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6. Bildungs- und arbeitsmarktpolitischer Handlungsbedarf zur Sicherung sprachlicher Kompetenzen

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Grundlegende sprachliche Kompetenzen, die beim Verlassen der Schulen nicht vorliegen und nachgeholt werden müssen, sind nicht nur eine Hypothek für das Individuum, sondern für die Gesellschaft und Wirtschaft. Schließlich ist – bildungsökonomisch betrachtet – der nachträgliche Erwerb dieser Grundlagen etwa im Übergangssystem, in Ausbildungsbetrieben oder bei der arbeitsplatzorientierten Grundbildung für Geringqualifizierte, sehr zeitaufwendig und kostenintensiv. Hinzu kommt, dass tendenziell gerade für die Zielgruppen mit den meisten Defiziten im Sinne des Matthäus-Effekts am wenigsten ausdifferenzierte übergreifende Förderansätze zur Verfügung stehen.

So fehlt es beispielsweise in der beruflichen Bildung „an empirischer, evaluativer Begleitforschung und einem Konsens, wie Sprachförderung […] aussehen sollte, damit sie wirksam ist“ (Efing 2013b:2). Neben den Konzepten der SprachförderungSprachförderung sind vor allem die zeitlich eingeschränkten Ressourcen in berufsbildenden Schulen zu berücksichtigen. So sind in den berufsvorbereitenden Bildungsgängen der beruflichen Schulen in der Regel nur ein bis drei Stunden Deutschunterricht vorgesehen. Selbst wenn auch der Fachunterricht sprachliche Kompetenzen im Blick hat, können vorhandene Defizite in Deutsch eher nicht ausgeglichen werden. Es stellt sich die Frage, inwieweit ein ein- bis zweijähriger Bildungsgang mit bis zu drei Unterrichtsstunden Deutsch basale Sprachkompetenzen im Sinne nachholender Grundbildung vermitteln kann, die offenbar schon von vielen Deutschlehrerinnen und Deutschlehrern in neun oder zehn Jahren des allgemeinbildenden Unterrichts nicht vermittelt werden konnten.

Inzwischen haben besonders die berufsvorbereitenden Bildungsgänge eine kompensatorische bzw. kurative Funktion erhalten, der sie aufgrund der vorhandenen Rahmenbedingungen nicht oder nur bedingt gerecht werden können. Auf der einen Seite sollen sie GrundbildungsdefiziteGrundbildungsdefizite – und sprachliche Kompetenzen haben dabei eine entscheidende Rolle – ausgleichen und auf der anderen Seite einen allgemeinbildenden Schulabschluss nachholen, was ein fast unlösbares curriculares Dilemma darstellt.

Wie gravierend die vorhandenen sprachlichen Mängel der Schülerinnen und Schüler in diesen Bildungsgängen sind, zeigt zum Beispiel eine Analyse der schriftsprachlichen Korrektheit in fast 100 Deutscharbeiten an nordrhein-westfälischen Berufskollegs (Klein & Schöpper-Grabe 2010b), in der ein durchschnittlicher Fehlerquotient von 13,5 % ermittelt wurde. Bereits ab einem Fehlerquotienten von mehr als 6,5 % im Bereich Rechtschreibung und Grammatik wird in Thüringen zum Beispiel die Note 6 gegeben oder in der Handelsschule der Freien Hansestadt Bremen ab einem Quotienten von 10,1 % (Brück et al. 2009). Ein so hoher durchschnittlicher Fehlerquotient – selbst in Bildungsgängen mit in der Regel eher leistungsschwachen Jugendlichen – ist bemerkenswert.

Sprachliche und kommunikative Kompetenzen sind das Ergebnis eines langjährigen Lernprozesses, dessen Basis – bezogen auf das Schulsystem – bereits in den Grundschulen gelegt wird. Eine empirische Studie belegt, dass die Rechtschreibfehler in Texten von Viertklässlern seit 1972 dramatisch zugenommen haben. Untersucht wurden Texte aus den Jahren 1972, 2002 und 2012. Im Vergleich zu 1972 hatte sich die Fehlerzahl in den neueren Texten beinahe verdoppelt (Steinig & Betzel 2014), während im Wortschatz und der Textgestaltung beachtliche Verbesserungen festgestellt wurden. Die Wahrscheinlichkeit einer Empfehlung von der Grundschule auf das Gymnasium hängt heutzutage sogar stärker vom Bildungsstand des Elternhauses und dem Rechtschreibniveau ab als zuvor, was zeigt, wie früh sich die Bedeutung sprachlicher Kompetenzen im Hinblick auf die Eröffnung von Bildungswegen bemerkbar macht (Steinig & Betzel 2014:353) und wie wichtig es ist, frühzeitig mit der gezielten Förderung zu beginnen und sie kontinuierlich zu begleiten – mit aufeinander aufbauenden FörderkonzeptenFörderkonzepte auf allen Bildungsstufen.

Aus Perspektive der Wirtschaft sind systematische und zeitintensive Sprachförderungen in der Aus- und Weiterbildung nicht möglich. Gleichwohl ist mit Blick auf die demografische Entwicklung davon auszugehen, dass die Bereitschaft der Betriebe künftig zunehmen wird, bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen mehr als bisher auch auf leistungsschwache Jugendliche zurückzugreifen, um den eigenen Fachkräftebedarf zu decken. Damit rückt die nachholende Sprachförderung in den Fokus. Allerdings müssen dabei immer die Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität der Unternehmen gesichert bleiben und die nötigen Ressourcen für das aufwendige, zeitintensive Nachschulen sowie für die Betreuung dieser Jugendlichen vorhanden sein.

Um die Sprachförderung in diese Nachhilfeangebote stärker einbinden zu können, ist eine geeignete staatliche Unterstützung der Ausbildungsbetriebe und der Ausbilder erforderlich, beispielsweise im Rahmen der speziellen Einsteigerprogramme in Großunternehmen sowie der staatlich geförderten Einstiegsqualifizierungen. Ein ähnlicher Handlungsbedarf trifft auch auf die Geringqualifizierten mit unzureichenden SprachkompetenzenSprachkompetenzen in Unternehmen zu: Damit niedrigschwellige sprachbezogene Weiterbildungsangebote für die Zielgruppe in größerem Umfang implementiert werden können, ist es unverzichtbar, vorhandene arbeitsmarktpolitische Förderinstrumente entsprechend auszuweiten. So können bei modularen Teilqualifizierungen bislang Grundbildungsmaßnahmen nicht systematisch vorgeschaltet werden. Durch die Anerkennung von Grundbildungsinhalten – und damit auch der sprachlichen Kompetenzen – als Voraussetzung zur beruflichen (Nach-)Qualifizierung werden Unternehmen und Bildungsträger unterstützt, passgenaue Sprachförderkonzepte in Qualifizierungsmaßnahmen für An- und Ungelernte integrieren zu können.

Sprache und Kommunikation in der beruflichen Aus- und Weiterbildung

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