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Auf dem Weg zu literarischer Mehrsprachigkeit
ОглавлениеAndreas Leben (Graz), Alenka Koron (Ljubljana)
Mit seiner Themensetzung, der literarischen Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext, positioniert sich der vorliegende Band an einer Schnittstelle slawistischer, germanistischer, romanistischer und komparatistischer Forschung. Länder-, regionen- und sprachenübergreifende Vergleiche sind im literaturwissenschaftlichen Feld gewiss keine Seltenheit, sie zielen in der Regel jedoch auf Fragestellungen ab, die eine eingehendere Befassung mit den dahinterstehenden nationalen literarischen Systemen nicht unbedingt erforderlich machen. Eben diese Absicht liegt den hier versammelten Beiträgen zugrunde, die ausgehend von den heutigen literarischen Verhältnissen die Rahmenbedingungen literarischer Mehrsprachigkeit, aber auch das Neben- und Miteinander mehrsprachiger Literaturen anhand zweier nationaler bzw. staatlicher Gebilde, nämlich Österreich und Slowenien, aufeinander beziehen. Die beiden Nachbarländer scheinen für einen solchen Zugang nicht nur aufgrund zahlreicher historischer, politischer und kultureller Gemeinsamkeiten und Verwerfungen besonders geeignet, sondern auch weil sie trotz ihrer gewachsenen sprachlichen Vielfalt auch ein Beispiel für die Wirkmächtigkeit homogenisierender nationaler Ideen sind. Monolinguale Nationalliteraturen mögen in der Tat „eine allenfalls pragmatisch zu rechtfertigende Fiktion“ (Schmitz-Emans 2004: 11) sein, nichtsdestoweniger ist hier die Hegemonie des Deutschen, dort die Hegemonie des Slowenischen nicht zu übersehen, weshalb der Blick auf Minderheiten-, Migrations- anderssprachige oder mehrsprachige Literaturen in beiden Ländern lange Zeit verdeckt blieb. Einleitend sei daher zumindest skizzenhaft auf die Entstehung und die Auswirkungen dieser hegemonialen Verhältnisse eingegangen, die sowohl für die mehrsprachige literarische Produktion als auch für die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Phänomen von maßgeblicher Bedeutung sind, die aber signifikante Unterschiede aufweisen.
Im Allgemeinen kann festgehalten werden, dass der Literatur im slowenischen Zusammenhang eine ungleich höhere identitätsstiftende nationale Funktion zugeschrieben wird, als dies in Österreich der Fall ist, dennoch darf die Bedeutung von Literatur für die Herausbildung und Entwicklung des heutigen Österreich-Bewusstseins nicht unterschätzt werden. Erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als sich das politische Österreich in Anlehnung an die Moskauer Deklaration als ‚erstes‘ Opfer der nationalsozialistischen Aggression zu verstehen begann (vgl. Uhl 2001), löste man sich von der Idee der Zugehörigkeit zur ‚deutschen Sprachnation‘, bis sich schließlich in den 1970er Jahren die Vorstellung von Österreich als einer souveränen Staatsnation mit eigener Identität mehrheitlich etablierte (vgl. Bruckmüller 1998). In fortschreitender Abgrenzung von Deutschland kam es auch zu einer „Nationalisierung des literarischen Feldes“ (Sievers 2016: 23–30), die insbesondere die literarischen Strukturen betraf, von denen viele in den 1970er und 1980er Jahren neu geschaffen wurden. Auch die österreichische Germanistik begann den Staat nun als eigenen Literaturraum zu begreifen (vgl. Zeyringer 1995: 42–53), wobei der Fokus ganz auf der deutschsprachigen Literatur zu liegen kam, obwohl eingeräumt wurde, „daß es hier auch Literatur in mehreren Sprachen zu betrachten gilt“ (Schmidt-Dengler/Zeyringer 1995: 16). Auch der durchschlagende Erfolg des von Peter HandkeHandke, Peter und Helga MračnikarMračnikar, Helga ins Deutsche übertragenen Romans Der Zögling Tjaž (1981) von Florjan LipušLipuš, Florjan vermochte zunächst nur wenig an der Randposition nichtdeutschsprachiger Literatur zu verändern. Noch 1986 stellte der Lyriker Jani OswaldOswald, Jani ironisch fest, dass durch das Gerede um eine Literatur, die im Original fast niemand kenne und die nur zum Teil über gute Übersetzungen zugänglich sei, die Rolle der Kärntner slowenischen Autor_innen als „Exoten“ auf dem Schauplatz der österreichischen Literatur lediglich einzementiert werde (Oswald 1986: 16). Erst mit dem Ende des realen Sozialismus und der politischen Neuordnung Europas begann sich das österreichische literarische Feld für die Literatur der sogenannten Volksgruppen oder autochthonen Sprachminderheiten, vor allem der Kärntner Slowen_innen, später auch für die Literatur von zugewanderten Autor_innen (vgl. Sievers 2017: 30–35) zu öffnen. Ein erstes Zeichen der Sichtbarmachung nichtdeutschsprachiger Autor_innen war Gerald Nitsches Anthologie Österreichische Lyrik … und kein Wort Deutsch (1990) mit Texten von knapp 40 Migrant_innen und Minderheitenangehörigen,1 der noch weitere Anthologien dieser Art folgten, allerdings blieb das wissenschaftliche Interesse an Migrant_innenliteratur wie auch am Thema Migration bis in die frühen 2000er Jahre verhalten.2 Zur bereits früher einsetzenden und zunächst breiteren Wahrnehmung der Literatur der Kärntner Slowen_innen trugen neben der regen literarischen Produktion auch die slowenischen bzw. zweisprachigen Kärntner Verlage, die aufkommende Übersetzungstätigkeit und nicht zuletzt die im Bereich literarischer Mehrsprachigkeit anzusiedelnden komparatistischen und literaturpädagogischen Forschungen an der Universität Klagenfurt wesentlich bei.3 Diese sind auch deshalb von Bedeutung, weil dadurch Texte Kärntner slowenischer Autor_innen Aufnahme in den sich herausbildenden literarischen Mehrsprachigkeitsdiskurs fanden (vgl. Strutz/Zima 1996).Oswald, JaniHaderlap, Maja4 Vor allem die Literaturpädagogik war bestrebt, die Literaturen von Minderheiten und Migrant_innen gleichwertig zu vermitteln (vgl. Wintersteiner 2006: 115, 146–148; Mitterer/Wintersteiner 2009) und räumte ihnen aufgrund ihrer interkulturellen und interlingualen Eigenschaften auch einen Platz innerhalb des Konzepts kulturvermittelnder Weltliteratur ein (Wintersteiner 2006: 240–242, 269–272). Folgerichtig stellte die neuere Literaturgeschichtsschreibung schließlich fest, dass „Mehrsprachigkeit und Multikulturalität am Beginn des 21. Jahrhunderts wieder zu einem wichtigen Element der österreichischen Literatur“ geworden sind (Kriegleder 2011: 571), und nahm daher auch Literatur migrierter oder einer ethnischen Minderheit zuordenbarer Autor_innen in die Gesamtdarstellung österreichischer Literatur auf (vgl. Kriegleder 2011; Zeyringer/Gollner 2012). Nicht alle Institutionen im österreichischen literarischen Feld halten mit dieser Entwicklung Schritt, weshalb sich immer wieder die Notwendigkeit ergibt, Anpassungen vorzunehmen, beispielsweise um auch nicht Deutsch schreibende Autor_innen mit wichtigen nationalen Auszeichnungen und Preisen würdigen zu können.Lipuš, Florjan5
In der Grundtendenz ähnlich und doch wesentlich verschieden sind die Verhältnisse in Bezug auf nichtslowenische Literatur und literarische Mehrsprachigkeit in Slowenien. Die im 19. Jahrhundert postulierte Existenz einer slowenischen Sprach- und Kulturnation, die sich unter anderem gerade durch die Berufung auf die Literatur legitimierte und emanzipierte, fand gewissermaßen ihre Erfüllung in der 1991 ausgerufenen staatlichen Souveränität Sloweniens.6 Die Literatur und ihre Repräsentanten und Institutionen verloren danach rasch an ‚nationaler‘ Bedeutung, jedoch etablierte sich das Slowenische als die gesellschaftlich und literarisch dominante Sprache. Die autochthonen ethnischen Minderheiten erhielten umfassende Rechte, wurden aber genauso wie die zahlenmäßig zum Teil weitaus stärkeren, als Minderheit jedoch nicht anerkannten Ethnien aus den anderen ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens im neu entstandenen slowenischen literarischen Feld marginalisiert.7 Folglich gab es kaum Anlass, unter ‚slowenischer Literatur‘ etwas anderes zu verstehen als in slowenischer Sprache geschriebene Literatur, und zwar unabhängig davon, wo sie entsteht und veröffentlicht wird. Nicht zuletzt wird dieses Bild durch die slowenische Literaturgeschichte verfestigt, die seit ihren Anfängen auf in slowenischer Sprache geschriebene Literatur abgestellt ist.8 Eine neue, konzeptuell die Gesamtheit der Sprachen und Literaturen Sloweniens berücksichtigende Literaturgeschichte liegt zwar nicht vor, jedoch hat Miran HladnikHladnik, Miran bereits nachdrücklich darauf hingewiesen, dass der Begriff ‚slowenische Literatur‘ wesentlich breiter gefasst werden muss, als dies in den bisher erschienenen Literaturgeschichten der Fall ist. Seiner Ansicht nach ist Slowenisch als Sprache des Originals für die Einordnung eines Textes unter diesen Begriff kein Schlüsselkriterium mehr, vielmehr seien auch Übersetzungen ins oder aus dem Slowenischen und anderssprachige Literatur slowenischer oder anderer Autor_innen, die in Slowenien gelesen werden, ebenfalls zu berücksichtigen (Hladnik 2013: 323). Um überhaupt eine „emanzipierte Diskussion“ über die verschiedenen Literaturformen im slowenischen Zusammenhang zu ermöglichen, schlug er des Weiteren vor, statt des üblichen Terminus ‚slowenische Literatur‘ den Begriff „literatura na Slovenskem“ (‚Literatur im slowenischen Raum‘) zu verwenden (Hladnik 2016: 49).9 Die Bestrebungen, die interkulturelle Verfasstheit der slowenischen Gesellschaft und Literatur stärker ins Bewusstsein zu heben, nehmen ihren Ausgang Mitte der 2000er Jahre, als die Anglistin und Literaturhistorikerin Meta GrosmanGrosman, Meta 2004 einen vielbeachteten Band zum Thema Literatur in der interkulturellen Kommunikation veröffentlichte. Schon im darauffolgenden Jahr war das traditionelle Sommerseminar an der Universität Ljubljana der Multikulturalität in der slowenischen Sprache, Literatur und Kultur gewidmet (vgl. Stabej 2005), und in den Jahren 2004 bis 2007 beschäftigten sich Janja Žitnik SerafinŽitnik Serafin, Janja, Lidija DimkovskaDimkovska, Lidija und Maruša Mugerli LavrenčičMugerli Lavrenčič, Maruša in einem Forschungsprojekt mit dem literarischen und kulturellen Bild der Einwanderer in Slowenien, aus dem unter anderem eine bis heute zentrale Monographie zur Lage der Migrantenliteratur und -kultur im slowenischen Raum hervorging (vgl. Žitnik Serafin 2008). Ebenfalls 2008, im Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs unter slowenischer EU-Ratspräsidentschaft, wurde anlässlich des Slowenischen Slawistenkongresses in Klagenfurt, der zugleich dem 500. Geburtstag des Reformators und Begründers der slowenischen Schriftsprache Primož TrubarTrubar, Primož gewidmet war, der Versuch unternommen, die interkulturelle Slowenistik in Fachvorträgen (vgl. Košuta 2008) und durch einen Runden Tisch zum Thema10 stärker zu profilieren. Mittlerweile haben die Themen Interkulturalität und Mehrsprachigkeit Eingang in zahlreiche gesellschafts- und geisteswissenschaftliche Forschungsbereiche gefunden, zumal es in Slowenien eine lange Tradition in der Ethnizitäts- und Minderheitenforschung gibt, wohingegen sie in der slowenistischen Literaturwissenschaft, aber auch im slowenischen literarischen Feld insgesamt noch immer eher ein Randthema sind. Neben Miran HladnikHladnik, Miran, der in seinen Forschungen in erster Linie die Literaturbeziehungen in der älteren slowenischen Literatur in den Blick nimmt, und Silvija BorovnikBorovnik, Silvija, die sich seit den 1990er Jahren mit interkulturellen Aspekten und Mehrfachzugehörigkeiten in der zeitgenössischen slowenischen Literatur auseinandersetzt (vgl. Borovnik 2017), widmen sich zwar auch zahlreiche andere Forscher_innen mitunter diesem Themenkomplex, trotzdem hat sich weder in der slowenischen noch in der slawistischen noch in der vergleichenden Literaturwissenschaft ein Forschungszweig herausgebildet, der sich speziell mit literarischer Mehrsprachigkeit beschäftigen würde. Sogar der Begriff ‚literarische Mehrsprachigkeit‘, dem im Slowenischen die Bezeichnungen ‚literarna večjezičnost‘ oder ‚literarno večjezičje‘ entsprechen, scheint, gemessen an der Häufigkeit seiner Verwendung, fast noch ein Neologismus zu sein.
Dass die Konzeption und Anwendung inter- und transkultureller Forschungszugänge, aber auch die Verhältnisse und Regelungen im slowenischen literarischen Feld in Bezug auf literarische Mehrsprachigkeit auf verschiedene Hindernisse stoßen, wie sie auch in den Beiträgen dieses Bandes zur Sprache kommen werden, mögen folgende Beispiele illustrieren: 2012 änderte der Slowenische Schriftstellerverband seine Statuten dahingehend, dass auch nicht Slowenisch schreibende Autor_innen dem Verband beitreten können. Dieser ermöglichte auch das Erscheinen einer mehrsprachigen Literaturanthologie (Dimkovska 2014), in der 34 Migrant_innen und Angehörige der autochthonen Minderheiten in Slowenien vertreten sind, die strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen zur Förderung und Verbreitung anderssprachiger oder mehrsprachiger Literatur haben sich ansonsten aber kaum verändert. So gibt es in Slowenien bis heute keine Institution, die etwa mit dem Verein Exil, der Initiative Minderheiten oder Initiativen wie dem Hohenemser Literaturpreis vergleichbar wäre.11 Nach wie vor virulent ist die von der in Slowenien lebenden US-amerikanischen Schriftstellerin Erica Johnson DebeljakJohnson Debeljak, Erica (2013) aufgeworfene Frage, wer eigentlich ein slowenischer Schriftsteller sein darf, und ob es nicht möglich sein sollte, den renommierten Kresnik-Preis auch an Autor_innen wie die Deutsch schreibende Kärntner Slowenin Maja HaderlapHaderlap, Maja zu vergeben. In gewisser Weise hat das slowenische Schulwesen diese Frage jüngst beantwortet, denn als Thema für den Essay bei der Zentralmatura 2019 aus dem Fach Slowenisch hat die zuständige Kommission Maja HaderlapsHaderlap, Maja Roman Engel des Vergessens in der Übersetzung von Štefan VevarVevar, Štefan ausgewählt (Božič/Špacapan/Adam 2018).
Die hier skizzierten Entwicklungslinien im österreichischen und slowenischen Diskurs rund um Mehrsprachigkeit und Literatur machen auch deutlich, dass der Grad individueller, kollektiver, gesellschaftlicher, territorialer und institutioneller Mehrsprachigkeit für sich genommen für deren Präsenz und Akzeptanz nur wenig Aussagekraft hat. So zählt Slowenien in Bezug auf die Zwei- und Mehrsprachigkeit seiner Bewohner_innen zu den Spitzenreitern in der Europäischen Union (European Commission 2012: 15), trotzdem scheinen gegenwärtig die Voraussetzungen für die Produktion, Verbreitung und Rezeption mehrsprachiger Literatur in Österreich, das sich statistisch gesehen lediglich im europäischen Mittelfeld befindet (ebd.), wenn auch nicht ideal, so doch ungleich besser zu sein.12 Dabei nimmt die Mehrsprachigkeit der EU-Bevölkerung im Vergleich zu 2005, wie aus den von der Europäischen Union in Auftrag gegebenen Umfragen hervorgeht, grosso modo ab (ebd.: 5, 142). Die „Polygamie der Sprachen“, von der Beck und Grande in ihrem Appell für eine „innere Kosmopolitisierung“ Europas sprechen, womit sie das Erlernen von Englisch als Drittsprache und einer weiteren europäischen oder nichteuropäischen Sprache als Zweitsprache meinen, scheint demnach auf der Stelle zu treten. Mehr noch: Die Feststellung, dass manche europäischen Länder eine zugleich protektionistische und imperialistische Sprachenpolitik betreiben und die nationale Kultur und Identität ihrer Sprache „schützen“ und in ihrem Geltungsbereich „ausdehnen“ wollen, während andere um das Überleben ihrer Sprache „kämpfen“ und wiederum andere sich auf der globalen Geltung ihrer Sprache „ausruhen“ können (Beck/Grande 2004: 158), hat nichts an Gültigkeit verloren, wobei die Wortwahl wohl nicht von ungefähr daran erinnert, dass Sprachenpolitik als ein umkämpftes Feld widerstreitender Interessen aufgefasst werden muss. Von daher scheint es geboten, den Mehrsprachigkeitsdiskurs – ob in den Erziehungswissenschaften, der Fremdsprachendidaktik, der Linguistik oder den Literaturwissenschaften – immer auch im Kontext der jeweiligen politischen, ideologischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten und Kräfteverhältnisse zu denken, zumal die enge gesellschaftliche Bindung auch dafür ausschlaggebend sein dürfte, dass dieser Forschungszweig seit Jahrzehnten einen beachtlichen Boom verzeichnet, der längst auch die Literaturwissenschaften erreicht hat. Aus der Forschungsgeschichte geht überdies hervor, dass das Phänomen literarischer Mehrsprachigkeit zumeist innerhalb von Einzelphilologien untersucht wird, die im Normalfall nur wenig Notiz voneinander nehmen.13 Als „ruhmreiche Ausnahme von der Blindheit der Nationalphilologien für Sprachwechsel und -mischung“ (Dembeck 2017: 153) kann die Romanistik genannt werden, die „immer schon mehrere Sprachgebiete und Nationen abdeckt“. Ähnliche Voraussetzungen böte an sich die Slawistik, vor allem jene außerhalb der slawischen Länder,14 allerdings kann das weitgehende Fehlen aussagekräftiger Bestandsaufnahmen zu diesem Thema als Hinweis darauf gelten, dass in der Slawistik wie auch in den Nationalphilologien vieler slawischer Länder, so in Slowenien, die literarische Mehrsprachigkeit ein relativ junges und wenig etabliertes Forschungsfeld ist.15
Wenn die lebensweltliche Mehrsprachigkeit einer Gesellschaft oder eines Landes nicht zwangsläufig zu einer größeren Sichtbarkeit literarischer Mehrsprachigkeit führt, unterstreicht dies die Bedeutung der Verhältnisse im literarischen Feld und der Intensität der Bindung der jeweils dominanten (Literatur-)Sprache an essenzialistische Kategorien und Konstruktionen wie Ethnizität, Nation, Identität. Im slowenischen Kontext sind diese Kategorien in deutlich größerem Maß wirksam, was sich auch am literaturwissenschaftlichen Diskurs ablesen lässt. Dies gilt auch für den Umgang mit der slowenischen Literatur in Kärnten bzw. der Literatur der Kärntner Slowen_innen, die ein zentrales Bindeglied zwischen Österreich und Slowenien bzw. zwischen der Germanistik, Slawistik und Komparatistik der beiden Länder darstellt. Denn während die österreichische Literaturwissenschaft seit mehreren Jahrzehnten zumeist die interkulturellen, zwei- oder mehrsprachigen Aspekte dieser Literatur in den Mittelpunkt rückt, wurde insbesondere das deutschsprachige literarische Schaffen der Kärntner Slowen_innen seitens der slowenischen Literaturwissenschaft bis vor wenigen Jahren mit wenigen Ausnahmen außer Acht gelassen. Später wurde diese Praxis mitunter als mögliches Anzeichen von Assimilation (vgl. Bandelj 2008: 175) oder schlicht als trauriges Faktum gedeutet (vgl. Borovnik 2008: 53–54), während sie heute – zusammen mit der Literatur von Slowenien nach Österreich migrierter Autor_innen – wiederum als „Musterfall“ literarischer Interkulturalität erachtet wird (Borovnik 2017: 71).
Die zwei- und mehrsprachige literarische Praxis der Kärntner Slowen_innen diente auch als Angelpunkt für die hier versammelten Beiträge. Denn was sie über den österreichischen und slowenischen Kontext hinaus interessant macht, ist nicht nur ihre heterogene Entwicklung in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten, sondern auch die Tatsache, dass sie Gegenstand einer breit gefächerten, nicht nur literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung ist, wie sie für eine kleine Literatur keine Selbstverständlichkeit darstellt. So bietet diese Literatur mit ihren vielfältigen Formen, Funktionen und Paradoxen, ihren Institutionen und ihrer Einbindung in Diskurse, die von traditioneller Heimatliteratur bis hin zur Weltliteratur reichen, ideale Voraussetzungen für die Anbindung an Fragen nach der Funktionsweise literarischer Felder und Systeme wie auch für die Diskussion minoritärer, überregionaler, polyphoner, migrantischer und transkultureller Literaturen, deren gemeinsames Merkmal Mehrsprachigkeit ist.
Obwohl es sich angeboten hätte, die Beiträge nach Kriterien wie diesen in mehrere Abschnitte zu gliedern, werden sie hier in loser Abfolge, die vom Allgemeinen zum Speziellen führt, aneinandergereiht, auch um die unterschiedlichen Zugänge zu den behandelten Themen nicht durch einen hervorgehobenen theoretisch-methodischen Teil zu überlagern. Zugleich soll die Anordnung die Möglichkeit bieten, bestimmten Diskurslinien in der Auseinandersetzung mit der Literatur der Kärntner Slowen_innen, der Slowen_innen in Italien und der italienischen Minderheit im kroatischen und slowenischen Istrien sowie der Literatur mehrsprachiger oder migrierter Autor_innen im österreichischen und slowenischen Kontext zu folgen, wobei ein Bogen gespannt wird, der von der Gegenwart bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht.
Am Beginn steht der Beitrag von Marko Juvan, der ausgehend vom multilingualen und weltliterarischen Diskurs analysiert, wie das welt-systemische Kapital Druck auf die seit etwa 200 Jahren vorherrschenden nationalen literarischen Systeme und das literarische Welt-System ausübt und zu (literarischer) Einsprachigkeit zwingt. Periphere, minoritäre, regionale oder migrantische Literaturen erweisen sich aus dieser Perspektive als Refugien der sterbenden liberalen Idee der Multikulturalität, die selbst wiederum die marktbedingten Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse lediglich verschleiert. Wenn jenseits linksliberaler intellektueller Kritik und religiös-fundamentalistischer, nationalistisch-rassistischer und populistischer Bewegungen Widerstand gegen die ökonomische Logik des Kapitals formiert und Mehrsprachigkeit mit tatsächlicher Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung ausgestattet werden soll, gelte es, fortschrittliche gesellschaftliche Praktiken, eine andere theoretische Sprache und ein alternatives literarisches Ökosystem zu etablieren. Im Spannungsfeld von nationalen und weltliterarischen Konzeptionen, des Zentrum-Peripherie-Diskurses und marktökonomischer Aspekte ist auch der Beitrag von Jeanne E. Glesener angesiedelt, der in kritischer Auseinandersetzung mit DeleuzeDeleuze, Gilles und GuattariGuattari, Félix den vielschichtigen Terminus ‚kleine Literaturen‘ aus forschungsgeschichtlicher Perspektive beleuchtet. Mit Blick auf die Rolle der Mehrsprachigkeit wird eine differenzierte Begriffstypologie erstellt, die auch berücksichtigt, ob es sich bei den gebräuchlichen Begriffen um Fremdzuschreibungen dominanter oder Selbstbeschreibungen dominierter Literatursysteme handelt. Die daraus resultierende vorläufige Typologie kleiner europäischer Literaturen legt nahe, kleine Literaturen außerhalb nationaler und einsprachiger Prämissen zu denken, ihre womöglich eigenen Ästhetiken verstärkt zu untersuchen und deren literaturtheoretisches Potenzial für eine pluralistisch angelegte Literaturentwicklung zu nutzen. Solche Potenziale legt gerade auch die literarische Komparatistik der Alpen-Adria-Region frei, an die das von Andreas Leben am Beispiel der Literatur der Kärntner Slowen_innen vorgestellte Modell für die Erforschung überregionaler, zwei- oder mehrsprachiger literarischer Interaktionsräume methodologisch anschließt. Von anderen raumbasierten Konzepten unterscheidet sich das an Bourdieu, LefebvreLefebvre, Henri und LotmanLotman, Jurij orientierte Modell, das ohne ethnische, nationale und identitätsbildende Kategorisierungen auszukommen versucht, vor allem darin, dass es sich nicht mit exemplarischen Beobachtungen begnügt, sondern die Erhebung empirischer Daten voraussetzt, anhand derer konkrete Aussagen über die Beschaffenheit und Stabilität inkorporierter mehrsprachiger literarischer Felder möglich sind. Die Einbettung der Literatur von Kärntner Slowen_innen in einen solchen Interaktionsraum ermöglicht nicht nur einen anderen konzeptuellen Zugang zu literarischer Mehrsprachigkeit, sondern auch zu den damit verbundenen Institutionen, Repertoires und Modellen, die Erwin KöstlerKöstler, Erwin in den Blick nimmt, und zwar unter dem Aspekt, dass auch deutschsprachige Autor_innen in zunehmendem Ausmaß diese Angebote und Möglichkeiten nutzen, was auch Auswirkungen auf die Formen literarischer Mehrsprachigkeit auf der Textebene bei deutschsprachigen Autor_innen verschiedener Provenienz wie Peter HandkeHandke, Peter, Hugo RamnekRamnek, Hugo, Simone SchönettSchönett, Simone, Thomas PodhostnikPodhostnik, Thomas, Mathias Grilj und Peter WaterhouseWaterhouse, Peter nach sich zieht. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass sich die Kärntner slowenischen Autor_innen zusehends von den traditionellen Verlagen und Modellen abwenden, wie Dominik Srienc in seinem Beitrag darlegt. Er fokussiert auf die zwischen Tradition und Innovation oszillierenden zwei- und mehrsprachigen, intermedialen und digitalen Praxen bei Autor_innen wie Nikolaj EfendiEfendi, Nikolaj, Stefan FeinigFeinig, Stefan, Verena GotthardtGotthardt, Verena, Amina MajetićMajetić, Amina, Elena MessnerMessner, ElenaMessner, Janko, Aljaž PestotnikPestotnik, Aljaž, Dominik SriencSrienc, Dominik und Nina ZdoucZdouc, Nina, die zur neuen Kärntner slowenischen Literatur gezählt werden können und deren Literatur nicht mehr an einen spezifischen Ort oder eine spezifische Sprache gebunden ist, was auch den Begriff der ‚Kärntner slowenischen Literatur’ zu einem uneindeutigen, von Transformationsprozessen geprägten, beweglichen Gefüge macht. Als ein Feld der Uneindeutigkeiten erweisen sich auch die Biographien Kärntner slowenischer Autor_innen, denen Felix Kohl in repräsentativen slowenischen und deutschsprachigen Nachschlagewerken und Internetplattformen nachspürt. Auch hier zeigt sich, dass die Anwendung nationalstaatlicher, ethnischer und sprachlicher Kriterien – je nach Dominanz des zugrundeliegenden national(sprachlich)en literarischen Systems – zu durchwegs unterschiedlichen oder eklektischen Repräsentationen führt, die in Summe wiederum Spiegel der literarischen Praxen und der Position dieser Autor_innen an der Peripherie zweier literarischer Systeme sind und als solche für die Biographieforschung eine besondere Herausforderung darstellen. Florjan LipušLipuš, Florjan, einer der wenigen Kärntner slowenischen Autoren, die sich selbst immer als ‚slowenische Schriftsteller‘ bezeichnet haben, schreibt und publiziert fast ausschließlich in slowenischer Sprache. Dass sein Werk dennoch von Mehrsprachigkeit geprägt und durchzogen ist, zeigt der Beitrag von Silvija Borovnik, in dem Lipušʼ Sprache und die metadiskursive Auseinandersetzung mit Sprache, insbesondere mit der Muttersprache, in seinen drei jüngsten Erzählungen analysiert wird. Der Mehrsprachigkeit im Werk eines weiteren Kärntner Schriftstellers, der dem zweisprachigen literarischen Feld zugezählt werden kann, widmet sich Vanessa Hannesschläger, indem sie der Frage nachgeht, welche Rolle Vielsprachigkeit in den Bühnentexten Peter HandkesHandke, Peter spielt, wie sie sich manifestiert und verändert. Der Analyse liegen ausgewählte Texte aus der Datenbank Handke: in Zungen zugrunde, die belegen, dass der Autor in den letzten zwei Jahrzehnten den integrierten Sprachenkanon signifikant erweitert hat, darunter auf ‚Randsprachen‘ wie Arabisch und die südslawischen Sprachen. Was die Vermittlung serbokroatischer bzw. kroatischer, bosnischer und serbischer Literatur in den deutschsprachigen Raum mit dem zweisprachigen literarischen Feld zu tun hat, erläutert Elena Messner anhand der Vermittlungsarbeit der Kärntner slowenischen Verlage Drava und Wieser. Dass zwei Kleinverlage zuweilen den Import dieser Literatur(en) entscheidend mitbestimmen konnten, führt die Verfasserin auch auf die Minderheiten- bzw. Identitätspolitik der Kärntner Slowen_innen zurück, die eine primär kulturell und politisch ausgerichtete Verlagstätigkeit hervorgebracht hat, die über das nötige kulturelle Kapital verfügte, als das Interesse an ex-jugoslawischer Literatur in den 1990er Jahren zunahm. Der Zerfall Jugoslawiens hatte nicht nur einschneidende Auswirkungen auf die Gesellschaft und das Leben vieler Menschen in Slowenien, er veränderte auch die Schreibsituation von Autor_innen und das slowenische literarische Feld, wie Alenka Koron am Beispiel des mehrsprachigen literarischen Schaffens des bosnischen ‚Zuwanderers‘ Josip OstiOsti, Josip und des in Ljubljana geborenen ‚Bestsellerautors‘ Goran VojnovićVojnović, Goran ausführt. Doch ebenso, wie viele Menschen aus den Teilrepubliken des ehemals gemeinsamen Staates im unabhängigen Slowenien nicht integriert wurden, blieben auch die meisten der in erster oder zweiter Generation zugewanderten Autor_innen isoliert und wurden bzw. werden nur in Ausnahmefällen von der slowenischen literarischen Öffentlichkeit wahrgenommen. Die Gründe für diese Ghettoisierung führt Lidija Dimkovska in ihrem Beitrag auf, in dem sie auch Vorschläge für eine Verbesserung der Situation nach Slowenien zugewanderter Autor_innen macht, die in ihrer Erst- oder Zweitsprache schreiben. Ein gänzlich anderes Umfeld finden die slowenischen Literaturschaffenden in Friaul-Julisch Venetien vor, das Miran Košuta anhand eines typologisch fundierten Panoramas der zwei- oder mehrsprachigen literarischen Praxen von ca. sechzig zeitgenössischen Literaturschaffenden von Boris PahorPahor, Boris bis Igor PisonPison, Igor entfaltet. Viele schreiben nur auf Slowenisch, manche auch in slowenischer Mundart oder auf Italienisch, etliche übersetzen sich selbst in eine der beiden Sprachen, aber nur wenige von ihnen können als tatsächlich literarisch zweisprachig gelten. Ähnliches gilt für die italienischsprachigen Autor_innen im kroatischen und slowenischen Istrien, deren Schaffen Nives Zudič Antonič in einem umfassenden Abriss vorstellt. Die meisten von ihnen schreiben in einer Standardvarietät des Italienischen oder einem der istrovenezianischen oder istroromanischen Dialekte, verwenden aber in ihren Texten oft dialektale Ausdrücke oder Lehnwörter aus den in der Region gebräuchlichen oder auch aus anderen Sprachen, wie am Beispiel eines Dramentextes von Diego RunkoRunko, Diego erläutert wird. Dass sich gerade Istrien im Gefüge des ungewöhnlich vielfältigen Kontinuums der Literaturen der Alpen-Adria-Region aufgrund der mehrsprachigen Produktions- und Rezeptionsbedingungen durch ein besonders hohes Maß an kultureller Pluralität und Polyphonie auszeichnet, verdeutlicht Johann Strutz in seinem Plädoyer für regionale Sprachspiele und literarische Spielräume, die als reales und utopisches Moment in der Lage sind, durch permanente Sprachmischung die Kohärenz nationaler literarischer Felder erfolgreich zu unterlaufen, wie unter anderem am Beispiel Fulvio TomizzaTomizza, Fulvio und Milan RakovacRakovac, Milan gezeigt wird. Wenn das literarische Schaffen in der Erstsprache als ein Fundament für das Überleben der italienischen Volksgruppe in Istrien oder auch der slowenischen Minderheit in Kärnten erachtet werden kann, so verhält es sich mit der Literatur und Sprachwahl migrierter Autor_innen sichtlich anders. Nicht in der Erstsprache zu schreiben, ist ein gemeinsames Merkmal so unterschiedlicher Autoren wie Vladimir VertlibVertlib, Vladimir, Semier InsayifInsayif, Semier und Tomer GardiGardi, Tomer, an deren Beispiel sich Sandra Vlasta mit Formen latenter Mehrsprachigkeit und Mehrschriftlichkeit in deutschsprachigen Texten österreichischer Migrationsliteratur beschäftigt, die sie nicht biographisch, sondern thematisch per se als mehrsprachige Literatur definiert. Eingegangen wird auch auf die Rezeption der behandelten Texte und die Schwierigkeit der Partizipation mehrsprachiger Autor_innen und Texte am deutschsprachigen Literaturbetrieb. Die abschließenden Beiträge kontrastieren die heutige Situation mit den literarischen, nationalen und ideologischen Gegebenheiten während des Ersten Weltkriegs sowie im ausgehenden 19. Jahrhundert. Matjaž Birk und Sašo Zver untersuchen anhand der in der Marburger Zeitung zwischen 1914 und 1918 veröffentlichten Erzählungen und Gedichte Deutsch schreibender Autor_innen die darin repräsentierten Identitätsnarrative, die in zeitgeschichtlichen, insbesondere mit dem Krieg verbundenen Themen zum Ausdruck kommen und in der Regel auf dem Mechanismus der Abgrenzung bzw. des Ausschlusses des Anderen beruhen. Die traditionelle kulturelle und sprachliche Heterogenität der steirischen und Krainer Region wird dabei programmatisch ausgeblendet, es finden sich jedoch Repräsentationen entfernter, pluriethnischer, multilingualer Räume an den Grenzgebieten der Habsburgermonarchie und insbesondere Deutschlands, denen stellenweise Mehrsprachigkeit eingeschrieben ist, die aber aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse und des Einflusses von Patriotismus, Heimatideologie und Religiösität die Ansätze für Mehrsprachigkeit ebenso versiegen lassen wie für die Inszenierung alternativer sozialer Praktiken. Dass die deutschsprachige Literatur solche alternativen, binäre Inklusions-Exklusions-Schemata überwindende Inszenierungen durchaus kannte, erhellt der Beitrag von Alexandra Millner. Ausgehend von ihren auf Transdifferenz und Intersektionalität beruhenden Forschungen zur Literatur (binnen-)migrierter Autorinnen in Österreich-Ungarn im Zeitraum von 1867 bis 1918 illustriert die Verfasserin anhand eines Textes der Wiener Wanderschauspielerin und Autorin Ada ChristenChristen, Ada (d.i. Christiane Breden) aus dem Jahr 1876, wie der universalistische Anspruch gesellschaftlicher Normen und kodifizierte Verhaltensweisen durchbrochen wurden. Am Beispiel der Slowenisch, Deutsch und Kroatisch schreibenden Autorin Zofka KvederKveder, Zofka wird auf die Problematik ungenauer oder verfälschter Sprachbiographien aufmerksam gemacht, die ihren Ursprung in den tradierten nationalistisch geprägten Diskursen zu haben scheinen. Einen solchen Diskurs nimmt abschließend Miran Hladnik in den Blick, der sich in seinem Beitrag mit dem in der slowenischen Literaturgeschichte unterrepräsentierten Aspekt der Deutsch und Slowenisch schreibenden Autor_innen im slowenischen Raum des 19. Jahrhunderts beschäftigt und mit seiner Darstellung dezidiert von den bisher praktizierten Mustern ‚slowenischer‘ Literaturgeschichte als Geschichte der in slowenischer Sprache verfassten Literatur abrückt. Im Fokus steht das von nationalen Interessen, Programmen und Spannungen geprägte Verhältnis zwischen den um den Erhalt ihrer kulturellen Hegemonie ringenden ‚Deutschen‘ und den sich kulturell emanzipierenden ‚Slowenen‘. Der Beitrag will nicht als akademische Randnotiz verstanden werden, sondern soll Anreiz für eine breitenwirksame Neuverhandlung der Sinngebung von Identität bieten, zumal das Scheitern damaliger alternativer interkultureller Kulturkonzepte darauf zurückgeführt werden kann, dass nur die slowenischen Autor_innen zweisprachig waren.
Indem HladnikHladnik, Miran als Inspiration für seine neuerliche Auseinandersetzung mit den slowenisch-deutschen Verhältnissen im literarischen 19. Jahrhundert die Aufnahme von Autor_innen wie Maja HaderlapHaderlap, Maja und Erika Johnson DebeljakJohnson Debeljak, Erica in das gegenwärtige System slowenischer Literatur nennt, schließt sich in gewisser Weise auch der Kreis der in diesem Band behandelten Themen. Viele der angesprochenen Bereiche, die mit literarischer Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext zu tun haben, konnten nur gestreift werden, andere mussten hier gänzlich außer Acht gelassen werden. Doch wenn der Band mehr Fragen aufwirft als er zu beantworten vorgibt, dann, so die Hoffnung der Herausgeberin und des Herausgebers, vermag er vielleicht auch über den Mehrsprachigkeitsdiskurs hinaus etwas zu bewegen.