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Einleitung

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Eine handbuchartige Darstellung der arabisch-islamischen Philosophie des Mittelalters ist im deutschen Sprachraum gegenwärtig nicht verfügbar. Nicht nur Studierende und Lehrende, die sich direkt mit der Philosophie dieser Epoche befassen, sondern auch andere Interessierte sind bislang darauf angewiesen, sich überblickshafte Informationen aus verschiedenen, teils schwer zugänglichen Quellen zu verschaffen. Zwar gibt es inzwischen auch auf Deutsch Überblicksdarstellungen der arabisch-islamischen Philosophie,1 doch sind diese aufgrund ihres beschränkten Umfanges nur bedingt in der Lage, zu den Quellen als solchen hinzuführen. Dagegen wird der neue „Ueberweg“ zur Islamischen Philosophie,2 dessen erster Band gerade erschienen ist, den Forschungsstand sowie die Primär- und Sekundärliteratur sehr ausführlich präsentieren. Das vorliegende Handbuch steht in der Mitte zwischen diesen beiden Formaten und soll gerade in diesem Umfang den interessierten Nicht-Fachmann so gründlich in die arabisch-islamische Philosophie einführen, dass er sich eigenständig mit den Quellen beschäftigen und in ausführlicheren Darstellungen orientieren kann.

Denn aufgrund ihrer vielen philosophischen, kulturellen und geistesgeschichtlichen Bezugspunkte findet die arabisch-islamische Philosophie gerade auch bei Nicht- Fachleuten breites Interesse. Sie ist nämlich nicht nur eine wichtige Quelle für die arabischen Diskurse der Gegenwart, die für das Gespräch zwischen westlich-europäischen und arabisch-islamischen Gelehrten – und damit auch für die europäische Reflexion auf die eigene Stellung in der Welt – immer wichtiger werden. Vielmehr wird auch zunehmend der Wert der Zeugnisse dieser philosophischen Epoche als zusätzliche Informationsquelle für die antike Philosophie erkannt. Schließlich ist ihre Bedeutung als anregende Vorlage philosophischer und theologischer Denker des europäischen Mittelalters und der frühen Neuzeit ohnehin längst bekannt. Gerade diese intensive Rezeption der mittelalterlichen islamischen Philosophie in verschiedenen kulturellen Kontexten ist ein nicht zu übersehendes Indiz für ihre hohe historische und systematische Qualität und Relevanz. Entsprechend muss nicht mehr eigens betont werden, dass dieses Handbuch dazu anregen möchte, das Denken dieser Epoche als interessanten und eigenständigen Beitrag zur globalen Philosophiegeschichte zu begreifen.

Seit der ersten Konzeption dieses Bandes war es unser Ziel, allen hieran Interessierten so viel Informationen zur Verfügung zu stellen, dass zumindest die wichtigsten philosophischen Quellen und Textzeugnisse dieser Epoche vom Leser vor dem Hintergrund sowohl ihres geistesgeschichtlichen als auch ihres allgemeinhistorischen Kontextes verstanden und eingeordnet werden können. Damit soll ein solcher Leser – so unsere Hoffnung – einen Rahmen erhalten, den er eigenständig vertiefen kann, um zu einem eigenen Urteil über die ihn interessierenden Fragen zu gelangen. Daneben soll der Band aber auch einfach als Informationsquelle für jeden dienen, der sich aus privaten oder beruflichen Gründen einen Überblick über die Anfänge und frühe Entwicklung der philosophischen Tradition im Islam verschaffen möchte. Um dies zu erreichen, haben wir viel Wert darauf gelegt, dass dieser Band nicht nur Beiträge zu einzelnen Philosophen und ihren Theorien enthält, sondern zunächst durch eine ganze Reihe von Überblicksdarstellungen eingeleitet wird. Diese sollen über die allgemeine Geschichte der Philosophie im arabischen Raum – von den ersten Übersetzungen philosophischer Texte ins Arabische bis ins 15. Jahrhundert –, ihr Verhältnis zu Religion und Theologie, sowie zu ihren griechischen Quellen eine Übersicht geben, die es prinzipiell erlaubt, den einzelnen Denker in seinen historischen und geistesgeschichtlichen Kontexten zu sehen. Dies ist umso wichtiger, als solche Kontexte für die arabischen Denker, die häufig keine direkten philosophischen Lehrer und Schulzusammenhänge kannten, nicht leicht herzustellen sind.

Der relativ allgemein gehaltene erste Teil möchte so den Rahmen liefern für den zweiten Teil, in dem die Theorien der wichtigsten Philosophen der mittelalterlichen islamischen Welt etwas umfangreicher und detaillierter vorgestellt werden. Hier soll auch der spezifisch interessierte Leser genügend Informationen finden, um den Ansatz des jeweiligen Denkers verstehen zu können. Das scheint uns nicht nur der Sache nach vielversprechend, sondern auch eine Voraussetzung für die Bewertung von einzelnen Rezeptionsphänomenen zu sein. Des Weiteren haben wir einen allgemeinen Überblick über die Rezeption im lateinischen Raum aufgenommen, damit die weitgespannte Bedeutung der arabischen Quellen für den lateinischen Westen gewürdigt und verstanden werden kann.

Für die insgesamt wenig erforschte und äußerst komplexe Rezeption der mittelalterlichen islamischen Philosophie im arabischen Kulturraum haben wir uns, von verstreuten Hinweisen abgesehen, auf zwei Überblicke zur ersten Phase der Diskussion um Avicennas Philosophie beschränkt; der Zeitpunkt für eine zusammenfassende Darstellung scheint uns hier noch nicht gekommen. Doch möchten wir ausdrücklich unterstreichen, dass dies wohl eher auf eine Forschungslücke zurückzuführen ist als auf eine geringe philosophische Aktivität in dieser Epoche. Die volle Bedeutung der mittelalterlichen islamischen Philosophie wird sich erst dann angemessen verstehen lassen, wenn uns in großem Umfang bekannt ist, wie sie in ihrem ureigenen Umfeld, nämlich der islamischen Welt, bis heute rezipiert worden ist. Gerade auf diesem Gebiet lassen die gegenwärtige Forschung und der erfreulicherweise anhaltende europäisch-islamische Diskurs für die nächsten Jahrzehnte spannende Entwicklungen erwarten.3 Diese Forschungslage erklärt im Übrigen auch die aus pragmatischen Gründen gewählte, für die islamische Welt durchaus anfechtbare Epochenbezeichnung als „Mittelalter“ im Titel unseres Handbuchs und die schon mehrmals angesprochene zeitliche Beschränkung auf die Entwicklungen bis zum 15. Jahrhundert europäischer Zeitrechnung.

Auch für den auf diese Weise ausgewählten Zeitabschnitt gilt noch immer, dass die Ausarbeitung eines Handbuchs über ein dermaßen schwieriges Thema auf nicht unbeträchtliche Probleme stößt. Dies beginnt bereits beim Titel, wo wir uns für die Bezeichnung „islamische“ und nicht „arabische“ Philosophie entschieden haben. Den Ausschlag für diese Entscheidung, die wir als rein pragmatisch verstehen, gab dabei zunächst einmal das Ziel, sich in der Tat auf die philosophische Tradition im Islam selbst zu beschränken; vor allem eine Aufnahme der jüdischen Denker arabischer Sprache hätte den Aufriss des Bandes grundlegend verändert, wenn er denn überhaupt zu realisieren gewesen wäre. Des Weiteren schien uns, aufs Ganze gesehen, der relativ begrenzte Einfluss der arabisch schreibenden christlichen Denker, der vor allem bis zum 10. Jahrhundert spürbar ist (vgl. die historische Gesamtübersicht), eine entsprechende Änderung der Konzeption und des Titels nicht zu rechtfertigen. Schließlich sollte auch nicht vergessen werden, dass der islamische Hintergrund für viele der hier behandelten philosophischen Theorien von entscheidender Bedeutung ist und die Gestalt ihres Werkes wesentlich geprägt hat. Diese Tatsache, die mitentscheidend ist für die Bedeutung dieser Autoren bis heute, schien uns schon eine Würdigung im Titel des Bandes zu verdienen.

Als konkretes Problem erwies es sich in vielen Fällen, Autoren zu finden, mit denen sich die ursprüngliche Konzeption des Bandes umsetzen ließ. Daher konnten Themenfelder wie der für die Philosophie wichtige frühe kalām, also die rationale Theologie, ebenso wenig ausführlich behandelt werden wie einige Autoren, deren Bedeutung zwar inzwischen bekannt, deren Denken aber insgesamt noch wenig erforscht ist (z.B. Abū l-Barakāt al-Baġdādī, ʿAbd al-Lāṭif al-Baġdādī, Ibn al-ʿArabī, as-Suhrawardī oder auch Ibn Bāğğa). Hier haben wir uns bemüht, in den Überblicksdarstellungen zumindest einige Informationen zu liefern. Immerhin können wir dank der engagierten Mitarbeit verschiedener Kollegen zusammenfassende Darstellungen auch für einige Autoren anbieten, die gerade erst näher erforscht werden (z.B. Abū Zakariyāʾ ar-Rāzī oder al-ʿĀmirī). Für einige Beiträge haben wir schließlich als Herausgeber selbst zur Feder gegriffen und hoffen, im Rahmen unserer Möglichkeiten einigermaßen erfolgreich gewesen zu sein. Wenn es sich trotzdem nicht erreichen ließ, sämtliche berechtigten Wünsche an ein Handbuch zu erfüllen, so bauen wir darauf, dass uns dies in Anbetracht der noch immer eingeschränkten Erforschung des weiten Feldes wohlwollend nachgesehen werden kann.

Ein weiteres Problem, das für das Erstellen eines Handbuchs schwer wiegt, ist die Vielfalt und Varietät der Meinungen sowie die auffallend stark auseinandergehenden weltanschaulichen Vorentscheidungen, die ein Gebiet wie die arabisch-islamische Philosophie besonders betreffen: In einem Feld, in dem viele Quellen teils nicht ediert, teils kaum erforscht sind, dem sich zudem verschiedene Forscher von ganz unterschiedlichen Interessen her nähern (Philosophiegeschichte, Religionsgeschichte, islamische Geistesgeschichte etc.), kann es nicht ausbleiben, dass zu vielen Fragen kein Konsens herrscht, so dass ein solcher auch in einem einführenden Handbuch nicht herzustellen ist. Unsere Aufgabe als Herausgeber konnte hierbei nicht darin bestehen, einzelnen Meinungen den Vorrang vor anderen zu geben; andererseits konnte aber auch kein vollständiger Überblick über all die divergierenden Meinungen erreicht werden. Aus diesem Grund ist es, häufiger, als man es vielleicht in einem Handbuch erwarten würde, der Fall gewesen, dass wir unterschiedliche Ansichten gedruckt und nebeneinander stehen gelassen haben, ohne freilich den Anspruch erheben zu können, allen Positionen gerecht geworden zu sein. In vielen Fragen wird der Leser selbst entscheiden müssen, wie er das eine oder andere Problem betrachtet; wir hoffen, dass die Informationen in diesem Band ihm dabei helfen werden, dies systematischer und auf der Grundlage umfangreicherer Informationen zu tun als bisher.

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Projekte wie dieses bedürfen der tätigen Mitarbeit vieler, deren Bemühungen wir hier dankbar Erwähnung tun wollen: Ines Potzernheim, Manuel Gebhardt und vor allem Matthias Waha von der Universität Bamberg, Katja Weber und Lisa-Maria Knothe von der Universität Jena sowie Fjedor Benevich von der Universität Tübingen haben mit großem Fleiß über Jahre hinweg an der Erstellung des Textes mitgewirkt.

Im Mai 2013, Heidrun Eichner, Matthias Perkams, Christian Schäfer

Hinweise zur Umschrift

Die Umschrift des Arabischen folgt im Allgemeinen den Regeln der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Es wurden aber aufgrund ihrer fast allgemeinen Verbreitung die Grapheme ay und aw anstelle von ai und au für Yā bzw. Wāw nach a-Laut bevorzugt.

Abkürzungen

Insgesamt werden nur wenige Abkürzungen verwendet, die in der Regel selbsterklärend sein sollten oder vor Ort erklärt werden. Die folgenden Abkürzungen, die aus redaktionellen Gründen ab und an auftauchen, können aber auch hier zusammengestellt werden:

DPA = Dictionnaire des philosophes antiques, éd. Goulet
ebd. = Ebendort
EI2 = The Encyclopedia of Islam, second edition.
Enn. = Enneaden (des Plotin)
GK = Großer Kommentar (des Averroes zu Aristoteles)
Q = Koran (vor Zitaten)

1 Ulrich Rudolph, Islamische Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 22008; Geert Hendrich, Arabisch-islamische Philosophie. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 22011.

2 Ulrich Rudolph (Ed.), Philosophie in der islamischen Welt. Band 1: 8.–10. Jahrhundert (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Abteilung 8, 1). Basel 2012.

3 Erste Informationen zu diesem komplexen Thema findet man z.B. in folgenden deutschsprachigen Publikationen: Anke von Kügelgen, Averroes und die arabische Moderne. Ansätze zu einer Neubegründung des Rationalismus im Islam, Leiden u.a. 1994; Geert Hendrich, Islam und Aufklärung. Der Modernediskurs in der arabischen Philosophie, Darmstadt 2004; Michael Kreutz, Arabischer Humanismus in der Neuzeit, Berlin 2007.

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