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Оглавление7 DOCH NICHT ALLEIN AUF WEITER FLUR …
Der Schmuck der Aleuten, vor allem die Lippenpflöcke, waren den russischen promyschlenniki besonders aufgefallen und ab 1760 wurden sie regelmäßig in ihren Berichten erwähnt. So zitiert Waldemar Jochelson 1933 in seinem Überblickswerk über die Aleuten aus den Tagebüchern russischer Händler und Kosaken, wie Andrejanow Tolstych. Tolstych gilt als der Entdecker der mittleren Inseln der Aleutenkette, die ihm zu Ehren als Andreanof Islands bezeichnet werden (Isto 2012, S. 8, Jones 2014, S. 83). Er schrieb um 1760:
„Ihren Gebräuchen entsprechend schneiden sie Löcher in beide Seiten der Oberlippe und ein Loch in die Unterlippe über dem Bart. In diese Löcher stecken sie Stücke (= Lippenpflöcke) aus Walrosselfenbein, deren Form einem Eberbackenzahn gleicht. Manche – sowohl Männer als auch Frauen – stecken sich bis zu 10 cm lange Knochen von der Dicke eines Gänsekiels durch ein Loch in der Nasenscheidewand, was den Reichtum des Klans und ihre Lebensweise zeigt.“
(Jochelson 1933, S. 10)
Aber auch von den staatlich finanzierten Expeditionen, wie der im vorigen Kapitel erwähnten von Krenizyn und Lewaschow, stammen Berichte über diesen auf die Russen fremd und exotisch wirkenden Brauch. So notierte Lewaschow als er 1769 in Unalaska war, dass sich die Männer in die Einschnitte der Unterlippe ein Stück aus einem weichen Stein oder Knochen ähnlich einem Eberhauer steckten und sich zu besonderen Anlässen oder im Krieg Perlen und Bernstein zwischen die eingefügten „Zähne“ hängten (Jochelson 1933, S. 19).
Verflechtungen von Wissenschaft, Politik und Wirtschaftsinteressen
Wenngleich sich die Erklärungsversuche für die Gewohnheit Lippenpflöcke zu tragen unterschieden, wurden die Berichte darüber doch alle im Geiste der Aufklärung verfasst, während der man sich voller Neugier und zunächst einmal relativ unvoreingenommen mit solchen Phänomenen beschäftigte. Die wachsende Anzahl solcher veröffentlichten Beobachtungen wies auf die intensive russische Präsenz im Nordpazifik hin, deren deutlichstes Zeichen die von Katharina II. entsandte und staatlich organisierte Marineexpedition (s. Kap. 6) war. Zusammen genommen führte all das in Spanien zu Beunruhigung. Zwar gab es noch keine dauerhaften russischen Siedlungen an der Nordwestküste Amerikas, aber während der Sommermonate waren die promyschlenniki regelmäßig auf den Aleuten präsent und betrieben Seeotterjagd. Zeitgleich dehnte Spanien sein Herrschaftsgebiet an der Westküste des amerikanischen Kontinents immer weiter nach Norden aus und sogar Frankreich bekundete mit der ersten französischen Weltumsegelung (1766–1769) unter dem Kommando von Louis Antoine de Bougainville Interessen im Pazifik (Gough 1992, S. 26).
Abb. 10 John Webber. A man of Oonalashka.
Spanien zeigt Flagge
Spanische Missionsstationen wurden immer weiter nördlich angelegt und mit der Gründung der Mission San Francisco im Jahr 1769 begann die spanische Kolonisierung Kaliforniens. Dafür wurde ein weiterer Stützpunkt nördlich von Acapulco zur Versorgung der neuen Missionsstationen notwendig. Man entschied sich für den Gezeitenkanal von San Blas (heute in Mexiko), der 140 Meilen westlich von Guadalajara lag. Obgleich recht flach, war der Hafen günstig gelegen und vor Stürmen geschützt. Die Nähe zu Kalifornien sowie die gute Süßwasserversorgung und ein Wald mit Harthölzern in unmittelbarer Nähe, die zum Schiffsbau benötigt wurden, waren weitere Vorteile. Ein großer Nachteil war jedoch das sumpfige Umfeld, in dem während der Regenzeit unzählige Stechmücken brüteten, die diverse Tropenkrankheiten auf die in San Blas lebenden Arbeiter übertrugen (Olson 2004, S. 3–4). Als der Stützpunkt im Jahr 1773 fertig eingerichtet war, wurde unmittelbar mit dem Bau der Fregatte Santiago (225 Tonnen) begonnen. Der Hafen San Blas entwickelte sich zum Kernpunkt der spanischen Interessen an der Nordwestküste des amerikanischen Kontinents. Mit Ausnahme der Expedition von Alessandro Malaspina (s. Kap. 30) starteten alle anderen spanischen Expeditionen ins heutige Alaska oder Kanada von San Blas aus. Die erste Expedition fand im Jahr 1774 unter dem Kommando von Juan Pérez statt. Er erhielt die Order mit der gerade fertig gestellten Fregatte Santiago bis 60° N vorzudringen und stach am 25. Januar 1774 von San Blas aus mit 88 Mann Besatzung in See (Pethick 1980, S. 9).
Am 19. Juli 1774 – viele Crewmitglieder litten bereits an Skorbut – kam, nach sechs Monaten, endlich Land in Sicht. Dabei handelte es sich um die nördlichste der Queen Charlotte Islands, wobei die Inselgruppe ihren Namen erst später erhielt. Haida Indianer näherten sich den Spaniern in Kanus, um mit ihnen Handel zu treiben. Auf Pérez wirkte es, als hätten diese Indianer bereits Übung im Handel mit Schiffen – sie brachten, neben Handelswaren, auch Süßwasser mit zum Schiff. Da die Spanier nicht an Land gingen, existiert von dieser Reise leider kein Bericht über die Siedlungen der Haida (Olson 2004, S. 9).
Aufgrund von Krankheit, Nebel und gegenläufigen Strömungen kehrte Pérez bei 55° N um und fuhr an der Küste entlang zurück nach Süden, wo er im August 1774 auf der Westseite von Vancouver Island eine große Bucht entdeckte, die er Surgidero de San Lorenzo (Ankerplatz St. Lorenz) taufte. Als James Cook 1778 dieselbe Bucht erreichte, gab er ihr den Namen King George’s Sound, später erhielt sie den Namen Nootka Sound (s. Kap. 9).
Pérez ging auch hier nicht an Land, aber während er in der Bucht ankerte, kamen ihm zur Begrüßung mehrere Kanus der Nuu-chah-nulth-Indianer entgegen. Einige kletterten an Bord und es kam zum Austausch von Geschenken. Die Indianer brachten darüber hinaus zwei Silberlöffel in ihren Besitz, die im weiteren Verlauf der Geschichte noch eine bedeutende Rolle spielen sollten (Wilson 1970, S. XXIX). Den Spaniern fiel auf, dass diese Indianer sich in Kleidung, Erscheinung und Sprache von jenen auf den Queen Charlotte Islands unterschieden.
Nach kurzem Aufenthalt und offizieller Inbesitznahme der Bucht segelte Pérez nach Süden. Am 28. August 1774 legte er einen kurzen Stopp in Monterey ein und setzte die Fahrt dann direkt nach San Blas fort. Die Spanier zeigten sich überrascht von der Tatsache, dass viele der indianischen Frauen Ringe und Armbänder aus Eisen und Kupfer trugen. Außerdem bewunderten sie die, aus der Wolle von Bergziegen gewebten Roben der Indianer und Pérez gelang es, zwei davon einzutauschen. Wie groß in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Europa das Interesse an „Kuriositäten“ aus fernen Ländern war, zeigt die Tatsache, dass eine der Roben bereits ein Jahr später in Madrid ausgestellt wurde. Zwar hatte die Expedition nicht den 60. Breitengrad erreicht, sie galt aber dennoch als Erfolg, was Vizekönig Bucareli dazu veranlasste gleich für das nächste Jahr eine weitere Expedition Richtung Norden anzuordnen (Olson 2004, S. 10).
Die zweite spanische Expedition nach Norden (1775)
Diese wurde im Sommer 1775 mit zwei Schiffen, der Santiago unter dem Kommando von Bruno de Hezeta und der Sonora unter Juan Francisco de la Bodega y Quadra durchgeführt.
Am 13. Juli 1775 wurden während eines Landgangs an der Küste des heutigen Staates Washington sechs Männer der Sonora von Indianern getötet. Dennoch setzten die beiden Schiffe die Fahrt weiter fort. Hezeta entschied am 29. Juli 1775, mit der Santiago zurückzukehren. Bodega y Quadra hingegen wollte mit der Sonora versuchen, die geforderten 60° N zu erreichen. Am 18. August 1775 ankerte die Sonora in der Nähe des heutigen Sitka Sounds. Zwei Kanus mit Indianern begannen sich dem Schiff zu nähern, doch der Kommandant ordnete die Suche nach einem anderen Ankerplatz an. Er fand diesen noch am selben Tag in Sea Lion Cove an der Westseite von Kruzof Island (Alexander-Archipel, Alaska). Am Ufer entdeckten die Spanier eine Siedlung der Tlingit (s. Kap. 30). Als sie an Land gingen, um sich mit Süßwasser zu versorgen und Feuerholz zu holen, versuchten sie, die Tlingit mit Geschenken freundlich zu stimmen. Die Spanier errichteten ein Kreuz und nahmen offiziell Besitz von der Bucht. Nach einem zweitägigen Aufenthalt entschied Bodega y Quadra nach San Blas zurückzukehren, da er selbst und ein großer Teil seiner Mannschaft stark unter Skorbut litten. Am 24. August 1775 ankerte er erneut in einer geschützten Bucht, die er nach dem Vizekönig Bucareli (Bucareli Bay, Prince of Wales Island, Alexander-Archipel, Alaska) benannte. Nach der Inbesitznahme und der Versorgung mit frischem Wasser segelte er weiter nach Süden. Am 7. Oktober ankerte er vor der spanischen Siedlung in Monterey Bay im Norden Kaliforniens. Bodega y Quadra, sein Lotse Francisco Antonio Mourelle de la Rúa und die meisten seiner Crewmitglieder waren so krank, dass sie an Land getragen werden mussten. Die Tagebücher von Bodega y Quadra und Mourelle de la Rúa enthalten kurze, aber treffende Beschreibungen der angetroffenen Ureinwohner. Eine Kopie von Mourelles Journal gelangte nach England, wo es übersetzt und veröffentlicht wurde (Mourelle 1780, Olson 2004, S. 12–13).
Wie diese Aktivitäten verdeutlichen, zeichnete sich bereits in den frühen 1770er Jahren ein internationales Interesse an der Nordpazifikregion ab. Aus verschiedenen Richtungen kam es zu Annäherungen: Russen drangen von den Aleuten aus weiter nach Osten und Süden vor, um Seeotter zu jagen. Engländer erkundeten in Konkurrenz zu den Franzosen den Nordamerikanischen Kontinent westlich der Hudson Bay mit dem Ziel, die Nordwestpassage zu finden und über sie den Pazifik zu erreichen. Spanier bewegten sich von ihren Besitzungen in Peru und Mexiko aus weiter nach Norden an der Küste entlang, um Präsenz zu zeigen.
Abb. 11 Angelhaken, Hawaii. Material: Oz 225 (oben links), Oz 226 (oben Mitte und rechts) Perlmutt. Oz 227 Knochen. Oz 228, Oz 229 Knochen, Pflanzenmaterial. Maße: Oz 225 4,2 × 2,5 cm. Oz 226 4,2 × 2,7 cm. Oz 227 4,6 × 2 cm. Oz 228 7,5 × 3,4 cm. Oz 229 5 × 2,5 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen – Slg. Cook/Forster (Foto: Harry Haase).