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4.1 Die Philosophie und ihre Eigenständigkeit im Verhältnis zur Religion

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Averroes’ Überlegungen zur Rolle der Philosophie und zum philosophischen Vorgehen stießen im lateinischen Mittelalter schnell auf Kritik. Insbesondere die für ihn, ebenso wie schon für al-Fārābī, zentrale These von der Einheit der offenbarten und der rational ermittelbaren Wahrheit führte zu erbittertem Widerspruch. Christliche Theologen und Philosophen kamen schon Mitte des 13. Jahrhunderts, also nur 50 Jahre nach Averroes’ Tod, zu der Überzeugung, dass ein philosophisches Vorgehen, das die Offenbarung nicht ebenfalls berücksichtige, zu einer „doppelten Wahrheit“ führen müsse. Gemeint war damit, dass die Philosophie zu Überzeugungen gelangen könne, die der christlichen Offenbarungswahrheit widersprächen. Thomas von Aquin behauptete um 1270 gegenüber den sogenannten lateinischen Averroisten, die sich dem Ideal einer aristotelischen Philosophie verschrieben hatten, dass eine derartige Gefahr bestehe.60 Wenige Jahre später, im Jahre 1277, verurteilte der Bischof von Paris 219 Thesen, die der aristotelisch-averroistischen Philosophie zugeschrieben wurden, aus demselben Beweggrund heraus als häretisch. Infolge dieser Entscheidung verschwand eine von theologischen Vorgaben unabhängige philosophische Forschung zunächst weitgehend von den Universitäten, an denen die Philosophie freilich als Vorbereitung auf die höheren Studien der Theologie, Medizin und Juristik weiter gelehrt wurde.61

Aus dem Blickwinkel des arabisch-islamischen Kontextes stand eigentlich die These von der Einheit der (zwar in sich verschiedenen) philosophischen und religiösen Wahrheit stark im Vordergrund. In Europa blieb dieser Aspekt bemerkenswert wirkungslos. Dies hat verschiedene Gründe, hier möchte ich nur einige nennen:

Erstens wurden die einschlägigsten Texte von al-Fārābī und Averroes nicht ins Lateinische übersetzt, sondern man war vor allem auf programmatische Hinweise in Averroes’ Kommentaren angewiesen. Zweitens musste die selbst im Islam fühlbare62 Problematik der These von der sachlichen Einheit von Philosophie und Religion in Anbetracht rational schwer nachvollziehbarer christlicher Glaubensüberzeugungen wie Dreifaltigkeit, Menschwerdung Gottes und Erbsünde noch stärker zutage treten.63 Drittens wurden solche Spannungen an den im 13. Jahrhundert bereits weit entwickelten Universitäten mit ihrer ausgeprägten Argumentations- und Disputationskultur wesentlich schneller kritisch reflektiert, als dies bei den meist eher für sich arbeitenden Philosophen im Islam der Fall gewesen war.

Zusammengenommen führten diese Faktoren zu der genannten Entwicklung, dass die Autonomie einer rational vorgehenden Philosophie nicht als methodische Alternative, sondern als inhaltliche Konkurrenz zum Wahrheitsanspruch der Offenbarungsreligion wahrgenommen wurde. Die großen und einflussreichen philosophischen Ansätze des Spätmittelalters wurden infolgedessen von christlichen Theologen unter besonderer Berücksichtigung ihrer Glaubensüberzeugungen entwickelt. Diese Autoren, zum Beispiel die Franziskaner Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham, hatten zwar wie alle Universitätsabsolventen der Zeit eine philosophische Ausbildung anhand der aristotelischen Texte erhalten. Deren Wahrheitsanspruch wurde dabei jedoch nur insofern anerkannt, als er nicht im Widerspruch zu den philosophischen Konsequenzen stand, die man aus der biblischen Offenbarung ableitete; ansonsten wurden die überlieferten philosophischen Lehren ihrerseits mit neuen philosophischen Argumenten kritisiert.

Islamische Philosophie im Mittelalter

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