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bb) Duldungspflicht analog § 1004 Abs. 2 BGB

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Unklar ist, woraus eine solche Duldungspflicht stattdessen abgeleitet werden könnte. Das Deliktsrecht eröffnet diese Möglichkeit nicht. Es ist grundsätzlich auf die nachträgliche Wiederherstellung des Integritätsinteresses der geschädigten Person gerichtet, nicht jedoch auf die Begründung von Pflichten, welche sich außerhalb dieser Haftungsfragen materialisieren. Auch die Produktbeobachtungspflicht, welche sich gerade aus § 823 Abs. 1 BGB ergibt, stellt insofern keine Ausnahme dar: Ihr dogmatischer Anwendungsbereich beschränkt sich auf die Begründung der Verletzungshandlung im Sinne von § 823 BGB als Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.

Trotzdem erscheint es mit Blick auf die Interessenlage aller Beteiligten geboten, eine Pflicht des Nutzers eines vernetzen Kfz zur Duldung der Durchführung sicherheitstechnisch notwendiger Updates anzunehmen. Die Produktbeobachtungspflicht und die nachgeschalteten Gefahrenabwendungspflichten sind gerade darauf gerichtet, Gefahren für die Nutzer der fehlerbehafteten Sache und Dritte zu unterbinden. Sie dienen dem Schutz von Rechtsgütern von solch erheblicher Bedeutung, dass im Sinne der effektiven Gefahrenabwehr teilweise sehr schwerwiegende Einschnitte – bis hin zur Rückrufaktion – in die Interessen der Hersteller hinzunehmen sind. Die sich bei vernetzten Automobilen realisierbaren Gefahren sind dabei als besonders gravierend anzusehen. Wie bereits dargelegt geht mit dem Betrieb von Kraftfahrzeugen ohnehin schon eine erhöhte Gefahr einher, welche ohne Weiteres auch die überragend wichtigen Schutzgüter des Gesundheits- und gar des Lebensschutzes betreffen kann. Durch die zusätzliche Komponente der Embedded Software und deren Fehleranfälligkeit und Fremdsteuerbarkeit im Falle von Sicherheitslücken wird diese Gefahr weiter erhöht (siehe oben).

Dennoch ein Update-Verweigerungsrecht des Fahrzeugnutzers anzunehmen, stünde dem Schutzzweck der Produktbeobachtungspflicht entgegen. Die Effektivität der Gefahrenabwehr könnte nicht gewährleistet werden. Das Interesse des Fahrzeugnutzers, dass das Fahrzeug einschließlich der integrierten Software nur dann verändert wird, wenn er es wünscht, ist dem Gesundheits- und Lebensschutz aller potenziell gefährdeter Verkehrsteilnehmer unterzuordnen.

Ein Anknüpfungspunkt für eine zivilrechtliche Duldungspflicht ist damit allerdings noch immer nicht gefunden. Tatsächlich sind dem Bürgerlichen Gesetzbuch Überlegungen wie die eben dargelegte aber nicht fremd. Obwohl es Duldungspflichten nur in den seltensten Fällen regelt,53 sind einige Ausnahmen gegeben, siehe vor allem §§ 906ff. BGB, welche insbesondere nachbarrechtliche Sachverhalte regeln.54 Besonders prominent ist allerdings § 1004 Abs. 2 BGB, welcher den sich aus einer (rechtswidrigen) Eigentumsbeeinträchtigung ergebenden Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB entfallen lässt, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Fraglich ist, ob sich die hier erforderliche Duldungspflicht aus vorgenanntem § 1004 Abs. 2 BGB, oder zumindest aus dem ihm zugrunde liegenden Rechtsgedanken, ableiten lässt.

§ 1004 Abs. 1 BGB erfordert zunächst eine Eigentumsbeeinträchtigung, welche sich nicht in der Entziehung oder der Vorenthaltung des Besitzes erschöpfen darf. Tatsächlich lässt sich in der Veränderung der Software von außen, mithin durch den Hersteller, eine Art Eigentumseingriff erblicken.55 Der Käufer eines vernetzten Fahrzeuges erwirbt das Eigentum an einer Sache in einem bestimmten Zustand. Dies schließt Nutzungsrechte an der Embedded Software in dem Maße mit ein, wie diese zur eigentumsgleichen Nutzung der Sache erforderlich sind, handelt es sich bei dieser schließlich um einen integralen Bestandteil der Gesamtsache. Jede Veränderung der integrierten Software berührt damit den Gesamtgegenstand „vernetztes Fahrzeug“, sodass eine Eigentumsbeeinträchtigung gegeben ist (siehe bereits oben). Ob diese Beeinträchtigung den Voraussetzungen des § 1004 Abs. 1 BGB genügt, braucht an dieser Stelle nicht abschließend geklärt zu werden, da nicht der Unterlassungsanspruch des Fahrzeugeigentümers, sondern die Duldungspflicht des Fahrzeugnutzers begründet werden soll.

Gegenstand der hiesigen Betrachtung muss daher vielmehr die Dogmatik betreffend § 1004 Abs. 2 BGB sein. Die dort normierte Duldungspflicht wird als Konkretisierung der Einschränkung des Eigentumsrechts in § 903 Satz 1 BGB verstanden,56 wonach der Eigentümer nur insofern nach Belieben mit der Sache verfahren kann, als das Gesetz oder Rechte Dritter nicht entgegenstehen. Duldungspflichten im Allgemeinen erlauben demnach eine Verschiebung der Eigentumsgrenzen, soweit dies wegen besonders geschützter Interessen Dritter erforderlich ist.57 Grundlage für Duldungspflichten können sowohl Regelungen des Privatrechts als auch des öffentlichen Rechts sowie vertragliche Vereinbarungen sein.58 In Rechtsprechung und Schrifttum wurden über die Jahrzehnte feststehende Fallgruppen gebildet, deren jeweilige Behandlung mehr oder weniger streitig ist; das wohl bekannteste Beispiel ist die bereits erwähnte nachbarrechtliche Duldungspflicht.59 Oftmals wurde auch der Gesetzgeber selbst aktiv und hat entsprechende Duldungspflichten explizit normiert, wie beispielsweise im Bereich der Regelungen betreffend Infrastrukturnetze.60 An einer solchen Regelung fehlt es für den Bereich der sicherheitsrelevanten Updates der Software vernetzter Fahrzeuge. Auch scheidet die Annahme einer vertraglichen Vereinbarung von Duldungspflichten zwischen dem Fahrzeugnutzer und dem Hersteller mangels Vertrages im Allgemeinen aus (siehe oben). Zudem: Wäre eine solche Duldungspflicht gegeben, würde sich der Rückgriff auf (den Rechtsgedanken des) § 1004 Abs. 2 BGB ohnehin erübrigen.

Maßgeblich für die hier nachzuzeichnende Überlegung ist stattdessen die Ratio hinter der Duldungspflicht aus § 1004 Abs. 2 BGB. Wie bereits dargelegt, sollen Eigentümer solche Beeinträchtigungen ertragen müssen, die erforderlich sind, um die Rechte Dritter gebührend zu schützen.61 Dieser Gedanke im Rahmen von § 1004 Abs. 2 BGB entspricht der eingangs vorgenommenen Abwägung zwischen dem Interesse des Fahrzeugnutzers an dem unveränderten Bestand des Fahrzeuges und dem Recht auf Gesundheit und Leben der potenziell gefährdeten Straßenverkehrsteilnehmer.

Hinzu kommt folgende Überlegung: § 1004 Abs. 2 BGB lässt den Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruch des Eigentümers gegen einen Störer entfallen.62 In den allermeisten die Produzentenhaftung begründenden Konstellationen ist dementsprechend nur der Hersteller einer gefahrbegründenden Sache als originärer Verursacher dieser Gefahr, mithin als „Störer“ anzusehen. Aus diesem Grund kann er auch deliktisch verpflichtet werden, die Gefahren effektiv zu beseitigen.63 Die Besonderheit bei vernetzten Automobilen besteht aber gerade darin, dass die Fahrzeuge im Straßenverkehr eingesetzt werden. Im Verhältnis zu anderen Straßenverkehrsteilnehmern kann der Nutzer eines unsicheren Fahrzeugs also selbst zum „Störer“ werden. Denn: Die Verwendung eines fehlerbehafteten vernetzten Wagens kann mit einer gravierenden Gefahrenlage für Leib und Leben aller am Straßenverkehr Beteiligten einhergehen (siehe oben). Kann gem. § 1004 Abs. 2 BGB sogar derjenige Eigentümer zum Schutze Rechtsgüter Dritter verpflichtet werden, Eigentumsbeeinträchtigungen zu dulden, muss dieser Gedanke erst recht für den Nutzer eines fehlerbehafteten vernetzten Fahrzeugs gelten, soweit dieser dadurch selbst eine Gefahr begründet.

Im Ergebnis wird hier also dafür plädiert, die Wertungen des § 1004 Abs. 2 BGB, welcher zur Duldung von Eigentumsbeeinträchtigungen zum Schutze gewichtiger Rechte und Interessen Dritter verpflichtet, auf die Update-Pflicht des Herstellers von vernetzten Automobilen zu übertragen. Die überragende Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter überwiegt das Interesse des Fahrzeugnutzers an der Abwehr jeglicher Veränderungen an der Embedded Software. Nach der hier vertretenen Ansicht besteht damit eine Duldungspflicht des Fahrzeugnutzers analog § 1004 Abs. 2 BGB gegenüber dem aus § 823 Abs. 1 BGB zur Durchführung eines (OTA-)Updates verpflichteten Automobilherstellers. Dieser muss daher ohne Zustimmung des Fahrzeugnutzers die erforderlichen Updates am Wagen durchführen können.64

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