Читать книгу Europa - Группа авторов - Страница 42

Der unilaterale Shakespeare

Оглавление

Der Aufstieg Shakespeares vom archaischen, rustikalen Dramatiker zum zeitlosen Barden Englands ist oft erzählt worden, aber vielleicht noch nie so überzeugend wie von Michael Dobson in The Making of a National Poet (1992). Die Glorifizierung und Kanonisierung Shakespeares um die Mitte des 18. Jahrhunderts bilden eine Erzählung, die reich ist an Gedenkaktionen, die nicht nur die Form von Statuen, Denkmälern und anderen Bildwerken angenommen haben. Die Editionen seiner Dramen stellen eine leicht zugängliche, standardisierte Textfassung bereit, während Bearbeitungen und Neufassungen rasch zunehmen. Die Aufführungen, von Natur aus Gedenkveranstaltungen, machen den Weg frei zu der vom Schauspieler und Schriftsteller David Garrick 1769 in ein regelrechtes Ritual umgewandelten Shakespeare-Feier in Form eines Festspiels, wobei die Daten seiner Biografie immer enger mit der Geschichte der Nation, ihrer Führer und ihres Schutzpatrons verknüpft worden sind.

Während also das shakespearesche Korpus um die Mitte des 18. Jahrhunderts „nationalisiert“ wurde, entwickelte sich die romantische Sicht auf Shakespeare als „Barden“, als Dichter, der „direkt von der Natur inspiriert die universellen Wahrheiten der Menschheit ausdrückt“ (Dobson). Die „universelle“ Gültigkeit, die man ihm zuschrieb, verlieh seinem Werk und seiner Weltsicht eine Fliehkraft, die mithilft, die spätere Popularität Shakespeares auf dem ganzen europäischen Kontinent zu erklären. In den 1840er-Jahren übertrieb Thomas Carlyle nicht, wenn er behauptete, dass „vielleicht die Meinung, die manchmal auf etwas zu schwärmerische Weise ausgedrückt wird, in Wahrheit die richtige ist; ich denke, dass das beste Urteil nicht nur in diesem Land [das heißt Großbritannien], sondern in Europa im Allgemeinen, langsam zu dem Schluss kommt, dass Shakespeare der Größte aller Dichter bisher ist; die größte Intelligenz, an die man sich, soweit das Gedächtnis unserer Welt zurückreicht, in der Geschichte der Literatur erinnert.“1

Das in Großbritannien imaginierte und gefeierte Erbe Shakespeares war von Anfang an eine komplexe Angelegenheit, eine Kombination aus nationaler Identität und Nationalstolz, gemischt mit Hinweisen auf den Ruhm, den der Landessohn in Europa genoss. Wie kaum anders zu erwarten, führte diese doppelte Wahrnehmung zu wiederholten Auseinandersetzungen um die Zugehörigkeit Shakespeares. Diese Schizophrenie finden wir bereits in The First Sitting of the Commitee on the Proposed Monument to Shakespeare (1823) von Charles Kelsall. Kelsall lässt in diesem Dialog eine ganze Reihe internationaler Autoren (Aristoteles, Longinus, Aischylos, Euripides, Aristophanes, Plautus und Terenz, Lope de Vega, Molière, Voltaire, Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d’Alembert, Vittorio Alfieri) sowie Vertreter verschiedener sozialer Gruppen Großbritanniens und der übrigen Welt auftreten. Sie sollen alle über die beste Weise, das Gedächtnis Shakespeares zu ehren, abstimmen (Statue, Denkmal, Geburtsort, Museum und so weiter) und den dafür geeignetsten Ort angeben (London, Stratford, Schottland, Griechenland und anderswo). Trotz einer langen Diskussion können sie sich nicht einigen, da sich die individuellen und nationalen Interessen weiterhin über eine gemeinsame Konzeption, des Barden angemessen zu gedenken, hinwegsetzen. Die Versammlung wird also sine die verschoben.

Europa

Подняться наверх