Читать книгу Die Entdeckung des Nordpazifiks - Gudrun Bucher - Страница 21
Оглавление6 DAS WICHTIGSTE SIND GUTE KARTEN
Auch diese Karte (Abb. 8) gelangte Dank der Großzügigkeit des Barons von Asch in die Göttinger Universitätsbibliothek. Sie stellt die kartographischen Ergebnisse einer staatlich finanzierten Expedition zu den Aleuten dar (s.u.). Am linken Rand der Karte ist die Halbinsel Kamtschatka eingezeichnet, in der Mitte das Beringmeer, das damals noch „Kamtschatkameer“ genannt wurde und auf der rechten Seite sind einige Inseln der Aleutenkette zu erkennen. Die Beschriftung der Karte ist teilweise auf Deutsch und teilweise auf Russisch. Links neben dem eingerahmten, in Russisch beschrifteten, Feld in der unteren Mitte der Karte ist auf Deutsch zu lesen:
„Carte von Kamtschatka und den benachbarten Inseln, nach den Beschreibungen der Hrn. Lewaschoff, KrenZin und anderer, in den Jahren 1767–1769, deren Reise nach der Zeit, durch die Linien auf der See bestimmt sind.“
Die Inselkette der Aleuten
Auf der abgebildeten Karte wirken die Aleuten wie eine Gruppe dicht beieinanderliegender Inseln. Eigentlich handelt es sich aber um eine Inselkette aus 110 größeren sowie einer Vielzahl kleinerer Inseln und Vogelfelsen. Diese heute zum US-Bundesstaat Alaska gehörenden Inseln erstrecken sich von der Alaska-Halbinsel ungefähr 1800 km nach Westen und bilden die Grenzlinie zwischen Beringmeer und Pazifik. Die in der Verlängerung der Inselkette liegenden und zur Russischen Föderation gehörenden Kommandeurinseln (Beringinsel und Kupferinsel) östlich von Kamtschatka sind ein biologisches und geographisches Bindeglied zwischen Nordostasien und Nordwestamerika. Die meisten der aleutischen Inseln sind vulkanischen Ursprungs und an vielen Stellen auch heute noch geothermal und vulkanisch aktiv. Zwar sind die Temperaturen im Winter mit Werten um den Gefrierpunkt vergleichsweise mild, die Sommer aber sind mit ca. 6° bis 8 °C relativ kühl. Auf den Inseln gibt es jedoch keinen Dauerfrostboden und das Meer um die Aleuten friert in der Regel nicht zu. Insgesamt waren die Bedingungen für die Russen dort milder und weniger extrem als in den zentralen Teilen Sibiriens.
Neue staatliche Aktivitäten
Katharina II. (Katharina die Große) war ab 1762 Zarin des Russischen Reiches und begann die staatlichen Interessen im Nordpazifik zu festigen, indem sie der Marine befahl, die promyschlenniki (Gewerbetreibende) zu unterstützen. Während ihrer gesamten 34-jährigen Regierungszeit (1762–1796) zeigte sie Interesse für die russischen Gebiete in Amerika (Black 2004, S. 79). Recht bald nach ihrem Regierungsantritt entsandte die Zarin im Jahr 1764 gleich zwei Marineexpeditionen an die nordöstlichen Küsten Russlands. Dabei handelte es sich um die ersten staatlich finanzierten Expeditionen seit Vitus Berings Zweiter Kamtschatka-Expedition (1733–1743). Die Ziele der beiden Expeditionen waren hoch angesetzt: Die eine sollte unter der Leitung von Wassili Tschitschagow von Spitzbergen an Grönland vorbei, durch das Polarmeer zu den Aleuten segeln, also die Nordwestpassage erkunden. Pjotr Krenizyn und Michail Lewaschow erhielten als Kommandanten der zweiten Expedition den Auftrag, von Ochotsk aus über Kamtschatka zur amerikanischen Küste und dann zu einem vereinbarten Punkt auf den Aleuten zu segeln, um dort mit Tschitschagow zusammen zu treffen, sich auszutauschen und dann auf dem Weg, auf dem der jeweils andere gekommen war, zurückzukehren. Eine mehr als optimistische Planung, da bis dahin weder der Weg über den Pol gelungen, noch die Nordwest- oder Nordostpassage gemeistert worden waren. Katharina erhoffte sich durch die Erkundung der nördlichen Seewege, diese künftig als Handels- bzw. Transportrouten nutzen zu können. Ziel beider Expeditionen war es deshalb auch, Offiziere und Mannschaften mit der Navigation im Eis vertraut zu machen (Black 2004, S. 84).
Abb. 8 Karte mit den Resultaten der Expedition von Michail Lewaschow und Petr Krenitsyn, Kamtschatka und dem Weg der Expedition zu den Aleuten. Farbige Tuschzeichnung. Maße: Breite 134 cm, Höhe 52,5 cm. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. Asch 277.
Tschitschagow versuchte nun in zwei aufeinander folgenden Sommern von der Kola-Halbinsel aus nach Norden vorzudringen, stieß aber jedes Mal bei ca. 80° Nord auf undurchdringliches Eis. Damit wurden die Pläne eines Zusammentreffens der beiden Expeditionen undurchführbar.
Erfolgreicher waren Lewaschow und Krenizyn. Zu ihren Aufgaben gehörte die Überprüfung von Gerüchten bezüglich der Präsenz anderer Europäer, insbesondere von Spaniern an der Küste (Black 2004, S. 86). Es galt, herausfinden, ob die indigene Bevölkerung bereits unter die Herrschaft einer europäischen Macht geraten war und dieser Tribut leistete. Zu diesem Zweck sollte Krenizyn, einerseits promyschlenniki an Bord nehmen, die sich im Bereich der Aleuten gut auskannten und andererseits junge Aleuten, die in Kamtschatka Russisch gelernt hatten, als Dolmetscher mitnehmen. Neben kartographischen und hydrographischen Arbeiten und der Erhebung demographischer Daten erwartete man von der Expedition Beschreibungen der Lebensweise der Aleuten sowie eine Dokumentation von Flora, Fauna und Bodenschätzen.
Konflikte zwischen Aleuten und Russen
Die Krenizyn-Lewaschow Expedition fand zu einem ungünstigen Zeitpunkt statt. Es war zu Beginn der 1760er Jahre zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Russen und Aleuten gekommen, in deren Verlauf die Aleuten russische Schiffe angegriffen und große Teile der Mannschaften getötet hatten. In dieser angespannten Lage mussten Krenizyn und Lewaschow äußerst vorsichtig vorgehen. Sie erreichten die Inselkette im Jahr 1768 und überwinterten unabhängig voneinander, weil die beiden Schiffe sich während eines Sturms aus den Augen verloren hatten. Krenizyn verbrachte den Winter auf der Insel Unimak in St. Catherine Cove. Er verlor 36 seiner 71 Männer durch Skorbut und Nahrungsknappheit. Grund dafür war, dass er aus Angst vor weiteren Auseinandersetzungen jeglichen Kontakt mit den Aleuten untersagte und seinen Männern verbot, sich vom Camp zu entfernen, um selbst auf die Jagd zu gehen. Besser erging es der Lewaschow’schen Mannschaft, die in der Unalaska Bucht überwinterte und „nur“ drei Besatzungsmitglieder verlor.
Nachkommende russische promyschlenniki zerstörten Waffen und Boote der Inselbewohner, um sie an der Kriegführung zu hindern. Durch den Verlust von Harpunen, Lanzen und Booten waren die Aleuten nicht nur wehrlos gegenüber den Russen, sie büßten darüber hinaus ihre Lebensgrundlage ein, weil sie ohne Waffen nicht mehr jagen konnten. Dies bedeutete das Ende ihrer Unabhängigkeit und fortan waren sie gezwungen, für die russischen promyschlenniki zu arbeiten (Black 2004, S. 89).
Nach überstandenem Winter und der Wiedervereinigung der beiden Schiffe am 1. Juni 1769 trat die Expedition die Rückreise nach Kamtschatka an. Dort ertrank Krenizyn am 4. Juli 1770 im Fluss Kamtschatka infolge eines Unfalls (Ordubadi 2016, S. 50). Lewaschow hingegen gelang die Rückkehr nach St. Petersburg und damit die Vollendung der Expedition sowie die Übergabe ihrer Ergebnisse an die Admiralität in St. Petersburg. Als Resultate entstanden exzellente Karten, ausführliche ethnographische Beschreibungen sowie Berichte über das Vorgehen der Fellhändler. Baron von Asch glückte es, eine der Karten mit der Reiseroute der beiden Schiffe nach Göttingen zu schicken.
Die russischen Aktivitäten wurden außerhalb Russlands nicht nur aus politischen Gründen verfolgt. Auch die wissenschaftliche Welt nahm regen Anteil und veröffentlichte meist zeitnah Artikel in verschiedenen Sprachen über die russischen Entdeckungen (Dahlmann, Friesen, Ordubadi 2009, S. 23). Auf staatlicher Ebene lösten die russischen, jetzt offiziellen, Aktivitäten unterschiedliche Reaktionen aus: Spanien sah seine Ansprüche auf die Westküste des amerikanischen Kontinents bedroht und England fürchtete, Russland könne dem Königreich bei der Suche nach einer der Nordpassagen zuvorkommen (Black 2004, S. 91).
Abb. 9 Lippenpflöcke, Aleuten. Material: Knochen oder Walrosselfenbein. Maße: Am 779 1 × 0,9 cm; Am 780 a) 1,2 × 1,1 cm; b) 1 × 0,9 cm; Am 781 a) 3,5 cm lang, b) 3,8 cm lang. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – Am 779, Am 780 a, b Am 781 a, b (Foto: Harry Haase).