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5.3 Averroes und der Versuch einer Synthese von Rationalismus und Religion

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Ibn Ṭufayl und Abū Yaʿqūb Yūsuf bilden den unmittelbaren Kontext, in dem der im Westen vielleicht bekannteste islamische Philosoph einen großen Teil seiner philosophischen Werke verfasste: Abū l-Walīd Muḥammad Ibn Rušd oder, in lateinischer Umschreibung, Averroes.47 1126 wurde er in Córdoba in eine der führenden Familien in al-Andalus hineingeboren; sein Vater und Großvater dienten den Almoraviden als oberste religiöse Richter für ganz Spanien. Entsprechend erhielt Averroes eine hervorragende Ausbildung im islamischen Recht und der Medizin. Weniger klar ist, wer seine philosophischen Lehrer waren, doch wurde er recht früh durch Gedanken Ibn Bāǧǧas beeinflusst. Bereits in den 1150er Jahren verfasste er knappe Zusammenfassungen zu den meisten aristotelischen Schriften, die heute als seine Epitomen oder Kurze Kommentare bekannt sind. Dabei deutete er Aristoteles noch häufig im Lichte seiner griechischen und arabischen Kommentatoren.

Zu einem nicht sicheren Zeitpunkt, entweder zu Beginn oder gegen Ende der 1160er Jahre, führte ihn Ibn Ṭufayl beim Kalifen Abū Yaʿqūb Yūsuf als begabten Philosophen ein. Averroes erhielt die Aufgabe, die Schriften des Aristoteles für den Herrscher zu erklären. Dieser kam Averroes in den Werken nach, die heute als seine Mittleren Kommentare bekannt sind, die den aristotelischen Text selbst in Form von ausführlichen Paraphrasen darstellen. Zwischen 1178 und 1180 verfasste er schließlich drei zentrale Schriften zum Verhältnis von Philosophie und Religion: Die entscheidende Abhandlung, das Buch der Enthüllung der Beweismethoden für die Dogmen der Religion und die Inkohärenz der Inkohärenz. Während er in der letzten Schrift die Kritik al-Ġazālīs an der Philosophie zu entkräften sucht, definiert die erste die philosophische Argumentation als apodeiktische Beweisführung für dieselbe Wahrheit, die die Religion auf rhetorische Weise vermittelt. Damit folgt Averroes der philosophischen Verhältnisbestimmung beider Größen, die bereits al-Fārābī in ähnlicher Weise vorgenommen hatte. Die Annahme zweier Wahrheiten, für die Averroes in der westlichen Tradition bekannt ist, ist damit nicht verbunden.48

In den folgenden Jahren wandte sich Averroes einer „wörtlichen“ Auslegung des Aristoteles zu. Er schrieb von nun an Kommentare in klassischer Form, die den aristotelischen Text abschnittweise zitieren und kommentieren. Diese sogenannten Großen Kommentare enthalten viele der philosophischen Ansichten, für die Averroes berühmt geworden ist. Sie beziehen sich einerseits auf Aristoteles zurück, andererseits sind sie auch von Averroes’ eigenem Projekt im Rahmen des Almohadenreichs geprägt: Im Gegensatz zu Avicenna hält er daran fest, dass die Metaphysik sich in erster Linie mit theologischen Fragen beschäftige; die Existenz Gottes wird seiner Meinung nach bereits in der Naturphilosophie oder Physik bewiesen und kann daher in der Metaphysik als deren eigener Gegenstand vorausgesetzt werden. Das stimmt mit der almohadischen Idee überein, dass Gott aus seiner Schöpfung heraus rational erkennbar ist. Zu De anima vertritt Averroes die berühmte These, dass alle Menschen gemeinsam sowohl einen materialen als auch einen aktiven Intellekt besitzen: Dadurch dass irgendein Mensch sich etwas vorstellt, bringt der aktive Intellekt eine Idee hervor, die dann im materialen Intellekt gedacht wird. Dieser ist damit das universale Denken der Menschheit, das fortbesteht, solange es Menschen gibt. Mit dieser Lehre löst Averroes nicht nur einige Probleme bei der Interpretation von De anima III.4–5; nicht zuletzt stellt er auch heraus, dass Rationalität ein universales Kennzeichen des Menschen ist, an dem prinzipiell jeder Mensch teilhaben kann. Auf das Problem, dass damit andererseits eine individuelle Unsterblichkeit unmöglich wird, haben seine muslimischen und christlichen Kritiker freilich bald hingewiesen.

In diesen letzten Lebensjahren schälten sich die Grenzen von Averroes’ Projekt deutlich heraus: Zum einen erkannte er, dass manche Probleme der Aristoteles-Interpretation unlösbar bleiben werden, zum anderen veränderte sich die politische Situation zu seinen Ungunsten. An die Stelle der Hoffnung auf einen philosophisch-rational regierten Staat, die Averroes unter Abū Yaʿqūb Yūsuf gehegt zu haben scheint, trat die Sorge um den Fortbestand der Philosophie und um sein persönliches Wohl. Tatsächlich musste er gegen Ende seines Lebens für anderthalb Jahre in die Verbannung gehen und starb kurz nach seiner Rückberufung an den Hof in Marrakesch.

Mit Averroes’ Tod endete die Blütezeit der Philosophie in al-Andalus. Nur 50 Jahre später wurde fast ganz Südspanien durch die christlichen kastilischen Könige erobert, und die Almohadenherrschaft endete. Die letzten philosophisch interessierten Köpfe wie die rätselhafte Gestalt des Ibn Sabʿīn (ca. 1216–1270)49 flohen nach Nordafrika oder in die östlichen arabischen Länder.

Islamische Philosophie im Mittelalter

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