Читать книгу Das Erste Vatikanische Konzil - Группа авторов - Страница 13

1.3 Der zweite Grund des Zweifels: Gleichgültigkeit

Оглавление

Die zweite von Hettinger erkannte Ursache des „religiösen Zweifels“ ist die „Gleichgültigkeit für das Höhere“: Bei vielen Menschen, so seine Diagnose, sei alles „höhere Streben“ erlahmt, die geistige Tätigkeit beschränke sich „auf den engen Kreis des Nächstliegenden, Notwendigen und Nutzbringenden“; die „religiöse Erkenntnis“ sei „verschüttet und fast vergessen unter dem Staube des alltäglichen Lebens mit seinen Sorgen und Mühen, seinen Zerstreuungen und Genüssen“.9 Wo in diesem Sinne nur die „materiellen Interessen […] zur Herrschaft gelangt sind“, könne „nimmer, selbst nur auf wenige Stunden, jene hehre Stille, Sammlung und Verinnerlichung der Seele“ eintreten, „da diese, ungestört von dem betäubenden Gewühle der dem Irdischen zugewandten Gedanken, die Stimme der Wahrheit […] vernehmen könnte“.10

Betrachtet man diese Diagnose im Spiegel der theologischen Anthropologie, wie sie uns aus dem Kontext späterer Ansätze vertraut ist, fällt auf, dass Hettinger Religion in nur schwachem Maße als anthropologische Konstante wertet:Karl Rahner, der hier exemplarisch als Vertreter der Theoriebildungen im Umfeld des Zweiten Vaticanums genannt sei, reagiert einige Jahrzehnte später auf das nicht mehr zu leugnende Faktum der fortschreitenden Säkularisierung mit seiner Konzeption der „transzendentalen Erfahrung“, die er als Verweis darauf verstanden wissen möchte, dass auch derjenige, der vermeintlich keine religiöse Orientierung hat, der christlichen Heilsordnung vollständig eingegliedert ist:

„Diese Erfahrung als unthematisch und bleibend waltende – die Gotteserkenntnis, die wir immer vollziehen, gerade wenn wir an alles andere denken und mit allem anderen umgehen als mit Gott – ist der dauernde Grund, aus dem jene thematische Gotteserkenntnis erwächst, die wir im explizit religiösen Tun und in der philosophischen Reflexion vollziehen.“11

Die Gottesfrage stellt sich also nach Rahner implizit auch dem, der sie nicht explizit stellt, da sie zu den Grundlagen des menschlichen Wesens gehört. Die Konsequenz ist, dass die religiöse Indifferenz (oder, mit Hettinger: die „Gleichgültigkeit für das Höhere“) im Denken Rahners und vieler seiner Zeitgenossen und Schüler keinen Raum hat: Jeder, der vordergründig gleichgültig gegenüber Gott ist, stellt die Gottesfrage zumindest „unthematisch“ in allen anderen Vollzügen seiner Existenz. Hettinger dagegen wäre, wie eben gesehen, der Meinung, dass religiöse Gleichgültigkeit bedingt ist durch eine tatsächliche Fokussierung auf andere Belange des menschlichen Lebens. So zeigt sich, dass es offensichtlich auch seine Vorteile hat, das Christentum nicht als eine Frage der Anthropologie, sondern des persönlichen Bekenntnisses zu fassen: Das Phänomen der Areligiosität wird auf diese Weise als solches ernst genommen; wer sich die Gottesfrage nicht stellt, stellt sie sich nicht implizit doch, sondern – tatsächlich nicht.

Das Erste Vatikanische Konzil

Подняться наверх