Читать книгу Handbuch des Deutschen in West- und Mitteleuropa - Группа авторов - Страница 13
4.3 Rechtliche Stellung des Deutschen Die Kopenhagener Erklärung von 1955
ОглавлениеDie Kopenhagener Erklärung für die deutsche Minderheit von 1955 ist eine parallele Erklärung zur Bonner Erklärung für die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein. Mit den fast gleichlautenden unilateralen Bonn-Kopenhagener-Erklärungen wurden die zwei Minderheiten gleichberechtigt anerkannt. Die Erklärungen garantieren den beiden Minderheiten ihre allgemeinen Rechte und die formelle Gleichberechtigung, und eine subjektive Definition des Nationalitätsprinzips wurde festgestellt. Wörtlich heißt es: „Das Bekenntnis zum deutschen/dänischen Volkstum und zur deutschen/dänischen Kultur ist frei und darf von Amts wegen nicht bestritten und nachgeprüft werden“ (Art. II.1). Auch der Gebrauch der deutschen Sprache von den Angehörigen der deutschen Minderheit ist in der Kopenhagener Erklärung wie folgt garantiert: „Angehörige der deutschen Minderheit und ihre Organisationen dürfen am Gebrauch der gewünschten Sprache in Wort und Schrift nicht behindert werden“ (Art. II.2).
Die Erklärung macht keine Aussage über die Minderheitensprache als Verbindung zum Verwandtschaftsstaat oder als Muttersprache der Mitglieder. Darin heißt es lediglich, dass die Mitglieder der deutschen Minderheit und ihre Organisationen nicht daran gehindert werden dürfen, die Sprache ihrer Wahl zu sprechen und zu schreiben. Es wird jedoch hinzugefügt, dass die Verwendung der Minderheitensprache „in Gerichten und Verwaltungsbehörden den einschlägigen Rechtsvorschriften unterliegt“ (Art. II.3).
Die Verwendung der Formulierung „die gewünschte Sprache“ anstelle von „die Minderheitensprache“ macht den Absatz interpretierbar. Aus heutiger Sicht bestand jedoch 1955 kein Zweifel daran, dass die Absicht der Erklärung zur Sprachverwendung darin bestand, den Mitgliedern der Minderheit die Wahl der Minderheitensprache zu gewähren. Zu dieser Zeit waren Sprachpolitik und Sprachplanung in den meisten europäischen Nationalstaaten von der Idee des Sprachnationalismus dominiert. Ihr zufolge sind nationale Identität und eine nationale Sprache naturgemäß und untrennbar miteinander verbunden. Die Nationalsprache gilt in diesem Konzept als Ausdruck der Solidarität des Volkes sowie der Einheit der Nation und ist das Bindeglied zwischen dem Verwandtschaftsstaat und den nationalen Minderheiten. Andererseits beinhaltet die Idee des Sprachpluralismus ein Konzept von Mehrsprachigkeit und sprachlicher Vielfalt und akzeptiert, dass jede Sprache oder jeder Dialekt eine Reihe von Bereichen hat, in denen ihr bzw. ihm ein hoher Stellenwert zukommt. Wenn der Wortlaut der Kopenhagener Erklärung „die gewünschte Sprache“ sprachpluralistisch interpretiert wird, könnten die deutschen Minderheitsmitglieder bis auf wenige Ausnahmen Deutsch oder eine deutsche Variante, Dänisch oder den dänischen Dialekt Sønderjysk verwenden. Im täglichen Leben zeigt sich ein Sprachverhalten, das diesen Sprachpluralismus widerspiegelt. Einige ältere Mitglieder der Minderheit interpretieren den Wortlaut jedoch eher sprachnationalistisch und plädieren für die alleinige Verwendung der Minderheitensprache. Das Nebeneinander dieser beiden Konzepte führt zu einer anhaltenden Sprachdebatte.