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1. Abstrakte Vorklärung
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Doppelte Hürde
Zur Beantwortung der Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit des Unionsrechts sind zwei Ebenen zu unterscheiden:[40] Erstens muss das mitgliedstaatliche Recht eine unmittelbare Anwendbarkeit von Rechtsakten der Unionsrechtsordnung zulassen.[41] Dem ist das deutsche Recht dadurch nachgekommen, dass es einerseits durch die verfassungsrechtliche Integrationsermächtigung in Verbindung mit den Zustimmungsgesetzen den „ausschließliche[n] Herrschaftsanspruch der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich des Grundgesetzes zurückgenommen“[42] und dem Unionsrecht Raum für unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit in der deutschen Rechtsordnung verschafft und andererseits die nationalen Rechtsbehelfe implizit für die Durchsetzung des Unionsrechts geöffnet hat. Zweitens muss das Unionsrecht seinerseits vorsehen, dass die in ihm enthaltenen Rechtspflichten unmittelbar anwendbar sein sollen. Dies wurde vom EuGH erstmals im Urteil van Gend & Loos positiv für das Primärrecht beantwortet. Danach sind Rechtssubjekte der Unionsrechtsordnung „nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen“. Daher solle das Unionsrecht „den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen“[43]. Später hat der EuGH die Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendbarkeit auf alle Formen des Sekundärrechts ausgedehnt.[44]
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Mobilisierung Einzelner zur Rechtsdurchsetzung
Die damit vom EuGH eingeführte Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendbarkeit öffnet Raum für eine weitreichende private Durchsetzung des Unionsrechts. Die EU kennt also nicht nur eine Durchsetzung ihrer Rechtsordnung gegenüber den Mitgliedstaaten, die durch die Union selbst oder durch andere Mitgliedstaaten initiiert wurde (Vertragsverletzungsverfahren [Art. 258 ff. AEUV]). Sie mobilisiert vielmehr auch Einzelne,[45] um eine flächendeckende Umsetzung zu gewährleisten[46] und unionsrechtswidrigem nationalen Recht effektiv entgegenzutreten.
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Objektive Maßstabswirkung
Zu berücksichtigen bleibt freilich, dass, auch wenn eine so definierte unmittelbare Anwendbarkeit nicht vorliegt, das Unionsrecht im nationalen Recht nicht wirkungslos bleibt. Es (z. B. eine Richtlinienbestimmung) entfaltet, sofern es nur eine „unmissverständliche Verpflichtung“ enthält,[47] jedenfalls objektive Maßstabswirkung für das mitgliedstaatliche Handeln.[48] Diese bezeichnet die verbindlichen Rechtswirkungen (insbesondere Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung[49]), die vom Unionsrecht unabhängig davon ausgehen, ob es Rechte für Einzelne begründet oder nicht.[50]