Читать книгу Chroniken der tom Brook - Gunda von Dehn - Страница 12
Wenn doch nur dieses vermaledeite “Geheimnis“ nicht wäre! Oder war es gar keines? War Foelke eingeweiht? Wusste sie über die Urkunde in der Staatstruhe Bescheid? Widzelt war sich unsicher. Sicher war nur: Er musste es ihr sagen… irgendwann in günstiger Stunde. Ach, günstig, was hieß das schon. Neue Münzen würden ihn verraten… Widzelt wurde das plötzlich klar, als er Ockos Entwürfe in der Hand hielt. Da stand: „Domi Ockonis militis in Brookes“.
ОглавлениеWidzelt hatte als „vassus dominici“ (Vasall) politische und gerichtliche Verwaltungsaufgaben zu verrichten. Was mussten seine eigenen Münzen aussagen? ’Domi Widzaldi militis in Brookes’? Das Wort „Militis“ würde einen Sturm der Empörung auslösen, denn er war ja kein Ritter und der Erbe war er auch nicht, sondern Keno, das unmündige Söhnchen seines Bruders Ocko.
Das Anrecht auf den Häuptlingsstuhl war genauso unverletzlich wie das Erbfolgerecht schwach war. Nicht nur die Zugehörigkeit zur Häuptlingsfamilie war eine unerlässliche Voraussetzung für die Regentschaft, sondern auch die Erbfolge. Sein Neffe Keno war Widzelt hierbei entschieden im Wege. Es mussten schlagende Mittel und Wege gefunden werden, durch die Widzelts Anspruch auf den Stuhl unbestreitbar wurde. Dies war Voraussetzung für die Billigung und Anerkennung durch die Untersassen sowie die übrigen Häuptlingsfamilien.
Unbestritten, Ockos Söhnchen befand sich keineswegs in der Lage, den Zins sowie die übrigen notwendigen Dienste an den Grafen zu erbringen. War das Widzelts Chance? War das der direkte Weg, den Buben auszuschalten? Indes, wie lange konnte Widzelt wohl überleben, wenn er sich ohne Legitimation zum Herrn aufschwang? - Das verlangte nach bester Planung und großer Besonnenheit.
Legitimation! Diese begehrte er mehr als alles andere auf Erden. - Unerlässlich für Widzelt war der Lehnbrief des Herzogs. Ausgestellt auf seinen Namen würde dieser Lehnbrief die Bestallung dafür sein, all das voranzubringen, was Ocko - eher zögerlich - begonnen hatte und was bisher möglicherweise auch noch nicht genügend an Reife gewonnen hatte.
Ah, so viel gab es zu tun! Seine Ziele zu verwirklichen, belebte Widzelts Ehrgeiz, gab Ansporn, eine Machtentfaltung anzustreben, die das Haus tom Brook an die Spitze seiner Landsleute tragen sollte, in eine hochgemute, ja gebieterische, möglicherweise gar unantastbare Position der Stärke. Primär musste Widzelt eine Einigung mit Folkmar Allena erzielen. Er, der mächtige Kriegsherr aus dem Groningerland, musste Widzelts Macht in der Krummhörn stärken! Dazu musste Folkmar Allena Widzelts Vasall werden und ihm huldigen!
Und hatte der Herzog ihn nicht ermutigt, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die ihm zur Verfügung standen? „… wer will nicht, dass sein Leben Bedeutung hat?“ So hatte Seine Gnaden ihn gefragt. Das stärkte Widzelts Selbstbewusstsein.
Er hörte plötzlich das Knarren eines geöffneten Tores und trat ans Fenster. Niemand zu sehen. - Die Wassermühle klapperte verschlafen dahin und der Wind schaukelte die herabhängenden Äste der einsamen Fichte gleichmäßig über das Dach der Wagenremise. Vor dem Fenster tanzten dürre Blätter im Wind. Unübersehbar kündigte sich der Herbst an.
Mit festen Schritten kehrte er zurück ans Schreibpult. Eine Weile rieb Widzelt sich die dumpf schmerzenden Schläfen, ehe er sich erneut seinen Regierungsgeschäften zuwandte. - Herr im Himmel, es ging um Tausende von Gulden jährlich, die der Krieg verschlang. Geld, an denen Blut klebte, das Blut vieler unschuldiger Menschen. Foelke verlangte von ihm, das zu unterbinden. Da war guter Rat teuer. Ihm fehlte eine zündende Idee. In seiner Vorstellung konnte das stets wiederkehrende Blutvergießen nur durch eine unerbittliche Eroberung und Unterwerfung beendet werden, denn Drohgebärden fruchteten nichts, so hatte man es ihn gelehrt. Aber: Gewalt erzeugt wieder Gewalt. Wie war der Teufelskreis zu durchbrechen? Seit Jahrhunderten folgten stets neue Eroberer... Wieso zog man keine Konsequenzen daraus? Widzelt hatte bereits Embeco dazu befragt, aber selbst der kluge Priester konnte keinen Aufschluss geben. Intensiv dachte Widzelt darüber nach, fand aber zu keiner endgültigen Entscheidung.
Dämmerung war mittlerweile hereingebrochen. Gespannt horchte er auf den Flur. Waren da nicht schlurfende Schritte? Ja --- nein --- doch --- vielleicht nur dürre Blätter, die über den Boden rollten. Um ihn herum zitterte Stille. Aber glitt dort nicht etwas an der Wand entlang? Er starrte dorthin und --- tatsächlich, ein grauer Schatten flog huschend vorbei, kaum wahrnehmbar. Gebannt schaut er auf die Wand. Da war es wieder --- wie eine Wolke – wie der lautlose Flügelschlag einer Eule. - Unsinn! Er musste sich irren, sicher nur eine Erscheinung des verlöschendes Tages. Er wollte sich wieder der Arbeit zuwenden, aber plötzlich überfiel ihn unbezwingliche Müdigkeit. Jäh schob er alles von sich, legte den Kopf auf die Arme und versank in der endlosen Süße eines Traumes von Liebe und Huld.
Die Schatten wurden länger, die Wälder schmückten sich in den herrlichsten Farben. In ungeheuren Mengen schoben sich Pilze aus dem Boden, faszinierend in ihrer Vielfalt. Sie lockten viele Menschen in die Wälder, die diese Speise in ihren Körben sammelten und heim trugen. Dort zog man die Pilze auf Fäden und hängte sie zum Trocknen auf - schmackhafte Vorräte für den Winter. Hin und wieder kam es beim Sammeln wohl auch zu Verwechslungen mit Giftpilzen und so geschah später manches Unglück. So wie damals, als fast die ganz Häuptlingsfamilie Syertza von Berum an einer Pilzvergiftung gestorben war. Widzelt erinnerte sich, dass nur der Sohn Affo übrig geblieben war, weil er zu jener Zeit gerade auf der Olde Borg gewesen war, um mit Ocko Verhandlungen zu führen. Hatte Ocko ihn dorthin bestellt? Widzelt wusste es nicht mehr genau. Jedenfalls war Tjadeke, Affos Frau, den giftigen Pilzen ebenfalls zum Opfer gefallen. Affo hatte danach Frouwa Itzinga von Norden geheiratet. Seit damals war Affo zum Häuptling von Berum, Norden und Pilsum aufgestiegen. Ein ziemlich mächtiger Mann also, an dem auch Widzelt nicht ohne weiteres vorbei konnte.
In der heimischen Tierwelt spielte sich nun wieder das Spektakel der Brunfthirsche ab. Auch wenn er nur wenig Zeit erübrigen konnte, so streifte Widzelt doch gern durch seine Wälder, ließ seinen Falken jagen und erfreute sich an den kapitalen Hirschen, die jetzt vermehrt auf die Lichtungen traten. Das gab viel saftiges Fleisch für die Tafel.
Während der vergangenen Jahre war Widzelt stets gern auf die Jagd gegangen, besonders auf Beizjagd. Die hatte es ihm angetan. Ach, hätte er doch mehr Zeit und Muße! Wie herrlich war es gerade jetzt in der Natur - ohne die lästigen Querelen seiner Mitmenschen.
Den Falken auf der Faust, erreichte Widzelt den Waldrand und zügelte sein Ross inmitten eines Feldes aus rotleuchtendem Klee. Die Blüten brannten so tiefrot, dass es schien als sei Blut über die Wiese gesprengt worden, jedoch war es nur der leuchtende Sonnenschein, der die Blüten erglühen ließ.
Auf der Wiese, am Randes des Waldes, hatte der Platzhirsch sich schon einen stattlichen Harem zusammengetrieben.
Nicht lange musste Widzelt warten und es tauchte ein Rivale auf.
Zunächst zeigten die Tiere einander nur die Breitseiten, um zu imponieren.
Mucksmäuschenstill saß Widzelt im Sattel, ließ lautlos die Füße aus den Steigbügeln gleiten und lehnte sich zurück an den hohen Sattelrand.
Sein Falke hatte die Maus verspeist, die Widzelt ihm als Atzung gereicht hatte. Nun harrte er auf neues Futter, aber stattdessen setze sein Herr ihm die Haube auf.
Die Hirsche bemerkten den Junker nicht, denn die Ausdünstung des Pferdes, das arg in Schweiß geraten war, überdeckte den menschlichen Geruch.
Reglos beobachtete Widzelt seine Hirsche.
Endlich kam es zum Duell, während die Ricken unbeeindruckt weiter ästen. Laut hallte das Krachen der Geweihe am Waldrand wider. Die Tiere waren fast gleich stark. Das sah Widzelt auf den ersten Blick. Es würde einen langen Kampf geben. Da näherte sich ein junger Bulle. Der wusste wohl, dass sich für ihn eine gute Gelegenheit bot, sich zu paaren, während der Platzhirsch mit dem Rivalen beschäftigt war. Widzelt musste lachen, wie zielstrebig der junge Bulle die Weibchen vor sich her trieb. Der Kampf der Rivalen zog sich in der Tat hin und so konnte der junge Hirsch in der Zwischenzeit etliche Weibchen begatten. Aber die Mehrzahl der Ricken blieb nach erfolgreichem Kampf dann doch für den Platzhirschen übrig.
Nebel dampfte aus der Erde, kroch mit feuchten Fingern unter die Kleider. Tief im Wald lachte höhnisch ein Häher. Das Avegeläut war ausgeklungen und die Axt der Holzmacher pochte auch nicht mehr aus dem Wald. Es fröstelte Widzelt, zu kalt der Abend, um noch länger das Schalenwild zu beobachten. Es dunkelte schon und er angelte mit den Füßen nach den Steigbügeln, wendete sein Pferd und ritt heim.
Bevor der Winter endgültig Einzug hielt, wurde es im Wald noch einmal laut, denn die Wildschweine befanden sich in der Rausche.
Dann wurde es Dezember: Frostklirrend zog der Winter ins Land. Eis und Schnee hielten die Welt fest im Griff und zauberten nicht nur auf die Gewässer, sondern auch auf überschwemmte Ländereien feste Eisflächen jeglicher Art. Für viele Menschen, besonders aber für die Boten, stiegen von nun an die ’Schöfel’ zum bevorzugten Fortbewegungsmittel auf. Diese hölzernen Schlittschuhe waren echte Meisterwerke, hergestellt in Zusammenarbeit von Klobenmacher und Schmied, geschaffen zur raschen Fortbewegung auf dem Eis mittels zweier Wanderstöcke. Der Holzschuh erhielt einen glatt geschliffenen Eisenbeschlag von Fabricius, dem Schmied, der auch die Lederriemen anschlug, mit dem man den Schuh an Fuß und Bein festmachte. Damit eilten die herrschaftlichen Boten quer durchs Land, über die Ems hinweg ins Holländische oder hinunter nach Münster. Egal, wohin die Botschaft auch immer ging, diese Fortbewegungsart verkürzte die Wegstrecke um einiges und die Nachrichten gelangten ungleich schneller zum Empfänger als mit Schlitten, geschweige denn zu Fuß.
Itzo machten sich auch viele Kinder den Spaß, so über das Eis zu gleiten. War das ein Vergnügen, über Bäche und Seen zu schöfeln! Und die Hunde waren immer dabei und sprangen fröhlich kläffend um sie herum. Erschöpft, aber selig fielen die Kinder nach diesen Winterfreuden des Abends ins Bett.
Eines Nachmittags - scharfer Eisregen fegte über das Land - da mussten Foelkes Kinder dieserhalb im Haus bleiben und Widzelt spielte über den Tisch hinweg „Knicker“ mit ihnen und Foelke. Man rollte die kleinen Tonkugeln hin und her und versuchte, die sich begegnenden Knicker zu treffen. Kleine Türmchen wurden aufgestellt, mussten umgeworfen werden oder die Kugeln mussten durch das “Stadttor“ hindurch kullern.
Welch seltsame Erfahrung war das für Widzelt: die Freude der Kinder, die seine wohlwollende Teilnahme mit Dankbarkeit und Beglückung quittierten, die Wärme und Zuneigung, die ihm von Keno und Ocka entgegengebracht wurden.
Als die Kinder schon zu Bett waren, gesellte Widzelt sich noch einmal zu Foelke. Dabei kam das Gespräch auf die kleine Ocka und Widzelt redete recht herzhaft auf Foelke ein. Nach seiner Meinung sollte das Mädchen baldmöglichst zu ihrem Bräutigam Lütet Attena nach Nesse gebracht werden.
„So ist es Brauch in den Fürstenhäusern und das ist das Beste, damit sie sich aneinander gewöhnen können“, sagte er.
„Was verlangst du von mir! Warum? Du willst Ocka loswerden! Das ist schändlich!“ fuhr Foelke auf. Angst durchzuckte ihren Körper. Wie Widzelt den Mund verzog, das sagte genug aus. Eine Weile hatte sie geglaubt, Widzelt werde der gefällige junge Mann bleiben, der mit ihren Kindern spielte und Keno im Schwertkampf unterrichtete. Aber nein, sie hatte sich gründlich geirrt. Er schien urplötzlich eine Wende getan zu haben, denn er kehrte seit längerem gern auf anmaßende Weise den Lehrmeister und Befehlshaber heraus.
„Maule nicht, Widzelt. Ich verspreche dir, dass eine gute Häuptlingsfrau aus ihr werden wird, auch ohne, dass sie bei den Attena aufwachsen muss.“
Da schwenkte Widzelt um, küsste innig ihre Hand und versicherte mit schmeichelndem Ton, wie klug sie sei und dass sie nicht eines jener nutzlosen Weiber sei, die ihrem närrisch verliebten Ritter das Badwasser zu trinken gäben. Da musste sie lachen und gelobte, ihr Töchterlein nach Sitte und Brauch zu einer botmäßigen Häuptlingsfrau zu erziehen. Sie werde für Ocka zusätzlich eine Zuchtmeisterin einstellen, denn Kenos Lehrer fand sie völlig ungeeignet für ihr Töchterlein.
Es verletzte und ärgerte Widzelt, dass Foelke nicht auf ihn hören wollte, aber er küsste ihre Hände und lächelte mild, gehört es doch zum täglichen Geschäft eines Regenten, den Leuten Wolkenkukuksnester zu bauen. Und dann spielte er laut mit dem Gedanken, wie anregend der herzogliche Hof in ’s-Gravenhage doch für Keno sein würde. Weil er selbst für Kenos Ausbildung in den ritterlichen Künsten doch kaum noch Zeit erübrigen könne, wäre es doch überaus nützlich, wenn den Bub baldmöglichst an den Hof von Herzog Albrecht…
Er beendete den Satz nicht. Aber das musste er auch nicht. Foelke verstand ihn auch so. “Er ist ein Wolf im Schafspelz. Aber das kann ich auch!“, dachte sie. „Aber Widzelt“, entgegnete sie schmeichelnd, „ich sehe doch, wie gewandt du das Schwert führst! Es gibt keinen besseren Lehrmeister als dich. Deine Ausbildung, die du Keno zuteil werden lässt, sie ist wahrlich hoffähig. Lass ihn nicht im Stich, ich bitte dich.“ Sie sah ihm in die Augen, diese schönen strahlenden Augen, sie leuchteten vor Freude über ihr Lob.
„Keno muss aber nach Brüssel und zum Haag in die Ausbildung, Liebde. Er muss lernen, lernen, lernen...“
„Ja, da wird er viel lernen, vor allem gehorchen.“
„Gewiß und befehlen“, warf Widzelt ein. „Die Jurisdiktion verlangt eine gründliche Ausbildung und der Ritterstand ebenfalls. Du willst doch auch, dass er einmal seinen legitimen Platz einnimmt und die Regierung antritt.“
Schroff entzog sie ihm die Hände. Bei solchen Fiktionen wurde sie sofort hellhörig. Gegen solche Ausblicke sperrte sich ihr ganzes Wesen mit Vehemenz.
„Er ist ein guter Junge. Ich bin stolz auf ihn. Schau, was er mir gereimt hat.“ Sie zog ein Pergament aus dem Brustbeutel aus rotem Samt, las vor:
„Was macht der Diederich so keck? Rennt ganz schnell vom Tische weg. Honigkuchen in der Hand, ist er außer Rand und Band. Draußen regnet’s alle Tage, das ist eine große Plage. Schimpfen wird Mama nichts nützen, ich spring trotzdem in die Pfützen.“
Das klang fröhlich, aber es bekümmerte Foelke zugleich. Sie schloß einen Augenblick lang die Augen. Ach, mit wehem Herzen sah sie der Zeit entgegen, in der sie ihre süße Ocka und ihren Lausbuben würde hergeben müssen.
Widzelt stutzte und einen Herzschlag lang wollte sein Ego gern glauben, dass er Foelke just in diesem Moment dank ihrer gegenwärtigen Depression überrumpeln konnte. Sie würde jedem Rattenfänger Glauben schenken, dachte er, aber dann sah er es plötzlich klar vor Augen: Ihre Kinder störten seine Pläne! Am liebsten hätte er ihr Dummheit vorgeworfen, aber ihn rette die kluge Eingebung, dass er sie damit kaum auf seine Seite zöge. Mit Überheblichkeit und Kühle würde er diese stolze Frau nicht erringen können. Vielleicht konnte Kühnheit sie erobern oder eher Willfährigkeit? Sie brauchte wohl eher Verständnis, selbst wenn es nur geheuchelt war.
Sein Räuspern glättete die Stimme: „Wenn du es so willst, dann soll es so sein“, sagte er sehr sanft und Foelke erinnerte sich daran, dass Buckel-Ubbo ihr vor einigen Tagen geraten hatte: „Tu dich mit ihm zusammen. Du brauchst ihn und er braucht dich, denn du bist – wie er – zum Vormund bestellt.“ Foelke war über Ubbos Dreistigkeit so empört gewesen, dass sie ihm zornig eins mit der Gerte über den Buckel gezogen hatte. Da erschrak der Narr zuerst fürchterlich, aber dann lachte er darüber und giggerte belustigt: „Ja, ja, das Leben tut weh!“
Kaum jemandem auf dem Schloss war es verborgen geblieben, dass Widzelt die Burgfrau umwarb. Auch Ubbo hatte Widzelts Gefühle längst bemerkt und ausgeforscht. Widzelt verehrte Foelke, einerseits... Das geschah auch tatsächlich nicht einzig und allein aus praktischen Erwägungen heraus. Aber sie? Wollte sie keine neue Liebe? Der Narr fragte sich, ob Foelke nicht doch den warmen Hauch der Liebe ersehnte? Will das nicht eigentlich jede Frau? Wünscht sich das nicht jeder Mensch? Allein zu sein, das ist alles andere als schön.
Alle Wege standen ihr offen. Warum nur ergab sie sich völlig dem Mütterlichen, ohne das prickelnd Weibliche genießen zu wollen? Warum wollte sie nur das Schicksal ihrer Kinder leben? Warum genügte es ihr, nur Mutter zu sein, ohne ihr eigenes Dasein als Frau zu genießen? Gab es für sie nur die eine große Liebe? Nur ihn, Ritter Ocko? War ihr Herz ganz und gar ausgefüllt mit der Liebe zu ihm und ihren Kindern? Würde es niemals Platz geben für eine andere, eine neue Liebe? Hoffte diese schöne Frau auf eine Fortsetzung des Lebens nach dem Tod in trauter Zweisamkeit mit Ocko. Suchte sie darum keine neue Liebe in ihrem Leben?
Keiner konnte es verstehen, warum diese blühende junge Frau ihr Leben fortwarf, hoffend auf ein Dasein nach dem Tod. Niemand konnte das verstehen, nicht einmal der Beichtvater.