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5 ÜBERBRÜCKBARE DISTANZEN – VERBINDUNG UND AUSTAUSCH ZWISCHEN ZWEI KONTINENTEN

Die Besonderheit dieser Kette ist, dass sie nicht aus einzelnen Gliedern zusammengefügt, sondern aus einem einzigen Walrossstoßzahn herausgeschnitzt wurde (Abb. 5). Sie besteht aus 19 Kettengliedern ohne jede Naht und zwei Endstücken, von denen das eine den Kopf und das andere die Fluke (Schwanzflosse) eines Grönlandwals darstellt.

Die Jagd auf Walrosse war für die Völker beiderseits der Beringstraße von besonderer Bedeutung. Das Fleisch der Jungtiere diente als Nahrung, mit der Haut von Walrossweibchen wurden die Holzgerüste der Boote bespannt – sie war so dick, dass sie zuvor gespalten werden musste. Aus den Knochen wurden Waffen und Werkzeuge hergestellt und die Stoßzähne, wie an der Kette zu sehen ist, zu Schnitzereien verarbeitet.

Walrosselfenbein war ein häufig verwendetes Rohmaterial für die Herstellung von Schnitzwerk. Dadurch wurde es zu einem wichtigen Wirtschaftsgut, das auch den im Nordpazifik ankommenden Europäern gut bekannt war. Bereits die Wikinger hatten im 14. Jahrhundert von Grönland aus Stoßzähne von Walrossen nach Europa geliefert, um damit ihre Steuerlast zu begleichen.

Gegenstände aus Walrosselfenbein waren meist recht klein, aber stabil, verdarben unterwegs nicht und ließen sich mit geringem Aufwand transportieren. Als nun häufiger Expeditionen den hohen Norden erkundeten und Nachrichten über verwertbare Ressourcen mitbrachten, wurden diese Regionen auch für Kaufleute interessant. Durch deren Präsenz entwickelte sich eine wachsende Nachfrage nach den kleinen Schnitzfiguren, die nicht zuletzt von den Seeleuten gerne als Souvenirs erworben wurden. Dies regte die lokale Produktion an. Die Einführung von Metallwerkzeugen erleichterte zudem die Bearbeitung des Materials, allerdings waren auch ohne Metallwerkzeuge meisterhaft bearbeitete Stücke hergestellt worden, wie archäologische Ausgrabungen zeigen. So wiesen beispielsweise Fitzhugh und Kaplan im Jahr 1982 darauf hin, dass Ketten aus Walrosselfenbein bei Ausgrabungen im westlichen Alaska gefunden wurden. Dies bedeutet, dass solche Ketten bereits vor der Kolonisierung und ihren Begleiterscheinungen, wie die Verfügbarkeit von Metallwerkzeugen und gesteigerte Nachfrage, hergestellt und möglicherweise gehandelt wurden. Die beiden Autoren gelangten zu dem Schluss, dass es im Nordpazifikgebiet weitreichende Beziehungen und Kontakte gegeben haben muss und materielle und immaterielle Kulturgüter über große Distanzen hinweg weitergegeben wurden. Sie vermuteten, dass von sibirischen Schamanen getragene Metallketten als Vorbild für solche Elfenbeinschnitzereien gedient haben könnten (Fitzhugh und Kaplan 1982, S. 234). Wie diverse Ausgrabungen belegen (siehe Leskov und Müller-Beck 1993), existierten Kontakte und Austausch sogar über die Beringstraße hinweg. Diesen Umstand nutzten auch die frühen Expeditionsteilnehmer im Beringmeergebiet, indem sie sich durch Befragungen und Kommunikation mittels Zeichensprache von der indigenen Bevölkerung Informationen über die jeweils andere Seite beschafften.


Abb. 5 Kette. Material: Walrossstoßzahn. Maße: Länge 29 cm. Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen, Slg. Asch – Am 681 (Foto: Harry Haase).

Die Kette aus Walrosselfenbein gelangte ebenfalls durch Baron von Asch nach Göttingen. Sie stammt, wie alle anderen Gegenstände aus von Aschs Sendungen, aus der Frühzeit des ethnographischen Sammelns und ist damit ein Kulturdokument der frühen Kontaktgeschichte und zwar aus der Zeit, bevor sich die lokalen Gesellschaften durch die neu eindringenden Einflüsse grundlegend veränderten.

Sammeln für die Wissenschaft

Als die ersten wissenschaftlichen Expeditionen im 18. Jahrhundert die Küsten des Beringmeeres erreichten, hatten sie bereits Anleitungen zum Anlegen von Sammlungen im Gepäck. Der bereits erwähnte Historiker Gerhard Friedrich Müller verfasste um 1740, während seiner Teilnahme an der Zweiten Kamtschatka-Expedition, eine solche Anleitung zum Sammeln mit dem Titel: „Von Sammlung verschiedener Sachen für die Kayserliche Kunstkammer.“ In diesem Dokument legte Müller ausführlich dar, was von unterwegs mitzubringen war. Besonders wichtig war ihm das Sammeln von Kleidung. Es sollte unbedingt darauf geachtet werden, sowohl Männer- als auch Frauengewänder zu erwerben. Eines der Auswahlkriterien für die mitzubringenden Objekte war Müller zufolge der Grad ihrer Fremd- oder Andersartigkeit: „Allerley Hauss-Geräthe, so etwas besonders hat, und von dem unsrigen unterschieden ist“ waren das Ziel der Sammlung (Russow 1900, S. 98). Neben Kriegs- und Jagdgerät waren Zeremonial- und Alltagsgegenstände für die Kunstkammer einzutauschen oder zu kaufen. Als Handelsgut empfahl Müller chinesischen Tabak. Die Expeditionsteilnehmer sollten versuchen, auch Objekte aus Gegenden zu beschaffen, die sie selbst gar nicht bereist hatten. Müller bat, darauf zu achten, „dass dafür denen Völkern eine richtige Bezahlung gereichet, und was bezahlet worden, angezeiget werden möge“ (Russow 1900, S. 99). Dies erklärt, warum bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts mehr und mehr Artefakte aus den russischen Randgebieten in die Kunstkammer nach St. Petersburg gelangten.

Vitus Berings Zweite Kamtschatka-Expedition (1733–1743)

Die wissenschaftliche Erforschung der nichtrussischen Völker des Russischen Reiches und der östlichen Ränder, also insbesondere Kamtschatkas und später auch Tschukotkas, begann im 18. Jahrhundert. Während der bereits erwähnten, insgesamt zehn Jahre andauernden Zweiten Kamtschatka-Expedition, wurde Pionierarbeit geleistet. Eine Abteilung von Gelehrten der Akademie der Wissenschaften reiste über Land durch Sibirien bis Kamtschatka, um alles Wissenswerte aus den drei Naturreichen – Mineralogie, Pflanzen, Tiere – und über die Menschen in den abgelegenen Gebieten zu beobachten und aufzuschreiben. Vitus Bering selbst hatte neben der Gesamtleitung der Expedition den Auftrag, von Kamtschatka aus den Weg nach Amerika zu suchen und dabei die damaligen Landkarten zu überprüfen, auf denen südöstlich von Kamtschatka Land eingezeichnet war. Nach langjährigen Vorbereitungen und dem Bau zweier Schiffe – St. Peter und St. Paul – konnte Bering Anfang Juni 1741 endlich mit seiner wichtigen Aufgabe beginnen. Er erbrachte den Nachweis, dass das eingezeichnete Land nicht existierte, entdeckte dafür aber mehrere Inseln, die erheblich weiter östlich lagen. Schließlich erreichte er am 20. Juli, dem Eliastag, Kayak Island, und taufte das gesichtete Stück Land Kap St. Elias. Auch der Mount St. Elias im heutigen Alaska verdankt seinen Namen Berings Sichtung an diesem Tag.

Wie der mitreisende Arzt und Naturkundler Georg Wilhelm Steller aufgrund eines kleinen blauen Vogels erkannte, war die Expedition auf einer direkt vor dem amerikanischen Kontinent liegenden Insel gelandet. Bei dem kleinen blauen Vogel handelte es sich um den Diademhäher (Cyanocitta stelleri), den Steller aus der vorbereitenden Lektüre zu kennen glaubte. Da er ihn für den in Amerika beheimateten Blauhäher (Cyanocitta cristata) hielt, war er davon überzeugt, tatsächlich in der Neuen Welt angekommen zu sein.

Aufgrund der fortgeschrittenen Jahreszeit drängte Bering alsbald zur Rückreise. Dies veranlasste Steller zu dem berühmt gewordenen und viel zitierten Ausspruch:

„Die Zeit, welche hier zu Untersuchungen angewendet ward, hatte mit den Zurüstungen ein arithmetisches Verhältnis; zehn Jahre währte die Vorbereitung zu diesem großen Endzweck, zehn Stunden wurden zur Sache selbst gewidmet.“

(zit. nach Posselt 1990, S. 251)

Die Mannschaft musste den Winter schließlich auf einer bis dahin unbekannten und unbewohnten Insel verbringen. Vitus Bering starb dort am 8. Dezember 1741, weshalb das Eiland heute seinen Namen trägt. Stark dezimiert kehrte die Mannschaft im folgenden Sommer nach Kamtschatka zurück und berichtete über die vielen Füchse auf der Beringinsel sowie über das angenehm schmeckende und nahrhafte Fleisch der Steller’schen Seekuh (Hydrodamalis gigas bzw. Rhytina stelleri).

Alexei Tschirikow, Berings Stellvertreter und Kommandant des zweiten Schiffs, der St. Paul, hatte im Sommer 1741 ebenfalls die Aleuten und weitere Inseln vor dem amerikanischen Kontinent erreicht. Ihm war aber im Gegensatz zu Bering die Rückkehr noch im Herbst des Jahres 1741 gelungen. Beide Mannschaften berichteten vom weichen Fell der Seeotter vor der amerikanischen Küste und dass diese Tiere in großer Zahl dort vorkamen. Seeotterfelle ließen sich ebenso gewinnbringend verkaufen wie Zobelpelze. Letztere waren zunehmend schwieriger zu finden, weil der Zobel bereits hoffnungslos überjagt war. Die Erzählungen von der neuen Ressource wanderten rasant von Mund zu Mund und bereits 1742 machten sich die ersten promyschlenniki auf den Weg nach Amerika. Promyschlenniki nannte man in Russland freie Personen, die sich auf eigene Rechnung mit der Jagd auf Pelztiere oder dem Fischfang beschäftigten. Sie waren meist Händler, Jäger und Abenteurer in einer Person. Gelegentlich wurden sie – vom Staat besoldet – mit speziellen Aufträgen in sehr unzugängliche Gebiete geschickt.

… und weiter führt der Weg nach Osten

Zunächst trieben also private Initiativen die russische Ausbreitung über den Nordpazifik voran. Zwei der General-Gouverneure von Sibirien, Wassili Miatlew (Amtszeit 1753–1757) und Fedor Soimonow (Amtszeit 1757–1762), begleiteten diese Aktivitäten mit Wohlwollen, teilweise sogar mit Unterstützung. Der Drang Richtung Osten, der nur vorübergehend an der Pazifikküste aufgehalten worden war, setzte sich seit der Rückkehr von Berings Mannschaften zwar unter schwierigen Bedingungen, aber ohne politische Hindernisse fort. Soimonow sorgte sogar dafür, dass private Fellhändler staatliche Unterstützung für die Bewaffnung ihrer Schiffe und Munition für die Gewehre ihrer Mannschaften erhielten. Er war insbesondere an der Kartierung der fernöstlichen Regionen interessiert. Georg Thomas von Asch – auch da wieder auf der Höhe der Zeit und nahe an den aktuellen Ereignissen – gelang es, eine der von Soimonow zusammengestellten Karten nach nach Göttingen zu schicken.

Außerdem unterstützte Soimonow die Erkundung der Kurilen, der Region um Anadyr sowie der Tschuktschenhalbinsel. Im Jahr 1761 instruierte er Leutnant Iwan Sindt, von Ochotsk aus entlang der Küsten Kamtschatkas und der St. Lorenz Insel zur Beringstraße und dann zum amerikanischen Festland zu segeln, um die jeweiligen Küsten zu beschreiben und zu kartieren. Sindt schien prädestiniert für diese Aufgabe, da er mit Bering nach Amerika gesegelt war und die Überwinterung auf der Beringinsel überlebt hatte, sich also in der Region bereits auskannte. Darüber hinaus stand Soimonow mit Gelehrten wie Gerhard Friedrich Müller in Verbindung und tauschte sich mit ihnen aus. Ob die Kette aus Walrosselfenbein vielleicht sogar über Ivan Sindt nach Petersburg gelangt sein könnte, bleibt Spekulation; es wäre aber aufgrund der engen Verflechtungen durchaus denkbar. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass sie auf die noch zu erwähnende Expedition unter der Leitung von Joseph Billings zurückgeht (s. Kap. 24).


Abb. 6 Karte von der Halbinsel Kamtschatka und dem gegenüberliegenden Festlande und den Inseln von Amerika, so wie sie aus den Journalen des Capitän Bering Tschirikow und Anderer auf ihrer Rückreise in den Jahren 1741/2 aufgenommen und beschrieben worden sind. Farbige Tuschzeichnung mit russischen Erklärungen. Maße: Breite 86 cm, Höhe 49 cm. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. Asch 276.


Abb. 7 John Webber. Meerotter. Forster, 1789.

Dies alles macht deutlich, dass Russlands Vordringen nach Osten nicht an der Pazifikküste endete. War die Eroberung bis dahin über Land vonstatten gegangen, mit dem Zobel als Triebfeder, löste der Seeotter den Zobel nun ab. Die von Peter I. eingeführte Konzentration auf Schiffsbau und die Meere machte sich nun bezahlt: neben den staatlich finanzierten Expeditionen begannen viele Kaufleute, Schiffe auszurüsten, um an den weichen Fellen der Seeotter, deren Hauptabsatzmarkt in China war, gut zu verdienen.

Die Entdeckung des Nordpazifiks

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