Читать книгу Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext - Группа авторов - Страница 16
Ultraminor literatures
ОглавлениеIn der neueren und vor allem in der systemisch angelegten Weltliteraturforschung wird auf eine terminologische Differenzierung zwischen groß/klein bzw. major/minor zurückgegriffen, um der Dynamik, dem Austausch und dem Wandel in dem in Zentren und Peripherien aufgeteilten Weltliteratursystem Rechnung zu tragen. Die Bezeichnung ‚kleine Literatur‘ findet hier eine breite, undifferenzierte Anwendung und wird sowohl für ,minority-group writing‘ als auch für die Literatur kleiner Länder verwendet (Damrosch 2009: 194). Des Weiteren gebrauchen die Forscher das Begriffspaar ,major/minor‘ in perspektivischer Sicht, was sich besonders gut am nordamerikanischen Kontext beobachten lässt. Mit ‚minor literatures‘ können hier folglich auch „works from languages and regions rarely represented on North American syllabi“ (ebd.) gemeint sein, also theoretisch gesehen auch solche, die in superzentralen Sprachen wie Swahili oder Türkisch geschrieben sind.
Einen letzten Begriff, den ich hier noch anführen möchte, ist das rezent von Bergur Rønne MobergMoberg, Bergur Rønne und David DamroschDamrosch, David vorgeschlagene Konzept der ,ultraminor literatures‘. Die Autoren nehmen Ausmaß und Raum als definierende Kriterien für ,ultraminor literatures‘ an. Räumlich verorten sie diese in ethnischen Enklaven und auf kleinen Inseln. Bezüglich des Ausmaßes heben MobergMoberg, Bergur Rønne und DamroschDamrosch, David hervor, dass
[…] the ultraminor size entails structural handicaps and a systemic lack of capacity and resources connected both to space and to time. In case of small islands, no hinterland, no metropolis, and perhaps not even any large towns, and for ultraminor communities generally, a sense of belatedness, clustered ideas, and a short historicity of modernity. (Moberg, Damrosch 2017: 134)
Neben diesen Defizit- und Prekaritäts-Kriterien werden Ausmaß der Sprachgemeinschaft, Alphabetisierungsrate, Vitalität mündlicher Traditionen, Zugang zu Publikations- und Archivierungsmöglichkeiten und Verbreitung als zusätzliche Kriterien angeführt.
Der analytische Nutzen des Konzeptes ergibt sich nach Aussage Mobergs und Damroschs ausschließlich, wie für die weltliterarische Perspektive üblich, im Vergleich mit größeren Literaturen. Die hier vorgeschlagenen Untersuchungsansätze sind spezifischer als der von DeleuzeDeleuze, Gilles und GuattariGuattari, Félix (siehe unten), da hier konkrete sozioliterarische Überlegungen mit soziohistorischen Fragestellungen verbunden werden. Andererseits ist, ähnlich wie bei DeleuzeDeleuze, Gilles und GuattariGuattari, Félix, die politische Dimension von Bedeutung, denn ,ultraminor literatures‘ sind nicht selten gefährdete Literaturen, die dazu gezwungen sind, Überlebensstrategien zu entwickeln.
Das Aufkommen des Begriffs der ,ultraminor literatures‘ kann als Reaktion auf die Kritik an der neueren Weltliteraturforschung gesehen werden. Beanstandet wurde unter anderem, dass trotz der Verlagerung von einer eurozentrischen zu einer globaleren und inklusiveren Auffassung des Weltliteraturbegriffs die neuen Forschungsansätze frühere Prinzipien der Exklusion, der Provinzialisierung, der Peripheralisierung und der Marginalisierung kleiner Literaturen aufrechterhalten (D’haen 2013).