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2. Die Begründung der Philosophie im Islam:
Al-Kindī, seine Nachfolger und Gegner 2.1 Philosophie in Übereinstimmung mit der Religion: Al-Kindī und seine Schüler

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Die falsafa, also eine Philosophie, die bewusst an das griechische Erbe anschloss und dieses durch rationale Analysen fortführte, begann erst mit Abū Yūsuf Yaʿqūb b. Isḥāq al-Kindī (ca. 800–870), der auch als „der Philosoph der Araber“ (faylasūf al-ʿarab) bekannt ist.2 Diese Bezeichnung trifft auch deswegen zu, weil al-Kindī in der Tat einer alten arabischen Familie entstammte – er gehörte einem führenden Geschlecht aus dem Stamm der Kinda an und soll direkt von einem Gefährten des Propheten abgestammt haben – und über beste Beziehungen zum Kalifenhof verfügte. „Seine Bücher behandeln verschiedene Wissenschaften wie die Logik, die Philosophie, die Geometrie, die Mathematik, die Arithmetik, die Musik, die Astrologie und andere mehr.“3 Mit diesem breiten Interessenspektrum, das Ibn an-Nadīm in seinem Fihrist bezeugt, zeigt sich al-Kindī als interessiert an nahezu allen Wissensgebieten, die zu seiner Zeit aufgrund von Übersetzungen aus dem Griechischen bekannt waren.

Sein Projekt, diese Wissenschaften durch eine philosophische Gesamtkonzeption zu vertiefen, verband die Übersetzungen aus dem Griechischen, die er teils selbst in Auftrag gab und bearbeitete,4 mit der Entwicklung eigener systematischer Gedanken, besonders zur Metaphysik und Philosophie des Geistes, aber auch zu Optik und Wahrnehmungstheorie. Seine philosophische Begründung der Einheit Gottes, des tawḥīd, traf sich mit den Interessen der zeitgenössischen islamischen Theologen. Al-Kindī konnte hierfür insbesondere auf ein neuplatonisches Einheitsdenken zurückgreifen, das er aus den Übersetzungen der spätantiken Neuplatoniker Plotin und Proklos kannte, die uns als Vorlagen des Liber de causis und der Theologie des Aristoteles bekannt sind. In Fragen, bei denen ein Konflikt zwischen spätantiker Philosophie und islamischer Theologie aufbrechen konnte (und später auch tatsächlich aufbrach), entschied sich al-Kindī ebenfalls für Positionen, die dem muslimischen Glauben entsprachen; so argumentierte er gegen die aristotelische These von der Ewigkeit der Welt.

Einflussreich war auch seine Lehre vom Intellekt beziehungsweise Geist (griech. nous, arab. ʿaql, lat. intellectus). In seiner kurzen Schrift Über den Geist (Fī l-ʿaql) nahm er wie Aristoteles drei Stufen geistiger Aktivität beim Menschen an: Entweder habe er lediglich die Fähigkeit, denken zu lernen, oder er habe dies bereits gelernt, denke im Moment aber nicht, oder er denke im gegenwärtigen Moment. Neben diese drei Modalitäten stellt al-Kindī als vierte Art des Denkens „den Geist, der sich immer im Akt“, aber „außerhalb der Seele“ befindet.5 Wenn er damit suggeriert, dass menschliches Denken stets von einem ewigen, übermenschlichen Geist angeregt sein muss, gibt er seinen Nachfolgern die Frage nach der genauen Rolle dieses Geistes im Erkenntnisprozess sowie seiner Natur und seinem Verhältnis zu Gott und Mensch mit auf den Weg. Damit ist ein weiteres zentrales Thema der islamischen Philosophie festgelegt.

So wurde al-Kindī einerseits durch die Festlegung thematischer Schwerpunkte in der Metaphysik und der Philosophie des Geistes zur Gründungsfigur der islamischen Philosophie. Andererseits begründete er innerhalb dieser durch sein positives, unpolemisches Verhältnis zur islamischen Religion eine eigene Position: Seiner Meinung nach erreicht der Philosoph auf langsame, argumentative Weise dasselbe Wissen, dass der Prophet in vorbildlicher Kürze und Klarheit offenbart erhält.6 Der Vorrang der Religion blieb ebenso gewahrt wie die Einheit der Wahrheit, die Propheten erkennen und um die Philosophen sich bemühen.

Die philosophischen Positionen al-Kindīs wurden durch einige Schüler nahezu 200 Jahre nach seinem Tod weiter vertreten und entwickelt. Besonders nahe stand ihm Aḥmad b. aṭ-Ṭayyib as-Saraḫsī (ca. 835–899), dessen Interessen ebenso enzyklopädisch waren wie die seines Lehrers. As-Saraḫsī übte als Erzieher des zukünftigen Kalifen al-Muʿtaḍiḍ (892–902) auch politischen Einfluss aus, was vermutlich mitverantwortlich dafür war, dass er Mitte der 890er Jahre eingekerkert wurde und schließlich umkam. Einen Grund hierfür könnten auch kritische Bemerkungen über die Glaubwürdigkeit von Propheten geliefert haben; jedenfalls war as-Saraḫsī an Fragen der Religion sowie dem Vergleich verschiedener Religionen nachweislich interessiert.7

Zwei weitere Schüler al-Kindīs stammten aus der Stadt Balḫ im Norden des heutigen Afghanistan. Abū Maʿšar al-Balḫī, fast ein Altersgenosse al-Kindīs, war eher Astrologe als Philosoph, beschäftigte sich aber unter anderem mit der Stellung seines Fachs im aristotelischen Wissenschaftskanon sowie, anhand von Aristoteles’ De interpretatione, Kapitel 9, mit der Vereinbarkeit menschlicher Freiheit und der Vorherbestimmung durch die Sterne.8 Abū Zayd Aḥmad b. Sahl al-Balḫī (ca. 850–934) war wiederum besonders am Verhältnis von Philosophie und Religion interessiert, wie sich unter anderem daran zeigt, dass er einen – verlorenen – Korankommentar verfasste. Berühmt geworden ist er vor allem als Autor einer Weltkarte, die zu einer der wichtigsten Quelle der islamischen Geographie wurde.9 Da er nach acht Jahren im Irak in seine Heimat zurückkehrte, dürfte er verantwortlich dafür sein, dass sich philosophische Studien in der Tradition al-Kindīs am längsten in Ḫurāsān, das heißt in dem heutigen Nordafghanistan, Tadschikistan und Usbekistan hielten.

Islamische Philosophie im Mittelalter

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