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Kapitel 4 - Lehnrecht - Lehnpflicht
ОглавлениеClaes Heynenz, des Herzogs Herold, hatte eine Botschaft dabei, die Foelke und Widzelt nötigten, sich zum Lehenvertrag zu äußern.
Widzelt las in Gegenwart der Abgesandten die holländische Depesche mehrmals sehr aufmerksam durch. Die Nachricht ließ freundlich aber unmissverständlich anklingen, dass der Herzog umgehend eine positive Antwort erwartete.
Plötzlich blickte Widzelt auf und fragte: „Das verschafft mir die Ehre? Glaubt Seine Gnaden, weil Ritter Ocko tot ist, kann er sich unseres Landes bemächtigen?"
„Hätte der Graf damit Unrecht? Was glaubt Ihr? Seid Ihr nicht im Besitz eines Erblehens?" Heynenz lächelte herausfordernd und als Widzelt schwieg, schlugen die Ritter leicht an ihr Schwert. „Es gibt da Möglichkeiten..." sagte einer der Beiden angriffslustig.
„Mit Verlaub, Ritter Adrian, wer seid Ihr, dass ihr es wagt, mir in meinem eigenen Hause zu drohen?“ Absurd und überflüssig diese Bemerkung. Widzelt hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen, war er doch schon mehrfach mit Adrian zusammengerasselt.
„Ich bin der, der Euch im Haag vom Pferd katapultiert hat. Leidet Ihr seither unter Gedächtnisschwund, Herr? Das wäre bedauerlich.“ Ritter Adrian lachte beleidigend. „Aber nein, so was vergisst man gern, nicht wahr? Unterstreicht das doch eindrucksvoll und beißend unsere Möglichkeiten.“
„Möglichkeiten! Die kenne ich, auch ohne Eure freche Drohung, Herr! Ich bin nicht der Erbe und auch nicht der Lehnsträger. Das weiß auch der Herzog."
„Der Herzog will seine Flanke decken“, antwortete Claes Heynenz verbindlich.
„…und gesichert wissen“, fügte Ritter Adrian hinzu.
„Ah ja! Natürlich! In stehe nicht in des Herzogs Diensten. Ist Euch das vielleicht entfallen?“
„Ihr seid der Verweser, Herr.“ Ungeduld schwang in der Stimme von Claes Heynenz.
„Ach so, und deshalb braucht Seine Gnaden mich. Wenn ich dazu aber keine Lust verspüre? Ist ihm dann jedes Mittel recht, Herr?"
„Ich würde das nicht so ausdrücken wollen. Aber wisset, wenn der Fall eintreten sollte, dass Seine Gnaden sich genötigt sieht, Euch auf 'den rechten Pfad' zurückzuführen, würden sich der Graf von Oldenburg und der Bischof von Münster ebenfalls einmischen und sie würden Ansprüche geltend machen, die Euch gewiß nicht genehm wären. Von Eurem gebeutelten Land würde kaum mehr bleiben als verbrannte Erde, Staub und Asche und Ruinen. Na ja, wohl auch noch der Sumpf.“ Der Ritter lachte provokant. „Glaubt Ihr, dass Euch eine andere Wahl bleibt, als sich unter den Schutz der herzoglichen Hand zu stellen, Junker Widzelt?"
„Wir erbitten uns Bedenkzeit“, fiel Foelke gewandt und sehr freundlich ein. „Gestattet, Herr, dass wir uns zuvörderst mit unseren Räten und den edlen Häuptern des Landes beraten. Dies wird einige Zeit in Anspruch nehmen, fürchte ich. Ich biete Euch mit Freuden Gastfreundschaft an, so Ihr bleiben wollt. Speis und Trank, gemütliche Unterkunft... Wie hört sich das an?“
„Eure Gastfreundschaft nehme ich gern an. Und sie?“ er blickte auf seine Begleiter. Die zuckten mit den Schultern und redeten durcheinander. Da kam etwas heraus, was sich nach ’Dyken’ anhörte, jenen Dirnen, die auf dem Deich flanierten und den Männern ihre Dienste anboten. Bei Ankunft der herzoglichen Delegation waren die Frauen wohl nicht zimperlich gewesen. Die ’Dyken’ verstanden es, Männern Appetit zu machen.
„Ihr möchtet lieber in der Schnappe nächtigen? Im Wirtshaus oder bei den Weibern auf dem Deich, die ihr Schmuckdöschen für Geld öffnen?“, fragte Widzelt provozierend.
„Verdammt, Junker! Mein Tross wird ebenfalls hier wohnen“, entschied Ritter Adrian in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
„Ja, wir werden auch hier wohnen“, antwortete einer der Begleiter devot und alle verneigten sich.
Ritter Adrian grinste zustimmend: „Im Gesindehaus, Häuptling... Herr Häuptling, Seine Gnaden erwartet Eure Antwort binnen Ablauf dieses Monats.“
„Zu Diensten, Herr Ritter, stets zu Diensten“, dienerte Widzelt übertrieben und Foelke veranlasste einen Hausknecht, den Gästen - der Herold hatte ein halbes Dutzend Bewaffnete dabei - Unterkunft im Gesindehaus zuzuweisen, wie Ritter Adrian es gewünscht hatte. Das kam dem Troß von Adrian anscheinend sogar entgegen, lüsterten die Männer doch schon nach den Dyken vom Deichstrich. Adrian erhielt indes Quartier in der für die Ritterschaft vorbehaltenen Kemenate.
Als die Herren sich zurückgezogen hatten, meinte Foelke aufgeregt: „Viel besser wäre es gewesen, Ritter Adrian mit erlesener Freundlichkeit zu begegnen, Widzelt. Mit Freundlichkeit erreicht man viel mehr.“
„Ich weiß, in seinem Mantelsack trägt er die Macht mit sich herum, aber er ist... tückisch. – Übrigens Bedenkzeit, Bedenkzeit - ich weiß gar nicht, warum du das gesagt hast. Da gibt es gar keine Wahlmöglichkeit.“
„Das ist schon richtig, Widzelt. Wir müssen nach vorn sehen und wir müssen erst einmal Zeit gewinnen, sonst nichts“, lachte Foelke.
„Gut, gut. Ich weiß, was du meinst. Ich soll mich nicht beirren lassen. Auf Ockos Fundamenten soll ich aufbauen. Das will ich tun und ich sage dir, Foelke, das Land ist ausbaufähig! Ich fühle das Blut meiner Väter in mir, ihre Kraft, Umsicht und Klugheit und ich fühle… Ich bin mehr als nur der Sohn meines Vaters. Ich bin die Summe meiner Ahnen. Ich bin ein Kenisna!“
„Ja, das sieht man dir an! Du wirst deinem Vater immer ähnlicher. Das spricht dir ja keiner ab und deine Geistesrichtung ist auch nicht anders...“
„Soll das eine Beleidigung sein?“
„Aber nein, ein Lob ist das, ein dickes Lob! Die Kenisna sind alle schöne, starke Männer! Du siehst großartig aus, hast Geist und Eleganz, Charme und hohe Bedeutung... mal ganz abgesehen vom reichen Vermögen. Haben die Frauen dir das nicht schon öfter gesagt?“
Widzelt grinste geschmeichelt und fuhr fort: „Ich sage dir, Foelke: dieses Bewusstsein wird mich fortan vorantreiben. Ich bin hier zu Hause, dieses ist unser Land. Soll ich unseren schönen Landen nicht mehr sein dürfen, als ein leidlich gebilligter Verweser? Bin ich nur ein kleiner Krämer, der sucht, das Vermögen zusammenzuhalten und - wenn möglich - zu mehren?“
Foelke verstand nicht recht, was er damit sagen wollte: „Wie kommst du denn darauf? Hat Embeco dir den Floh ins Ohr gesetzt?“
„Welchen Floh!“
„Willst du dich etwa abkehren vom Grafen?“
„Du weißt, dass das nicht geht. Ocko hat sein Eigentum dem Herzog aufgetragen und als Erblehen zurückbekommen. Keno ist der nächste Erbe. Ihm steht das Erblehen zu und der Herzog wird es ihm übertragen, wenn die Zeit gekommen ist. Bis dahin wird der Herzog dich und mich als Vormund und Ruwart anerkennen müssen.“
Foelke scherzte: „So ist es, mein Prinz aus königlichem Gestüt. Als Ruwart! So halte Ruhe in unseren Landen und sei der, der du bist.“
„Ich bin das, was ich sein will!“
„Das erfordert Standfestigkeit, mein Lieber!“
„Ja und?“ Er produzierte sich wie ein Pfau und faßte sich demonstrativ ans Gemächt: „Standfestigkeit habe ich.“
Foelke reagierte verärgert: „Widzelt! Du meinst wohl deine Bestückung!“
„Witzele du nur über mich, Foelke, aber ich rate dir: Denke darüber nach, was ich gesagt habe.“
„Was soll denn das sein? Bin ich zum Rätselraten hier? Sei du nur der, der du bist, nicht mehr und nicht weniger. Das reicht doch. Oder findest du nicht?“
„Ach, sei still und denke daran: Ich habe das Sagen.“
„Und ich auch, verstehst du? - Das ist ja schräg! Was ist mit dir, Widzelt? Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?“
„Ja, so ist es, eine dicke, fette Laus, so wie du.“
„Falls dir das entgangen ist: Ich bin nicht fett, ich bekomme ein Kind!“ wandte sie bebend ein.
Er entgegnete nichts darauf: „Darf ich mich jetzt empfehlen?“
Sie nickte fassungslos, Tränen in den Augen. - Er ging aber nicht, sondern setzte sich halb auf die Tischkante und hob den Bierhumpen zum Mund.
Er beleidigte sie, gab böse Widerworte! Welch merkwürdige Wandlung in Widzelts Verhalten! Gab es da noch mehr? Etwas, von dem sie nichts wusste? Ein drohendes Dunkel, das sie einholen konnte? Sie suchte eine Basis, auf der sie beide aufbauen konnten. Welche Grundlage aber konnte das sein, wenn er so abweisend reagierte?
Der Gedanke ließ sie nicht los.
Der Herzog will Widzelt als Regent bestätigen. Damit erhält Widzelt geballte Macht. Was sagte er? Er sei die Summe seiner Väter? Da waren harte Brocken drunter. Eiserne Fäuste kämpften nicht nur für Recht und Ordnung, sondern auch um Macht und Beute zu eigenem Nutzen und Gewinn. Wird auch er so handeln?
Wer will sich gegen ihn stellen? Die Richterschaft? Der Rat? Sie alle werden von Widzelt “auf Kurs gebracht“. Er zwingt den Rat sogar, Gesetzesvorlagen zuzustimmen, ohne sie offenzulegen. Alles geheim! Wer nicht zustimmt, ist raus! Gibt genug andere, die blind hinterherstolpern! Die "Gewählten" tun meistens, was der Häuptling will, weil er die Macht in Händen hält. Jeder weiß um die Mittel und Wege, unliebsame Ratsmitglieder auszuschalten. Das ist kein Geheimnis, soll auch keines sein! Kaum jemand aber bemerkt heute, was in Widzelts ’Staatskunst’ eigentlich abläuft. Auch ich kann nicht alles entlarven. Dafür sorgt Widzelt schon. Ich sehe es mit Schrecken!Dies muss ich mir vor Augen halten: Widzelt will seine Macht stärken, auch um den Preis, die Rechte seiner Untersassen zu schmälern und nicht nur die... Recht und Gesetz der Brookmerbriefe sind Widzelt weniger heilig als das Römische Reichsrecht. Es ist schwer, dagegen einzuschreiten. Daran werde ich mir vermutlich die Zähne ausbeißen.
Nach Ockos Tod hatte Foelke die Staatstruhe durchwühlt, in dem Glauben, irgendein Vermächtnis von Ocko vorzufinden, aber abgesehen von alten Verträgen und Urkunden gab es nichts Wichtiges. Damit konnte sie nichts anfangen, denn Licht brachte das nicht in Ockos merkwürdige letzte Worte. Sie fragte sich zunehmend dringlicher, was er in der Stunde seines Todes gemeint haben mochte mit seinen gestammelten Worten ‚Bruder … Widzelt … Truhe‘. Damals hatte sie dem kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Wie auch? Ihr lag zu allererst sein Leben am Herzen! Aber nun? Hatte Ocko noch einen Bruder? Irgendwo in der weiten Welt? Vielleicht in Brabant, Geldern oder dem Oldenburgischen, wo Ockos Vater sich oft aufgehalten hatte? Aber das müssten doch Ockos Geschwister wissen! Seine Schwestern hatten nie so etwas auch nur im Entferntesten angedeutet. Kein Mensch hatte je ein Wort davon verlauten lassen, nicht einmal die Geistlichen rundum. Wen hatte Ocko also gemeint? Vielleicht Widzelt als Kenos Halbbruder? Ja, so musste es wohl sein. Dann wollte Ocko wohl, dass Widzelt die Regierungsgeschäfte führte, bis Keno erwachsen war.
Der Lehnvertrag mit dem Herzog von Bayern, er musste auf jeden Fall erneut bekräftigt werden, um weiterhin Schutz vor dem Grafen und durch ihn zu genießen. Foelke wusste das ebenso gut wie Widzelt. Eine Weigerung lag jenseits der Wirklichkeit und würde zum Pulverfass mutieren. Gehörte das zu jenen 'Zufällen' des Regierens, von denen Ocko einmal gesprochen hatte?
‚Albrecht von Gottes Gnaden pfallenzgrafe by Rhein und herzog zu Bayrn, grave zu henegau, zu Hollannde, zu Seland und der herlichkeit zu Friesslanndt', wie er seit dem Tode seines Bruders Wilhelm, ’de dolle Graaf', offiziell titelte, befand sich im Zenit seiner Macht. Die Heiratsbande und Bündnisse mit den Häusern Habsburg und Luxemburg, den Herzögen von Geldern und Burgund, den Königen von England und Frankreich bescherten Albrecht übermächtiges Ansehen an allen Höfen. Und der Graf verstand es, dieses beträchtliche Ansehen nicht nur zu nutzen, sondern überdies hinaus noch zu mehren. Keinesfalls würde Albrecht es zulassen, dass sich sein Herrschaftsgebiet diesseits der Ems seines “Schutzes“ entledigte. Es wäre geradezu lachhaft, das zu negieren.
Friesland! Dazu gehörte das Land bis zur Weser! Und dieses Land war Herzog Albrecht zu Lehen gegeben, mit Ausnahme des Gebietes, welches die Grafen von Oldenburg beanspruchten.
Sollte Widzelt dazu beitragen, dass dieses Land nicht nur urkundlich dem Herzogs gehörte, sondern auch in Wahrheit mit allen Gesetzlichkeiten, Gerechtsamen und Verpflichtungen? Und wenn es ihm das gelänge, würde der Herzog ihm dann nicht besonders gewogen sein? - An Herzog Albrechts Macht und Ansehen zu partizipieren, ist das nicht der Gipfel seines Strebens? Vielleicht gar ein Meilenstein auf dem steinigen Pfad zum eigenen Grafentitel? Dann würde er nicht länger darauf warten müssen, ob es dem Glück beliebte.
Jeder Untersasse wusste, dass dem Hause tom Brook keine Option in Sachen Lehen blieb. Und jedem Menschen mit einigermaßen Verstand im Kopf war es bewusst, dass eine Loslösung vom Herzog schon im Ansatz scheitern würde und nicht nur Krieg und Verderben ins Land tragen, sondern unweigerlich zum Verlust des Erblehens der tom Brook führen würde. Als Ergebnis würde am Ende dann ein anderer Herr zum Lehnnehmer des Herzogs berufen, einer, dem die tom Brook untertan sein und Treue würden schwören müssten. Niemand konnte das ernsthaft anstreben in Broek’schen Landen. Wo immer man darüber sprach, kamen einfache wie auch vornehme Leute zum gleichen Ergebnis: Unumgänglich war es und wahrscheinlich sogar zu eignem Nutz und Frommen, sich dem Schutz des Herzogs von Bayern, einem der mächtigsten Fürsten Europas, anzuvertrauen, gab es doch ohnehin kein Schlupfloch, um dem zu entrinnen. Das konnte man drehen und wenden wie man wollte, Faktum blieb das Lehnrecht.
Das bedeutete für Foelke: Ein fremder Lehnnehmer musste mit allen Mitteln verhindert werden! Denn solche Lehnherren bedienten sich erfahrungsgemäß hemmungslos an ihres neuen Lehens, weil sie weder eine emotionale Bindung zu dem neuen Lehen verspürten, noch Rücksicht walten ließen, wenn es um Gesindezwang und Anfeilrecht ging. Bauernkinder mussten dem Grundherren dann Jahre lang dienen und das Anfeilrecht verpflichtete die Bauern, ihre Erzeugnisses zuerst dem Grundherrn feilzubieten.
Junker Widzelt aber hatte im Gegensatz dazu dem hohen Rat geschworen, die Marktrechte zu erweitern, in Aurichhove die Marktsiedlung weiter auszubauen und sogar einen neuen Markt einzurichten. Folglich setzte man nun allenthalben die Hoffnungen auf Widzelt, und damit gewann er nicht nur das Vertrauen seiner Untersassen, sondern auch deren Respekt. Selbst Foelke gab er das beruhigende Gefühl, dass sie sich trotz ihrer traurigen Lage bei ihm in vergleichsweise guten Händen befand. Alle Untersassen fühlten sich sicher unter seinem Schutz und Schirm, selbst Focko Ukena von Neermoor “hielt die Füße still“.
Aus diesem Grunde war Foelke nicht einmal verwundert darüber, dass Widzelt die Regierungsgewalt beanspruchte, sollte sie als Ockos Witwe doch Mitregentin bleiben und daneben das Wohl ihrer Kinder sichern.
Widzelt hatte ja auch eine sehr plausible Erklärung parat: Seine Gnaden, der Herzog von Bayern, habe mit Weitblick und Besonnenheit veranlasst, dass er, Widzelt, die schwere Bürde der Regierungsverantwortung tragen solle, um Foelkes schwache Schultern zu entlasten. Er solle in dieser schweren Zeit, wo rundum die Welt im Krieg versank, die drückende Verantwortung mit ihr teilen. Foelkes Verzweiflung und Harm würden sonst gierige Herren auf den Plan rufen, die ihre Hilflosigkeit ohne Rücksicht auf sie oder ihre Kinder zum eigenen Vorteil nutzen würden, so erklärte Widzelt es ihr. Nur bei ihm könne sie Hilfe finden, nirgendwo sonst, auch beim Kaiser nicht. Er aber werde als Mitregent als einziger ihr bedrohtes Eigentum schützen können.
Wie er sie dabei angesehen hatte mit seinem unübertrefflichen Charme! Die kräftigen Augenbrauen, die kleinen Lachfältchen um die strahlenden, halb geschlossenen Augen! Unter seinem Blick schmolz sie dahin. Das Grübchen auf der bärtigen Wange, alles erinnerte sie an Ocko! Ach ja - und dann sein Lachen. Wie er die Lippen zu diesem umwerfenden Lachen verzog, mit Zähnen, wie sie schöner kaum sein konnten! Er hätte wohl Ockos Zwilling sein können, wäre er nicht jünger und schlanker… Oh ja, sie wußte genau, wie dumm es ist, darauf zu fliegen, und doch fiel es ihr schwer, sich dem zu entziehen.
Eine Haarsträhne war über sein Auge gerutscht bis hinunter zum Kinn, nussbraun wie sein ledernes Stirnband. Während er die Strähne aus dem Gesicht strich und unter das Lederband stopfte, meinte er lächelnd, seine Freunde würden jetzt auch wohl immer weniger werden. Das aber sei ein Preis, den er gern für sie zahlen werde. Sie zu beschützen, versprach er, sie und ihre Kinder natürlich. Alles laste nun auf seinen Schultern, sagte er und strich sich selbstverliebt über Kinn und Hals. Er werde jedem den Kopf abschneiden, der ihnen Böses antun wolle.
Oh, diese angenehme Stimme! - Foelke vergaß völlig, seinen Worten genau zuzuhören. - Dieses wundervolle Lachen! Wäre er nicht Ockos Sohn, ich könnte mich in ihn verlieben. Aber habe ich das nicht schon? Oder was ist es, das mein Herz schneller schlagen lässt, wenn er in meiner Nähe ist? Fasziniert schaute sie in sein Gesicht. Er sah süß aus mit seinen strubbeligen Haaren und dem Dreitagebart. Ach, ich mag ihn. Warum soll ich es mir versagen, ihn gern zu haben? Ich bin doch noch jung? Übermorgen, wenn er wieder glatt rasiert ist, sieht er viel jünger aus. Aber so gefällt er mir besser. - Das kräftige Kinn - ein ’Herrscherkinn‘ hat Ocko das immer schmunzelnd genannt.
Ahnungsvoll dachte Foelke, dass es Widzelt wohl in die Wiege gelegt worden sei, zu gebieten…