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1.1 Deutschdidaktik und berufliche Bildung zwischen 1960–2000

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Einen wegweisenden Diskussionsbeitrag in Richtung Ablösung vom traditionellen deutschen Bildungsbegriff stellt Robinsohns bildungspolitisch breit rezipiertes Werk „Bildungsreform als Revision des Curriculum“ (1967) dar, das eine Abkehr von inhalts- hin zu lernzielzentrierten Curricula forderte und dabei den outcome- und Nützlichkeits-orientierten Begriff der Qualifikationen akzentuiert – mit der Folge, dass die strikte Trennung von allgemeinerAllgemeinbildung und beruflicher BildungBildungberufliche aufweicht und allgemeinbildendeAllgemeinbildung Inhalte an berufsbildenden Schulen marginalisiert werden und zwischenzeitlich das „Verwertungsprinzip“ im Deutschunterricht die „PersönlichkeitsbildungPersönlichkeitsbildung“ als Ziel dominiert, ehe ab Mitte der 1970er Jahre auch allgemeinbildendeAllgemeinbildung Aspekte wieder stärker in den Vordergrund der deutschdidaktischen Diskussion rücken und Modelle der Integration von allgemeinerAllgemeinbildung und beruflicher BildungBildungberufliche diskutiert wurden, die den Gegensatz der beiden überwinden sollten. Ohnehin ist die in der Deutschdidaktik wesentlich häufiger und stärker vertretene Position diejenige, dass der Deutschunterricht im sprachlich-kommunikativen wie literarischen Bereich auch allgemeinbildendenAllgemeinbildung Zielen der Persönlichkeitsentwicklung dienen solle.

Ehe sich die Deutschdidaktik neben dieser Grundsatzdebatte für spezifischere, konkretere Themen und Aspekte interessiert, dauert es bin in die 1980er Jahre. „[Z]u Beginn der 70er Jahre [wird] der Deutschunterricht an berufsbildenden Schulen schlicht nicht zur Kenntnis genommen“, und noch 1977, als die Zeitschrift Diskussion Deutsch ihr insgesamt 34. und dabei erstes Heft zu „Deutschunterricht an beruflichen Schulen“ vorlegt, konstatieren die Herausgeber in ihrem Vorwort selber, Deutsch in der Berufsschule sei „weitgehend noch terra incognita“ (zitiert nach Grundmann 2001:102, 94). Auch in Sammelbänden und Lexika zum Deutschunterricht sowie zur SprachSprachdidaktik- und LiteraturdidaktikLiteraturdidaktik kommt der Deutschunterricht an berufsbildenden Schulen in dieser Zeit „nicht einmal am Rande vor“ (ebd.). Grundmann führt dies auf die „Sozialisation der Fachdidaktiker an den Universitäten“ zurück, die wahrscheinlich „während ihrer Schullaufbahn nicht ein einziges Mal mit dem beruflichen Schulwesen in Berührung gekommen“ seien (ebd.:95). Selbst die Deutschlehrer an beruflichen Schulen traten in den 1970er Jahren nicht in Erscheinung (Ludwigsen 1981:347). Kurz danach aber kommt es zur „Entdeckung des Deutschunterrichts an berufsbildenden Schulen durch die Fachdidaktik Deutsch“ (Grundmann 2001:103).

Im Rahmen eines durchaus so zu nennenden deutschdidaktischen Wahrnehmungs- und Publikationshöhepunktes zu berufsbildenden Schulen in den 1980er Jahren (Grundmann 1980, 1981, 1985, Ludwigsen 1981, Hebel 1983, 1987, Hoberg 1983, Hebel & Hoberg 1985) erscheinen auch Handbuchartikel zum Deutschunterricht speziell an berufsbildenden Schulen, werden spezifische berufsschul-deutschdidaktische Sektionen bei Tagungen ausgerichtet, es wird durch Franz Hebel und Rudolf Hoberg die Zeitschrift „Sprache und Beruf“ (1980–1986) gegründet und explizit und detailliert die Frage nach einer eigenen berufsschulbezogenen Deutschdidaktik und damit auch „die Frage nach der Legitimation einer eigenen Deutschlehrer-Ausbildung für Berufsschulen“ (Hebel & Hoberg 1985:7), also die Frage und Forderung nach eigenen Hochschul-Curricula, gestellt. Auch rücken speziell die Gruppe der „ausländische[n] Jugendliche[n]“ und ihre „Sprachprobleme“ (Hoberg 1983) ins Blickfeld. Spezifischere diskutierte Themen sind etwa „erste Grundlagen für einen berufsschulspezifischen Literaturunterricht“ (Grundmann 2001:142) sowie eine weiterführende Beschäftigung mit dem Teilbereich Literaturunterricht und dem Lesen generell; Sprachreflexion/(politische) Sprachkritik, Rechtschreibung, die Rolle von FachspracheFachsprache und ihrer Vermittlung (Funk & Ohm 1991, Fluck 1992) usw.

In den 1990er Jahren lässt das wissenschaftliche Interesse der Deutschdidaktik am berufsschulischen Deutschunterricht nach einer Abarbeitung am Begriff der SchlüsselqualifikationenSchlüsselqualifikation (Grundmann 1991) partiell wieder nach – zumindest, wenn man die Anzahl an Dissertationen im thematischen Feld als Indikator heranzieht (Grundmann 2001:136; vgl. jedoch die Arbeiten von Katz 1994, Wyss Kolb 1995, Jahn 1998). Jedoch vermittelt die Durchführung verschiedener Projekte ein anderes Bild einer wesentlich regeren, kontinuierlichen deutschdidaktischen Forschung von den 1980er bis in die 1990er Jahre, etwa die Modellversuche GOLEM (1987–1991 zu Computern in Sprache und Literatur), TEFAS (Texterschließung Fachsprachen für ausländische Jugendliche) und TEBA (Textverstehen in der Berufsausbildung – Arbeit mit interaktiven Texten) der drei Darmstädter Sprachdidaktiker Franz Hebel, Rudolf Hoberg und Karl-Heinz Jahn, die das Ziel hatten, auf Forschungsbasis Unterrichtsmaterialien zum Umgang mit neuen Technologien sowie mit traditionellen Fachtexten im Deutschunterricht zu entwickeln. In Zusammenhang dieser Arbeiten erklärt Grundmann (2001:165f.), dass die Technische Universität Darmstadt (bzw. ihre Deutschdidaktik) „zu einem Zentrum wurde, von dem bis in die jüngste Vergangenheit die meisten Anstöße zu einer veränderten Einstellung dem Deutschunterricht an berufsbildenden Schulen gegenüber ausgegangen sind“. Hierfür steht insbesondere Franz Hebel als zentrale Figur der berufsschulbezogenen Deutschdidaktik und Vater des sog. „Darmstädter Modells“ für einen berufsschulspezifischen Deutschunterricht zwischen allgemeinerAllgemeinbildung und beruflicher BildungBildungberufliche, der sich von einer reinen BedarfsorientierungBedarfsorientierung abwendet und der mit Sprach- und Literaturunterricht sowohl prozessgebundene wie prozessungebundene Qualifikationen fördert – und den Grundmann (2001:168) daher mit dem Schlagwort „Zweckrationalität und sinnfordernde Deutungsleistungen“ zusammenfasst. Unter „sinnfordernden Deutungsleistungen“, die auf eine „symbolische Sinnwelt“ und „das ‚Ganze‘ der Gesellschaft […] und auf das ‚Ganze‘ des Lebens gerichtet sind“, versteht Hebel berufsrollenunspezifische Leistungen, „die auf Legitimierung und Motivierung im Dienste der sozialen Integration bezogen sind“ und den Schülerinnen und Schülern, die auf „Sinnkonstanz“ angewiesen sind, helfen, die Welt als sinnvoll zu ver- und Krisen zu überstehen. Der Deutschunterricht sei hier gefordert, da Sprache und Literatur „die Vermittler unserer moralischen und ästhetischen Erfahrungen sind und diese begründen“ – und daher müsse der Deutschunterricht die Verbindung dieser moralischen und ästhetischen Inhalte zum beruflichen Wissen erkennen helfen und die Schüler somit zu einer kulturellen Aneignung ihrer Berufsrolle (statt einer unreflektierten Akzeptanz) befähigen (Hebel 1985, zitiert nach Grundmann 2001:172–182). Jahn fasst das Darmstädter Modell wie folgt zusammen:

Ein wesentliches Moment der Didaktik des Faches Deutsch aus dieser Sicht ist die Verknüpfung sprach- und literaturwissenschaftlichen Grundwissens mit Themen, die eine hohe Relevanz für die jungen Berufstätigen haben. Rechtschreibung, Grammatikwissen, Entwicklung von Leseverständnis gegenüber fiktionalen und pragmatischen Texten ist immer eingebunden in den Bedürfniszusammenhang, der sich aus der Berufsausbildung ergibt. […] Leitbild ist der junge Berufstätige, der die Erfordernisse seines Berufes erfüllt und vollwertiges Mitglied der Gesellschaft ist, der in der Lage ist, im Beruf, in der Öffentlichkeit und im Privatleben an der Kommunikation teilzuhaben, sich Informationen zu verschaffen, sie auszuwerten und inhaltlich zu prüfen. (Jahn 2000:11f.)

Stärker auf berufspädagogische Begründungszusammenhänge beruft sich Hilmar Grundmann in seinem dem „Darmstädter Modell“ didaktisch-methodisch dennoch ähnlichen „Hamburger Modell“ des berufsschulspezifischen Deutschunterrichts, der auf personale Sinnerfahrung und -findung durch berufliche Tätigkeit sowie auf Vermittlung von Orientierungswissen und Förderung von IdentitätsausbildungIdentitätsbildung durch den Deutschunterricht abzielt und sich somit eher als berufliche Erziehung denn als Wissensvermittlung versteht (Grundmann 2001:198–251).

Während die Deutschdidaktik neben diesen Grundsatzdebatten insgesamt ein bevorzugtes Interesse am „‘Berufsschüler als Leser‘“ von literarischen wie Fachtexten (Grundmann 2001:144) hat, vernachlässigt sie mit Blick auf berufsbildende Schulen andere Themen fast gänzlich, wie etwa den Grammatikunterricht (vgl. – mit Verweis auf die wenigen Ausnahmen – Grundmann 2001:142–144). Und erst spät in den Blick geraten im Bereich der sprachlichen Förderung nach einem Fokus auf „ausländische“ (zweitsprachige) Jugendliche auch die Deutsch-Erstsprachler. Karl-Heinz Jahn (1998) zeigt in seiner Untersuchung („Sprachstandsanalyse“) zur Fachtexterschließung, dass jedoch auch Letztere erhebliche Probleme mit der FachspracheFachsprache haben und deswegen Ziel der Förderbemühungen werden müssen. Hierbei diskutiert er den Einsatz von interaktiven multimedialen Lernsystem gegenüber traditionellen Lehr-Lern-Materialien – ein Ansatz (Lernen mit Neuen MedienMedien), der auch in den Folgejahren weiter zentral bleibt.

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