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3 Geschichte

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Die deutsche Minderheit ist das Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung des Herzogtums Schleswig. Schleswig war ursprünglich ein fester Bestandteil des dänischen Königreiches, wurde aber im Laufe des 13. Jahrhunderts – als Folge der Belehnungspraxis der dänischen Könige – ein eigenes Herzogtum, das bis 1864 durch Personalunion mit Dänemark verbunden blieb. Über Jahrhunderte lebten Dänen und Deutsche friedlich zusammen, und es wurden als Volksprachen sowohl Dänisch, d.h. ein südjütischer Dialekt, als auch Niederdeutsch und später Hochdeutsch gesprochen. Die überwiegend südjütischsprechenden Deutschgesinnten in Nordschleswig haben ihre Wurzeln in den Volkstumskämpfen, während derer der nationale Gedanke des 19. Jahrhunderts an Bedeutung gewann. Im Königreich Dänemark traten die Nationalliberalen, unterstützt von den Führern der dänischgesinnten Schleswiger, für die Eidergrenze ein und damit für die Eingliederung des Herzogtums Schleswig nach Dänemark. Die Schleswig-Holsteiner und die Deutschgesinnten hingegen verfolgten die Eingliederung Schleswigs und Holsteins nach Preußen. Die Schleswig-Holsteinische Erhebung 1848 bis 1851 (Treårskrigen) führte zu keiner Lösung der Probleme. Der Deutsch-Dänische Krieg 1864 und die folgende Abtretung Schleswigs an Österreich/Preußen (ab 1866 Preußen allein) brachte hingegen radikale Veränderungen. Während die deutschgesinnte Bevölkerung in Schleswig sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr als nationale Minderheit innerhalb der dänischen Monarchie verstand, waren gleichzeitig umgekehrt die Dänischgesinnten zur Minderheit in Preußen geworden. Die preußische Obrigkeit versuchte die Dänen bezüglich Sprache und Kultur zu assimilieren. Seit 1888 wurde Deutsch überall als Schulsprache durchgesetzt; Dänisch dagegen wurde zu einem Schulfach. Amtssprache und die Sprache in den Kirchen waren schon Deutsch. Diese Politik führte dazu, dass sich die Dänischgesinnten in mehreren nationalen Vereinen in den Bereichen Sprache, Kultur und Schule zu organisieren begannen, in denen sie trotz der preußischen Annexion und Assimilationspolitik am Wunsch nach der Vereinigung mit Dänemark festhielten.

Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg wurde die Grenzfrage 1920 auf der Grundlage der Prinzipien des Selbstbestimmungsrechtes der Völker mit Volksabstimmungen angegangen. In der damaligen Zone 1, die sich nördlich der heutigen deutsch-dänischen Grenze erstreckte, nahmen 1920 91,5 Prozent der Stimmberichtigten teil, von denen zirka 75 Prozent für einen Anschluss an Dänemark votierten – in Städten, die nahe der heutigen Staatgrenze liegen wie Hoier/Højer, Tondern/Tønder und Tingleff/Tinglev, stimmte die Mehrheit jedoch für Deutschland. Dieses Resultat führte zur Abtretung Nordschleswigs an Dänemark und zur Wiedereinführung von Dänisch als Amts-, Schul- und Kirchensprache in diesem Gebiet. Die Deutschgesinnten organisierten sich daraufhin als nationale Minderheit mit deutschen Verbänden und Vereinen. Sie bekamen kommunale und private Schulen, unabhängige Kirchengemeinden und ihre eigene deutschsprachige Presse. Sie organisierten sich außerdem in einer politischen Partei, die eine Grenzrevision forderte.

Die deutsche Minderheit bestand teils aus Familien, die sich seit Generationen, angezogen von der deutschen Kultur und der deutschen Sprache, als Deutsche verstanden, auch wenn sie zu Hause den dänischen Dialekt Sønderjysk sprachen; teils stammten sie aus Familien, deren Vorfahren als Handwerker, Kaufleute, Landwirte oder Verwaltungsbeamte vor allem aus Holstein eingewandert waren und ihre deutsche Identität bewahrt hatten.

Während des nationalsozialistischen Regimes 1933 bis 1945 wurden viele Mitglieder der Minderheit stark nazifiziert. Sie wurden nach Ende des Krieges 1945 interniert und manche zu Freiheitsstrafen verurteilt. Im selben Jahr erklärte die Minderheit ihre Loyalität gegenüber dem dänischen Staat und erkannte die Grenze von 1920 an. Auf demokratischer Grundlage fand jetzt eine Neuorganisation der Minderheit statt. Der Bund deutscher Nordschleswiger wurde die Dachorganisation für kulturelle und politische Vereine sowie für die Zeitung Der Nordschleswiger. Die geschlossenen deutschen Schulen wurden wieder geöffnet und als private Schulen auf der Basis des dänischen Gesetzes Lov om frie skoler eingerichtet. Nach der Kopenhagener Erklärung 1955 bekamen sie auch das Examensrecht. Eine deutschsprachige Kirche wurde mit vier staatlichen Pastoren in der dänischen Volkskirche etabliert. Später wurde die Versorgung mit Pastoren auch durch die Nordelbische Kirche unterstützt.

Die dänischen Reaktionen auf die Entwicklung waren unterschiedlich. Einige wollten, dass die Minderheit – insbesondere durch dänische Schulbildung – vollständig assimiliert wurde. Andere jedoch – vor allem auf nationaler Ebene – verstanden den Wunsch der Minderheit, die deutsche Kultur und Identität zu bewahren. Die Beziehung zwischen Dänisch und Deutsch war immer noch angespannt. Obwohl die Minderheit nun nicht mehr den Anschluss Nordschleswigs an Deutschland anstrebte, war die nationale Frage damit nicht beantwortet. Im Schulwesen konzentrierte man sich darauf, den Kindern und Jugendlichen ein klares Bewusstsein für ihre Verbindung mit Deutschland und ihre deutsche Identität zu vermitteln. Besonders Schulrat Fr. Christensen betonte, dass die Kinder der Minderheit deutsche Schulen zu besuchen hätten und bezeichnete Eltern, die ihre Kinder auf dänische Schulen schickten, als Verräter. Die Minderheit versuchte, diejenigen, die sie für ihrer Gruppe zugehörig hielten, an sich zu binden. Christensen und die Minderheit der Nachkriegszeit waren dabei nicht eigentlich anti-dänisch eingestellt, dachten aber in dänischen und deutschen nationalen Gegensätzen. In gegenseitiger Achtung für einander und für die jeweiligen Unterschiede sollte man in Nordschleswig zusammen, aber getrennt voneinander leben.

In den 1960er Jahren begannen einige Jugendliche der Minderheit, die Idee der Isolation und des nationalen Kampfes in Frage zu stellen. Ein junger Student, Günter Weitling, schrieb im Nordschleswiger, die Minderheit solle sich als Brückenbauer zwischen dänischer und deutscher Kultur sehen. Ihm zufolge gehörte der nationale Kampf der Vergangenheit an, während die Zukunft in der entstehenden europäischen Zusammenarbeit lag. Auch die ersten Abiturienten mit dem deutschen und dänischen Abitur des neuen Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig erregten Aufsehen mit den rot-weißen dänischen Abiturienten-Mützen, die in Deutschland unbekannt waren. Mehrere der Abiturienten brachten zum Ausdruck, der nationale Kampf gehöre jetzt vor dem Hintergrund des Kalten Krieges der Vergangenheit an. Hinzu kam, dass einige Jugendliche begannen, Interessen zu entwickeln, die über die traditionellen und national aufgeteilten Aktivitäten wie Sport, Pfadfinder und Abendvorträge hinausgingen. Diese Jugendlichen wollten ihre Freizeitaktivitäten selbst arrangieren und planen und nicht von den Dänen isoliert werden. Sowohl politische als auch kulturelle Veränderungen in der Welt außerhalb der Grenzregion fanden Anklang bei der Minderheit.

In den 1970er und 1980er Jahren wurden die Ideen der Jugendlichen in der Minderheit generell akzeptiert und übernommen, und die offizielle Zielsetzung des Schulwesens war jetzt, dass die Schüler Verständnis und Verbundenheit sowohl zur dänischen als auch zur deutschen Sprache und Kultur entwickeln sollten. Die Jugendlichen erhielten mehr Mitbestimmung in Bezug auf die Freizeitaktivitäten für Jugendliche, und eine Zusammenarbeit mit dänischen Institutionen und Jugendzentren wurde ermöglicht. Trotz dieser Entwicklung verschwand der alte Gegensatz zwischen Deutsch und Dänisch nicht völlig. Insbesondere ältere Dänen hegten immer noch Skepsis und Gegenwillen der deutschen Minderheit gegenüber.

In den folgenden Jahren erreichte die Minderheit eine formale Gleichbehandlung mit der Mehrheit. Dabei war die Minderheit insgesamt zurückhaltend und hat keine Forderungen an die Mehrheit gestellt, die sich ihrerseits für die Mitglieder der Minderheit kaum interessierte. Diese wurden zwar akzeptiert, aber erst in den 1990er Jahren fühlten sie sich respektiert. Zu den Jubiläumsfeiern der dänischen Wiedervereinigung 1995 wurde auch der Vorsitzende des Bundes Deutscher Nordschleswiger, Hans Heinrich Hansen, eingeladen. Das trug dazu bei, das Eis zu brechen, und Hansen sagte anschließend in einem Interview, dass die Minderheit jetzt nicht mehr nur gleichberechtigt, sondern auch gleichwertig mit der Mehrheit sei. Im selben Zeitraum nahm die deutsche Minderheit auch die Zusammenarbeit mit der dänischen Minderheit in Südschleswig auf, insbesondere in finanziellen Angelegenheiten und im Zusammenhang mit der Arbeit der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) und dem Minderheitenschutz des Europarates.

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