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Kapitel 3 – Markttreiben

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Markttag! All die Wagen aus den umliegenden Dörfern waren ins Dorf gefahren und hatten sich unterhalb des Kirchhofes von Sankt Marien versammelt. Der Markt munterte Foelke etwas auf. Das bunte Treiben von Marktleuten und Possentreibern, Musik und Geschrei vertrieben den Seelenschmerz.

Es war nun schon ganz dunkel geworden, aber die hell erleuchteten Domfenster warfen ihren warmen Schein in die Nacht und an jedem Haus, an jeder Ecke brannten Feuerkörbe oder Fackeln.

Auf dem Rand des Brunnens saß ein Geschichtenerzähler, geisterhaft beleuchtet von einem der Feuerkörbe. Ein paar Dutzend Leute hatten sich um ihn geschart.

Eine Weile gesellten Foelke und Widzelt sich zu ihm, der die heidnische Fama erzählte. Sie liebte die alten Sagen. Heidnische Geschichten an Mariens Geburtstag! Gottlosigkeit? Nein, nur Überlieferungen aus grauer Vorzeit.

„...am Anfang aber war das Eis...", hörte Foelke den Barden sagen, „aus diesem Eis tauten nach und nach die Eisriesen heraus, die Feinde der Götter...“

„Damit sind die großen Berge gemeint“, flüsterte Widzelt vorwitzig.

„In alten Zeiten nämlich glaubte man, dass im Mittelpunkt der Welt Yggdrasil, die Weltenesche, steht. Ihr kennt alle Bremen?“

Allenthalben eifrige Zustimmung, denn wer hatte nicht schon Bremen gehört?

„Dort stand Yggdrasil, was eigentlich Eisenbaum bedeutet. - Man stelle sich das vor: Ein riesiger Baum, dessen gewaltige Wurzeln die Unterwelt umfassen und in seinem hohen Gezweig ist das Reich der Götter."

Ocka und Keno drängten sich an ihre Mutter, lauschten mit leisem Schaudern dem Erzähler. Ihnen war etwas unheimlich zumute angesichts von Licht und Schatten, die geisterhaft über das Gesicht des Erzählers glitten. Aber einen so großen Baum konnten sie sich durchaus vorstellen, gab es doch allerhand uralte Eichen und Linden in der Gegend.

„Die mächtige Riesin Hel beherrscht das Totenreich. Sie hat einen Bruder, den Fenrir. Fenrir ist so groß, dass, wenn er seinen Rachen aufsperrt, der Oberkiefer den Himmel und der Unterkiefer den Abgrund der Unterwelt erreicht."

Ein entsetztes „Oh!" ging durch die Reihen der Zuhörer und Ocka suchte ängstlich die Hand ihrer Mutter, während Keno, der vorher herzhaft und in seinen Apfel gebissen hatte, sich vor Lachen so heftig verschluckte, dass Widzelt ihm den Rücken klopfen musste.

„Fenrir ist ein gigantischer Wolf, er ist der Sohn von Loki und Angerbode, einem Riesenpaar. Die beiden Riesen haben insgesamt drei Abkömmlinge: Fenrir, Hel und Jormungand, das ist die Midgardschlange, die sich in grauer Vorzeit in den Wurzeln der Weltenesche aufhielt. Alle drei Kinder sind üble Bösewichte.... Hel ist eine Riesin von grauenhafter Gestalt. Ihre eine Körperhälfte ist schwarz und man sagt, dass sie sich von Menschen ernährt. Weil Hel ein so furchtbares Geschöpf ist und eine Gefahr ist für die nordischen Götter, die Asen, haben die Götter sie in die Unterwelt geschleudert. Dort herrscht sie seit diesem Tage.

Auch Jormundgand, die Midgardschlange, ist ein Abkömmling von Loki und Angerbode.

Die Midgardschlange, die einst in den Wurzeln der Weltenesche lebte, gebärdete sich so unglaublich bösartig, dass der Götterkönig Odin sie darum ertränken wollte und sie ins Weltmeer warf. Sie ertrank aber nicht, sondern wuchs im Gegenteil noch zu gewaltigerer Größe heran. Sie ist so riesig geworden, dass sie jetzt fast die ganze Welt umspannt, aber wenn sie so sehr gewachsen ist, dass sie sich in das Ende ihres eigenen Schwanzes beißen kann, dann wird die Welt auseinander brechen. Jeden Tag könnt ihr es beobachten, wenn Jormundgand trinkt, denn dann zieht sie alles Wasser von der Küste und wir haben Ebbe."

„Und wieso kommt die Flut wieder zurück?" fragte jemand keck.

„Das will ich dir erzählen."

Geheimnisvoll öffnete der Reisige seinen Mantelsack, schaute hinein, wühlte mit der Hand darin herum und zog schließlich einen lebenden Aal heraus.

Die Zuschauer lachen: „Ha, ha, er kann einen Aal nicht von einer Schlange unterscheiden!"

Unbeeindruckt fuhr der Erzähler fort: „Was ihr nicht sagt! Seht nur, das Wasser, das die Schlange am hinteren Ende wieder ausscheidet, das heißen wir bei uns die Flut."

Die Zuhörer brüllten vor Lachen.

Ocka zwängte sich vorwitzig in die erste Reihe der Neugierigen.

„Beim Jüngsten Gericht werden sie zusammen die Götter bekämpfen. Schon jetzt ergänzen sie einander, wenn die Sturmflut eure Deiche wegspült."

„Wer denn?“ „Wer denn?“ schallte es aus der Menge.

„Leute, die Flut und die Midgardschlange natürlich.“

„Ja, ja, wer's glaubt!" - „Lügner! Nur einen Gott gibt es!"

Der Barde schien unbeeindruckt: „Jeder von euch hat es doch schon gesehen und ihr glaubt es nicht? Nein? Du? Glaubst du es?" Sein schmutziger Finger stach auf die Brust eines Halbwüchsigen. Der erschrak und stotterte verwirrt eine Antwort aus Ja und Nein und dass es doch nur eine Mär wäre.

Einige Zuhörer trollten sich lachend und der Geschichtenerzähler schickte seinen Buben hinterher, um ein Scherflein einzusammeln.

„Nun, ich sehe, dass ihr mehr hören wollt", fuhr er fort. „Bevor Kaiser Karl, den man den Großen nennt, uns zum wahren Glauben bekehrte, hatten die Germanen viele Götter und sie glaubten an viele Bösewichte, die in der Unterwelt hausten. – Nun, ihr Leute, ihr glaubt nicht daran? Warum nicht? Aber an den Satan glaubt ihr?"

Von überall kam bewegte Zustimmung.

„Nun, ich denke, dass Satan auch solche Kinder haben könnte."

„Satan hat Kinder?" - „Das wüßt ich aber! Ne, ne, der hat keine..." – „Du bist ein vermaledeiter Schelm!“, schallte es erregt aus dem Menge.

„Jenun, weiß man's? Also, dass ich euch erzähle: Habt ihr gut aufgepasst?

Die Midgardschlange hat jedenfalls noch Geschwister. Das hab ich gesagt und so ist es. - So will ich euch jetzt von Fenrir berichten. Fenrir hat die Gestalt eines Wolfes und ist eine Ausgeburt der Hölle, das Böse schlechthin."

Der Geschichtenerzähler verzog unterdessen sein Gesicht zu grässlichen Grimassen und untermalte seine Worte mit schaurigem Geheul, während er in seinem durchgeweichten Ledersack wühlte. Der stank als ob er in der Kloake gelegen hätte. Dann zog und zerrte er angestrengt im Innern des Sackes, als ob da Bleigewichte drin wären. Langsam kam eine puschelige Wolfsrute hervor, Hinterläufe..., ein toter Wolf. Der hat nur noch einen Vorderlauf und er stank auch teuflisch, weil er schon am Verwesen war. Aber seine aufgerissenen Augen und der aufgesperrte Fang mit den langen Reißzähnen waren so beeindruckend, dass die Zuhörer entsetzt zurückwichen.

„Wicht, komm her!" forderte der Barde Ocka auf. „Leg deine Hand in sein Maul!"

Ocka tat gehorsam einen kleinen Schritt vorwärts, streckte den Arm aus… zögerte…

„Nein", rief Widzelt empört, stürzte vor und riss Ocka zurück. „Das mag tun, wer will, sie tut’s nicht!"

„Hat jemand Mut? Will's jemand wagen?"

War aber keiner und der Erzähler warf den toten Wolf auf den Brunnenrand.

„Kerl! Was soll das? Willst du unseren Brunnen vergiften? Sofort nimmst du den Wolf da ‘runter oder ich pack dich bei den Ohren und werfe dich in den Kerker!“, zischte Widzelt.

Er wußte sich vor Zorn kaum zu lassen, am liebsten hätte er ihn auf der Stelle verprügelt. Oh, wie böse er gucken konnte! Aber das erschütterte den Kerl nicht und er bölkte empört zurück: „Das würde ich nicht tun, dann würdest du das Beste verpassen, ha, ha, ha!“

„Kerl! Es genügt dies alles, dass du um deinen Kopf fürchten musst!“, entgegnete Widzelt. In seiner Stimme lag unverhohlene Bedrohung.

„Wer bist du überhaupt, dass du es wagst, mir dumm zu kommen!“

„Du Wurm! Er ist unser aller Herr!“ kreischte von irgendwoher eine Weiberstimme.

Der Geschichtenerzähler zuckte erschreckt zusammen, ehe er für einen Wimpernschlag erstarrte. Dann riss er den toten Wolf an sich, warf sich mitsamt dem Kadaver zu Boden und winselte um Gnade.

Foelke schien das reichlich übertrieben, aber Widzelt warf stolz seinen Kopf in den Nacken, grinste spöttisch und schwieg. Sein Blick überflog die Menge. Oh ja, jeder wusste es: Auf Brunnenvergiftung steht der Tod!

Endlich zupfte ein kleines Mädchen den Geschichtenerzähler unschuldig am Ärmel: „Onkel, warum willst du nicht weitererzählen?"

„Ja, erzähl weiter!" bettelten einige Kinder und als Widzelt aufmunternd nickte und dem Erzähler bedeutete, aufzustehen, erhob er sich kleinlaut und fuhr mit brüchiger Stimme fort: „Als die Götter Fenrir, diese Ausgeburt der Hölle, sahen, beschlossenen sie, Fenrir anzuketten und sie schmiedeten schwere Eisenketten. Aber die gewaltige Bestie riss sich immer wieder los und das Böse ergoss sich wie die Pest über die Erde. - In ihrem Unglück verbünden sich nun die Götter mit den Zwergen, um dem ’Bösen’ Herr zu werden. Die Zwerge aber, so winzig sie sind, sie sind schlau und listig. Sie flechten ein magisches Band, welches dünn wie Seide ist aber so stark wie die Schöpfung selbst. Damit sollen die Götter Fenrir an die Leine nehmen, sagen die Zwerge. Die Götter wollen es zuerst nicht glauben, aber dann tun sie es doch und locken den riesigen Wolf in eine Höhle.“

„So wie die Hünengräber im Hümling?“ fragte ein Bursche keck.

„Im Hümling? Ja, da gibt es viele Höhlen. Man nennt sie Gräber, aber da wohnt kein Wolf. Dort lassen die Schäfer ihre Schafe nächtigen. Da sind sie geschützt vor dem Wolf.“ Der Märchenerzähler hatte sich wieder gefangen. Er bückte sich nach dem Kadaver, hob ihn auf und strich sehr vorsichtig über das Fell, damit dem Pelz die Haare nicht ausfielen. Zwischendurch warf er immer wieder ein wachsames Auge auf Widzelt. Als Fremder in diesem Land musste er umso mehr Vorsicht walten lassen, denn allzu schnell konnte man mit dem Pranger Bekanntschaft schließen.

„Fenrir ist listig, er ahnt, dass die Götter Arges mit ihm vorhaben und er verlangt darum ein Pfand von den Göttern, zu seiner Sicherheit. Die Götter überlegen, was sie tun sollen. Nun legt der Gott Tyr ihm seine Hand in den mächtigen Rachen, während die anderen Götter Fenrir mit dem magischen Band binden."

Der Geschichtenerzähler zog unterdessen ein gewaltiges Hackmesser aus seinem Leibriemen und die Leute wichen vorsichtshalber einen Schritt zurück.

„Als Fenrir bemerkt, dass sich das Band zusammenzieht, wenn er sich bewegt“, fuhr der Erzähler fort, „da heult Fenrir auf und beißt dem Gott Tyr die Hand ab." Im selben Augenblick hackte der Geschichtenerzähler dem toten Wolf den zweiten Vorderlauf ab und mit Schwung flog die Pfote in die zurückweichende Menge.

„Da habt ihr! Das bringt Glück!" schrie er.

Die eklige Pfote klatschte geräuschvoll auf die Kapuze eines Mönchs, der ärgerlich das Weite suchte. Das erregte Heiterkeit und der Schelm tanzte glucksend und kichernd mit seinem Wolf im Arm und dem Messer in der Hand in die Runde. Das ergötzte die Leute und sie lachten schallend.

„Und?" fragte Widzelt nüchtern, „hat Fenrir sich befreit?"

„Nein, es ist, wie die Zwerge vorausgesagt haben: aus dem magischen Band kann er sich nicht befreien! - Wütend riss das Raubtier den Fang auf, brüllte und fletschte das grauenhafte Gebiss, aber er konnte sich nicht losreißen und die Götter verkeilten blitzschnell ein Schwert in seinem Rachen, das ihn bis zum heutigen Tage hindert, seinen Fang zu schließen und die Welt zu verschlingen. Fenrir ist immer noch wütend und heult und brüllt schlimmer als die Gewalten des Sturmes, aber es hilft ihm nichts. Manchmal kann man ihn heulen hören. Das Geheul aber weckt die Midgardschlange und sie peitscht das Meer und schlägt die aufgewühlten Wasser wild gegen eure Deiche. Hört nur genau hin, ihr Leute, dann hört ihr das Brüllen von Fenrir. Aber so sehr er auch wütet und heult. Sein Schicksal ist es, bis zum Tag des Jüngsten Gerichts, dem Ragnarök, in Fesseln zu bleiben. - Und genau wie Fenrir in seiner Höhle, so wartet in den Tiefen des Meeres die Midgardschlange auf Ragnarök, das Jüngste Gericht, dann wird sie vom Meeresgrund emporsteigen, und wenn sie sich in den Schwanz beißt, dann wird die Erde auseinanderbrechen. So ist es überliefert, liebe Leute, bis zum heutigen Tag, und wer's nicht glaubt, der spitze die Ohren, wenn Sturmflut eure Küste heimsucht“, endete der Geschichtenerzähler und schickte seinen Sohn, milde Gaben einzusammeln.

Die Leute entrichteten brav ihren Obolus und wandten sich dem Zahnbrecher zu, der lauthals seine Dienste anbot.

„Mutter, was bedeutet das?" fragte Ocka furchtsam.

„Ach, das ist eine Mär. Es gibt keinen Fenrir, Ocka."

„Aber..., wenn doch?" Das klang sehr ängstlich.

„Nun, aber wenn doch... Fenrir ist gefesselt, du brauchst keine Furcht zu haben, Süße."

„Bestimmt ist Fenrir längst befreit aus den seidenen Schlingen und das Böse ist auf die Erde zurückgekehrt“, warf Widzelt bissig ein, „sonst gäbe es wohl keine bösen Taten..."

„Widzelt! Du erschreckst mir die Kinder! Lass das."

„Mich schreckt er nicht. Höchstens die dumme Zimperliese", entgegnete Keno keck und kassierte dafür augenblicklich einen Backenstreich von Widzelts Hand. Der Bub zog den Kopf ein und blickte um sich. Teufel, er konnte nicht - wie er es sonst immer tat - ausbüxen und sich verstecken, weil Widzelt ihn am Arm festhielt. Schon flogen Keno Anstandsfragen um die Ohren. Der Junker liebte es, den Buben im Beisein seiner Mutter zu maßregeln: „Die ritterlichen Künste sind?"

„Ah, ich, ich...“

„Was denn, bitteschön? Warum stotterst du? Das muss wie ein Pfeil herausschießen. Verstehst du?“

Keno hatte sich wieder gefaßt und antwortete artig: „Reiten, Schwimmen, Faustkampf, Bogenschießen, Verse machen, Vogelstellen, Schach."

„Und? Was bedeutet das Schachspiel für die Weltenordnung?“

Der Bub stutzte: „Was? Äh? Ich..., man soll die Welt nicht so betrachten?“

„Richtig, Keno, gut aufgepaßt. Jeder, der die Welt als ein Schachspiel betrachtet, verdient es, zu verlieren. Merk dir das!“

Der Bub nickte eifrig und Widzelt fuhr mit seiner strafenden Fragerei fort: „Und? Was noch gereicht einem Ritter zur Ehre?"

„Gott zu lieben aus ganzer Kraft und die Hölle fürchten."

„Und?"

„Stetigkeit in allen Dingen und ..." Keno fiel nichts mehr ein. Er schüttelte widerwillig seine blonde Mähne.

Widzelt bemerkte das mit Missfallen und forderte gnadenlos: „Weiter, mein Prinz aus königlichem Gestüt!“

„Geblüt!“, korrigierte Keno ärgerlich.

„Das war ein Scherz, Keno. Also, was noch?"

„Wahrheit und, und, und... Tugend."

„Ja, mein Junge, das heißt Maß halten und brav und anständig sein, Gerechtigkeit üben, Respekt vor den Alten und die Armen schützen, nicht ausschweifend oder gewalttätig sein, nicht lügen, sich nicht geizig und von schlechtem Lebenswandel zeigen. Noch etwas?"

„Wie man sich höflich benimmt", antwortete Keno kleinlaut.

„Siehst du? Das heißt: Rede nicht bösartig. Warum tust du's, wenn du's weißt? Entschuldige dich!"

„Entschuldige, Ocka."

Die war's zufrieden und hüpfte fröhlich an der Hand ihrer Mutter zum Tokkenmacher, der ihrer Ansicht nach die schönsten Holzpuppen der Welt hervorbrachte.

„Mutter, bekomme ich eine neue Puppe?"

„Kind, du hast schon genug Tocken."

„Ach, bitte, sie sind doch so schön", bettelte Ocka und Foelke schüttelte verneinend den Kopf. „Aber dann möchte ich die Glasperlen."

Seufzend kaufte Foelke daraufhin eine Handvoll der teuren bunten Perlen und Keno meinte, dass er nun doch das Hermelin bekommen könnte, welches Vater ihm dereinst versprochen hatte.

„Stimmt das, Keno?" fragte Widzelt streng und als dieser nickte und ihm ehrlich in die Augen blickte, kaufte er ihm ein niedliches kleines Wiesel, weil Hermeline auf dem Markt gerade nicht angeboten wurden.

Widzelt schenkte Foelke dann noch einen tönernen, bemalten Reiter, in den man ein Licht hineinsetzen konnte. Sie kaufte sich noch eines dieser gelben Tücher, die jetzt so in Mode waren.

„Schau, Widzelt! Seide! Sieht doch schön aus, nicht?“ Stolz legte sie sich das gelbe Tuch um den Kopf. Aber Widzelt bemerkte respektlos, damit sähe sie aus wie eine Dyke. Frauen und Strichmädchen aus dem Freudenhaus trügen diese Tücher. Am liebsten hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst für diese Frechheit, aber in aller Öffentlichkeit konnte sie das dem Verweser von Brookmerland nicht antun. Das wäre arg übel gewesen.

„Woher willst du das wissen?" fragte Foelke ärgerlich. „Bist du schon dort gewesen?"

„Wo? Auf dem Deich?“

„Eben dort – auf dem Deichstrich.“ (Strich = Straße am Deich)

„Ach, und selbst wenn... Sollte ich das nicht wissen?"

„Ja, nein. Ach, ich weiß ja, du hast ein Liebchen im Frauenhaus."

„Wie meinst du das?"

„Wie ich's gesagt habe."

Widzelt verhaspelte sich: „Äh, ja, eigentlich..."

„Was? Ist es so? Oder nicht?"

„Das brennt dir auf der Seele, was?"

„Ja, das tut es, Widzelt. - Ist sie in Gefahr?"

„Das Mädchen? Warum?"

„Ich erinnere an die Klage... Der Prior von Marienthal hat euch damals des gemeinschaftlichen Mordes an unserem alten Kaplan verdächtigt. Weißt du's nicht mehr?"

„Ach, Benedict... Wie könnt ich das vergessen?"

„Ja und? Was ist?"

„Ach, das war doch eine Erfindung, eine List! Was soll sein? Ich bin doch frei!"

„War's das? Oder hat der Benediktiner, der die Sache untersucht hat, irgendwelche... besonderen Erkenntnisse, die ich wissen sollte?"

„Erkenntnisse? Wovon? Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Das ist doch gleich, wo’s doch gelogen war!"

Foelke gab sich damit zufrieden. Für sie war es undenkbar, dass Widzelt den Kaplan Benedict aus dem Weg geschafft haben könnte, wenngleich... Benedict war ein boshafter, alter Brummpott gewesen, der ihnen unendlich viele Schwierigkeiten hätte bereiten können.

„Und? Ist dein Liebchen auch frei gekommen? Ist sie in Gefahr?"

„Oooch, hab sie lange nicht gesehen."

„Man sagt, sie hat ein Kind von dir, Widzelt."

„Ein Kind? Wer? Die Oda? Davon weiß ich nichts."

„Weißt du nichts?"

„Nein! Ein Kind? Von mir? Von der Oda?"

„Ja, wie viele Frauen hast du denn noch?"

„Was meinst du denn? - Ist's ein Junge? Ein Mädchen? Blond oder braun? - Und wo soll dieses geheimnisvolle Kind sein?" fragte Widzelt voller Spott.

„Ubbo meint, im Kinderhaus, bei den Waisen, bei der tollen Janna." Empörung stand in Foelkes Augen.

„So, Ubbo sagt das. Der Quasselkopf muss es ja wissen. So was aber auch! ‘s wäre doch kein Waisenkind... Ich glaub's nicht. Das hätte ich doch wohl merken müssen! Warum sagt sie das nicht? Vielleicht hat sie's weggegeben? Ein Kind... das muss ernährt werden, das braucht einen Vater... Ein Junge? Ein Mädchen? Weißt du es?" Widzelts Stimme bebte.

„Nein, aber es braucht einen Vater und eine angemessene Erziehung, wenn es... von dir ist, dann ist es Blut von Ockos Blut!"

„Blut von meinem Blut… Ja, wenn's denn so ist. Aber warte erst einmal ab, ob's wahr ist. Ich glaub's nicht. Das müsst ich doch wissen. Bestimmt ist es nur ein böswilliges Gerücht."

Es sah so aus, als wäre damit die Sache für Widzelt erledigt, aber er war eine Spur bleicher geworden und dann fuhr er nach einer Weile beunruhigt fort: „Wir sollten nach Aurichhove fahren. Ich muss es herausfinden!"

Stehenden Fußes ging es nun zum Wagen und nachdem Widzelt den Kindern und Foelke hastig hinaufgeholfen hatte, schwang er sich flugs auf eines der beiden Zugpferde und drückte ihm so heftig die Fersen in die Weichen, dass es jäh anzog. Eines der Räder quietschte ganz laut und Keno stichelte, dass Widzelt wohl mit Wagenschmiere gespart habe. Dieser einfältige Knabe, dachte Widzelt und schwieg. Dann schoss es ihm plötzlich durch den Kopf: Ein Kind hat Oda? Ein Knäblein gar? Einen Erbe! Dann sähe alles anders aus! Mit einem Erben könnte ich Herzog Albrecht gewinnen, mich als Nachfolger anzuerkennen. Mehr zu sein als nur der Notnagel, der den Verweser spielen darf… Wäre das nicht geradezu eine himmlische Vorsehung?

Nachfolger…, Nachfolger…, Nachfolger…‘ quietschte das Rad. Das Gequietsche kreischte dieses Wort in sein Unterbewusstsein, schien es ständig zu wiederholen, grub es in sein Herz ein.

Endlich rumpelte der Wagen gemächlich über den Sandweg nach Aurichhove. Keno und Ocka vergnügten sich mit Fingerspielen und Foelke hatte Muße zum Nachdenken. Sacht legte sie die Hände auf ihren Leib. Noch war es kaum zu sehen, dass darin ein Kind wuchs. Es tröstete sie, dass ihr die Gnade zuteil werden würde, noch einmal sein Kind austragen und nähren zu dürfen, Ockos Kind... Ein neuer Anfang...

Knirschend pflügte der Wagen den ausgefahrenen Sandweg. In der Dunkelheit waren die tiefen Schlaglöcher kaum auszumachen und Foelke klammerte sich mit beiden Händen an den Sitz, um die Erschütterungen auszugleichen. - Um Gottes Willen das Kind nicht verlieren!

Kurz vor Aurichhove hatte es geregnet und Widzelt ließ die Pferde schneller traben, damit die Räder nicht womöglich im Schlamm stecken blieben. Das Regenwasser spritzte in hohen Bögen aus den Pfützen und manchmal schlitterte der Wagen unmäßig zur Seite weg, so dass Foelke entsetzt rief: „Widzelt! Langsamer! Fahr langsamer!" Er tat's aber nicht.

Als sie nahe der Burg waren, ergoss sich plötzlich ein heftiger Hagelschauer über sie. Herrlich sah das aus, wie die erbsengroßen weißen Körner auf Wagen und Pferderücken tanzten, ehe sie zur Erde hüpften, um dort erneut aufzuspringen!

Während Ocka und Keno begeistert versuchten, die Eiskörner mit dem Mund aufzufangen, wuchs die Hagelschicht rasch an und binnen kurzem war alles mit einem dicken weißen Überzug bedeckt.

Zum Glück stand das hell erleuchtete Burgtor sperrangelweit offen. Die Wächter hatten sie wohl kommen sehen. Schlitternd polterte der Wagen auf die Zugbrücke und Widzelt nahm nun Gott sei Dank die Pferde zurück.

Gleich hinter der Brücke stand Focko Ukena, ließ den Wagen passieren und rannte sogleich hinterher, den Burghügel hoch zum Schlossportal.

„Wo bleibt ihr denn?" rief er ihnen nach. „Der Herzog hat Abgesandte geschickt. Es gefällt ihnen nicht, so lange warten zu müssen. Die Herren Ritter sind furchtbar ungeduldig!"

Abgesandte des Grafen von Holland..., nun dann musste die unangenehme „Angelegenheit“ mit der Oda erst einmal verschoben werden.

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