charta der Grundrechte der Europäschen Union jene Werte aufgelistet, die für die Europäische Union leitend und bindend sind „The European Community, which, since its inception, has given primacy to the respect of human dignity and to the protection of every individual human being, has endorsed these important ethical principles in the Charter of Fundamental Rights of the European Union. The Charter indicates, inter alia, a set of values, such as human dignity, freedom, democracy, the respect for pluralism, non-discrimination, tolerance, justice, solidarity and subsidiarity, as the milestones of the European Union and its policy design, which need to be incorporated in the EU policies. “ Neben Respekt vor der Würde des Menschen und den Menschenrechten sowie Solidarität wird „Gerechtigkeit“ als eines der drei fundamentalen Prinzipien genannt, das für die ethische Beurteilung der Energiefrage entscheidend ist. In 3.1.1. wird Gerechtigkeit explizit und eigens diskutiert. Gerechtigkeit wird dabei als Fundament für die Realisierung von Menschenwürde und Menschenrechten angesehen. Von besonderem Interesse für den Kontext der politischen Philosophie und des Diskurses von Gerechtigkeit als europäischem Wert ist dabei der Begriff der sozialen Gerechtigkeit „which guarantees that the interests of those most vulnerable and disadvantaged in the present generation and the well-being of future generations are equally safeguarded through security of reliable and affordable supply of energy and safety issues“. Hier wird eine bedenkenswerte Verbindung zwischen „Gerechtigkeit“ und „Verwundbarkeit“ hergestellt. Daneben werden noch „partizipative Gerechtigkeit“, „intergenerationelle Gerechtigkeit“ und „Umweltgerechtigkeit“ angeführt. Der Abschnitt erinnert schließlich daran, dass Gerechtigkeit auf einen „Sinn für Solidarität“ („a sense of solidarity with the whole family of ‚humankind‘“) angewiesen ist.

An diesen Überlegungen aus einem der jüngsten Dokumente zur Wertediskussionen auf europäischer Ebene sind wenigstens drei Aspekte für den Gerechtigkeitsdiskurs von Interesse: Erstens: Die Idee Europas ist mit der Idee eines Wertekatalogs verbunden. Zweitens: Der Begriff der Gerechtigkeit als ein Leitwert ist verbunden mit der besonderen Aufmerksamkeit gegenüber den besonders verwundbaren Mitgliedern der Menschheitsfamilie. Drittens: Gerechtigkeit ist angewiesen auf einen „Sinn für Gerechtigkeit“ oder einen „Sinn für Solidarität“. Diese drei Aspekte möchte ich in aller Kürze skizzieren.

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