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1 WASSER ZWISCHEN RUSSLAND UND AMERIKA


Abb. 1 Landkarte von Sibirien, um 1729. 59,5 × 137 cm. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. Asch 246.

Die handgezeichnete und kolorierte Landkarte stammt aus dem Jahr 1729. Pjotr Tschaplin (gest. 1765), Leutnant zur See, fasste darauf die wichtigsten Erkenntnisse von Vitus Berings Erster Kamtschatka-Expedition (1725–1730) zusammen und dokumentierte den vorläufigen Abschluss der Eroberung Sibiriens. Die Karte zeigt Sibirien östlich von Tobolsk. Der noch unerforschte Norden Sibiriens verliert sich im mittleren oberen Kartenrand, aber die von Bering erkundeten Umrisse von Tschukotka und Kamtschatka sind einigermaßen deutlich eingezeichnet. Links oben ist das russische Wappen, der von Byzanz übernommene Doppeladler, zu sehen. Darin ist der Heilige Georg als Drachentöter dargestellt, die beiden zusätzlichen Kronen stehen für die Einverleibung von Kasan und Astrachan ins Moskauer Reich (s.u.). Unter dem Doppeladler befindet sich die Titelkartusche, an deren Rand links eine mit Fellen bekleidete Frau sowie ein nackter, lediglich mit Bändern um die Knie geschmückter Mann und an der rechten Seite eine in wallende Gewänder gehüllte Person dargestellt sind. Darunter sind farbige Zeichnungen von Tieren und Gegenständen aus Sibirien. Zwei Kreise enthalten Abbildungen von Bestattungsweisen.

Auffällig sind die zehn schwarz umrandeten farbigen Zeichnungen von Vertretern verschiedener Völker Sibiriens: Sie geben einen Überblick über die bis 1729 bekannten Völker im größer werdenden Russischen Reich und zeigen vier Darstellungen von Tungusen (s. Kap. 2), den einzigen Einwohnern Sibiriens, die Rentiere zum Reiten nutzten. Zu erkennen sind eine Frau und ein Mann, die auf einem Rentier reiten. Außerdem eine Frau mit einem Fisch in der Hand und ein Mann mit Bogen und Köcher. Der männliche Tunguse trägt ein Gewand mit dem charakteristischen Brustlatz, der eine große Ähnlichkeit mit dem im nächsten Kapitel beschriebenen Kleidungsstück aufweist.

Weiterhin sind ein Samojede mit Schneeschuhen, eine Jakutin, ein Korjake mit Schneeschuhen und Bogen sowie ein Kurile mit Pfeil und Bogen abgebildet. Auf der rechten Seite ist ein Tschuktsche mit einem Vogel zu erkennen sowie ein Kamtschadale mit Hundeschlitten. An der Kleidung und den jeweils beigefügten Attributen sind die Zugehörigkeiten zu einzelnen Ethnien gut zu erkennen. Die Beschriftungen unter den Bildern und auf der Karte sind in russischer Sprache. Der Betrachter erhält eine Vorstellung von der dramatischen Vergrößerung des Russischen Reichs im Laufe des 17. Jahrhunderts. Diese Expansion war die Voraussetzung für die im weiteren Verlauf dieses Buchs dargestellte Geschichte der Nordpazifikregion. Wie kam es dazu?

Ausdehnung des Russischen Reichs bis zum Pazifik

Begonnen hatte die Ausdehnung des Moskauer Großfürstentums unter Iwan IV. (Iwan der Schreckliche), der sich im Jahr 1547 zum ersten Zaren ganz Russlands krönen ließ. Mit den Angriffen auf die Khanate Kasan an der Wolga im Jahr 1552 und Astrachan 1556, ebenfalls an der Wolga nicht weit vom Kaspischen Meer gelegen, erweiterte er das Territorium des Moskauer Reichs in nicht einmal 10 Jahren entscheidend über die bis dahin russischen Gebiete hinaus. Zur treibenden Kraft für die Überschreitung des Urals wurde die Kaufmannsfamilie Stroganow. Im Dienst der Stroganows gelang es dem Kosaken Jermak Timofejewitsch im Jahr 1582 den Ural zu überqueren und das Khanat Sibir (das Khanat ist eine Art Staatsgebilde, strukturell dem mittelalterlichen Feudalstaat ähnlich) einzunehmen. Das um 1470 entstandene Khanat Sibir wurde von Nachkommen ehemals berühmter mongolischer Herrscher regiert, die sich von der usbekischen Oberhoheit befreit hatten. Mit der Einnahme von Sibir war der Bann gebrochen und das weitere Vordringen ging rasch voran. Wirtschaftliche Interessen, insbesondere die Jagd auf Zobel, trieben die Kosaken immer weiter nach Osten. Schon in den Jahren 1639 und 1648 erreichten sie an verschiedenen Stellen die Küste des pazifischen Ozeans. Unter Zar Peter I. (Peter der Große) fand schließlich die Ausdehnung des Russischen Reichs Richtung Osten ihr vorläufiges Ende. Der russische Entdecker Wladimir Atlassow eroberte im Jahr 1697 die Halbinsel Kamtschatka und machte die Einwohner zu steuerpflichtigen russischen Untertanen.

Vitus Berings Erste Kamtschatka-Expedition (1725–1730)

Erste Antworten auf geographische Fragen, die in den Studierstuben seit dem 16. Jahrhundert diskutiert wurden, liefert die Karte ebenfalls, indem sie keine Landbrücke nach Amerika aufweist. Bis ins 18. Jahrhundert hinein war man sich nicht sicher, ob Russland und Amerika miteinander verbunden waren, oder ob das Meer die jeweiligen Küsten voneinander trennte. Existierte die vermutete Meeresstraße zwischen Russland und Amerika, die als „Straße von Anian“ auf einigen Karten verzeichnet war? Um zur Klärung dieser Frage etwas beitragen zu können, aber noch viel mehr um sein gigantisches Reich besser kennenzulernen und herauszufinden, welche Schätze es barg, hatte Zar Peter I. den Auftrag zu einer groß angelegten Expedition gegeben. Vitus Bering, ein im russischen Dienst stehender dänischer Marineoffizier, sollte von Kamtschatka aus nach Norden segeln, um zu prüfen, ob es eine Landverbindung nach Amerika gab oder nicht. Wie die Karte zeigt, konnte Bering nachweisen, dass die beiden Kontinente nicht miteinander verbunden waren. Aber die Lage Amerikas in Bezug auf den äußersten östlichen Rand von Russland hatte er nicht klären können, da er in dichtem Nebel durch jene Straße gesegelt war, die heute seinen Namen trägt. An der schmalsten Stelle ist die Beringstraße lediglich 80 km breit und nur an klaren Tagen kann man von der durch Bering entdeckten St. Lorenzinsel aus das Festland auf der anderen Seite erkennen. Dies zu sehen war Vitus Bering nicht vergönnt.

Vermutlich wäre es nie zu dieser, später als „Erste Kamtschatka-Expedition“ bezeichneten Reise gekommen, hätte man nicht die Berichte des Kosaken Semjon Deschnjow im Archiv von Jakutsk zurückgehalten. Die örtlichen Vertreter leiteten sie nicht nach Moskau weiter, weil sie sie für unwichtig hielten. Erst der Historiker Gerhard Friedrich Müller fand die Papiere im Winter 1736/37 und lieferte damit den Nachweis, dass Semjon Deschnjow bereits im Jahr 1648 durch die heutige Beringstraße gesegelt war. Deschnjow war mit seinen Männern, von der Mündung des Flusses Kolyma kommend, in Booten bis zum Fluss Anadyr vorgedrungen und hatte erkannt, dass Tschukotka eine Halbinsel ist.

Zar Peter I. hatte die Notwendigkeit der genaueren Erkundung seines riesigen Reichs erkannt. Allerdings fehlten ihm gut ausgebildete Männer, die Kartierungsarbeiten sowie die Beschreibung der natürlichen Ressourcen des Landes übernehmen konnten. Um dem entgegen zu wirken, beschloss er den Aufbau einer Akademie der Wissenschaften.

Gründung der Russischen Akademie der Wissenschaften

Im Austausch mit westlichen Gelehrten wie Gottfried Wilhelm Leibniz entwickelte Zar Peter I. Konzepte für die Gründung einer Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Erst kurz vor seinem Tod im Januar 1725 kam er dazu, diese Pläne auch in die Tat umzusetzen. Zu den Aufgaben der Akademie sollten Aufbau und Einrichtung von Museen, zoologischen Gärten und Raritätenkabinetten sowie die Erforschung der natürlichen Ressourcen und die Anfertigung einer Liste aller im Russischen Reich gesprochenen Sprachen gehören (Dahlmann 1999, S. 16–17). Zusammengefasst könnte man daraus deuten, dass Russland in intellektueller Hinsicht den Anschluss an das westliche Europa suchte. Da es damals noch keine Universitäten in Russland gab, musste die junge Akademie auch die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses übernehmen. Die ersten Professoren wurden aus dem Ausland nach Russland berufen. Viele kamen aus Deutschland und der Schweiz. Einige von ihnen, wie der bereits erwähnte Historiker Gerhard Friedrich Müller, hatten im weiteren Verlauf der Geschichte erheblichen Anteil an der Erforschung des Russischen Reichs und der Entstehung ethnographischer Sammlungen in St. Petersburg.

Die Entdeckung des Nordpazifiks

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