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Kapitel 13 - Burg Donia

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Die Vereinbarung zwischen Widzelt und dem Rotterdamer Bürgermeister Potter lautete, bei der brook’schen Burg “Donia“ in Friesland zusammenzutreffen.

Voran der Fahnenträger mit dem Wappen des Herzogs auf dem Panier, trampelte Potters ’Flut’ aus Rotterdam durchs Land. Potter führte hoch zu Roß seine Heerschar an. Wild blickte er nach allen Seiten um sich, die Menschen noch mehr in Angst und Schrecken versetzend.

Hinter dem Fahnenträger folgte die Vorhut aus einigen Bogen- und Armbrustschützen. Dann schlossen sich etliche Reiter an, das Schwert an der Hüfte.

Die anschließenden Fußsöldner waren derart eingehüllt von Staubwolken, ebenso wie die Nachhut, dass sie eine graue Masse bildeten, in welcher der einzelne Mann kaum mehr auszumachen war. Dahinter der Troß mit seinen lärmenden Zugtieren und polternden Wagen, auf denen Ringpanzer, Brünnen, Helme, Schilde, Spieße und Zusatzwaffen befördert wurden. Zuletzt kamen die Packesel mit Zelten, Belagerungswerkzeugen, Proviant und lebendem Schlachtvieh.

Marketenderinnen durften bei solcher Gelegenheit nicht fehlen. Sie hielten Ausschau nach Käufern und Freiern. Es waren aber keine da... noch nicht.

Widzelt musste Potter und seinen Heerscharen bis zum Weitermarsch Aufnahme und Verpflegung auf Burg “Donia“ gewähren. Da die finanzielle Belastung für die Beherbergung unmäßig hoch war - und das in diesen schlechten Zeiten, freute Widzelt sich, als Potter spontan äußerte, sich nicht lange aufhalten zu wollen und dass er darauf brenne, nach Harlingen zu kommen, um Rambodisna eins aufs Haupt zu geben.

Die Aussicht, die rauen Gesellen schnell wieder loszuwerden, das gefiel auch dem Vogt von „Donia“. Indes, wie sich später herausstellte, behagte es dem Potter so gut bei ihnen, dass er noch einige Tage länger als vorgesehen dort verweilte. Das lag nicht zuletzt an der verwitweten Burgherrin. Nur Augen für sie schien der Bürgermeister von Rotterdam zu haben.

War Johanne Kenema je einem derart ungeschlachten Zeitgenossen begegnet? Dagegen war ihr Herr und Verwandter ein hoch edler Mann, zumindest hatte Widzelt gute Manieren und wusste sich höflich zu benehmen - wenn er wollte. Aber dieser Kerl da? Potter glotzte sie pausenlos unsittlich aus seinen blassen Fischaugen an. „Die Herrschaften sind bald wieder weg, Johanne“, suchte Widzelt die schöne junge Witwe abzulenken, „sorge dich nicht. Es wird alles gut.“

„Meinst du, Vetter?“

„Freilich, trag es mit Humor, Hannchen.“

„Hannchen! So hast du mich noch nie genannte, Widzelt. Hast du etwa Absichten?“

„Ich? Niemals!“

Widzelts Dienstmann stieg unterdessen die Leitern hinauf in den Turm, um einen Überblick über die Truppenstärke zu bekommen. Er traute Potters Angaben nicht so recht.

„Sieh dir den Potter gut an, Hannchen, dann weiß du, wie der dicke Mastino Visconti, Herr zu Brescia, aussieht“, flüsterte Widzelt ihr zu, „der könnte wohl sein Bruder sein."

„Potter?" Süßes Gelächter kullerte aus ihrer Kehle, wofür Johanne Kenema sich einen strafenden Blick von Potter einfing und Widzelt lachte: „Wahrlich, Johanna, man sollte Euch Dulcinea nennen, so süß wie Ihr seid. – Aber im Ernst, wer weiß, wie viele uneheliche Kinder Bernabo Visconti hat? Das weiß er wohl selber nicht mal", witzelte er.

„Widzelt! Solche Scherze sind unangebracht."

„Jeder in Italien weiß, dass Bernabo Visconti mindestens zehn außereheliche Kinder gezeugt hat."

„Oh! Aber Potter?"

„Nein, das war nur Ulk. So genau kenne ich Bernabos Sohn Mastino auch gar nicht. Er ist mir nur ein einziges Mal begegnet. - Aber, immerhin, Mastinos Vater, Bernabo Visconti, hat die stattliche Zahl von fünfzehn legitimen Kindern, mit denen er sich brüstet, und die hat er alle in die besten Fürstenhäuser hinein verheiratet. Wenn er so fortfährt, beglückt er bald die Fürstenhäuser der ganzen Welt mit seiner Brut."

„Ja, die Visconti sind gleich zweimal im Hause Bayern vertreten. Bernabo Viscontis Tochter Taddäa ist mit Stephan dem Knäuffel von Bayern-Ingolstadt verheiratet."

Widzelt machte große Augen: „Und woher weißt du das?"

„Als Ritter Ocko den Lehneid geleistet hat, durfte ich mit zum Haag. Und da sprach man davon. So etwas merkt man sich doch, oder? Herzog Albrechts Gemahlin ist wohl eine Base von Bernabo Visconti."

„Ach, wer soll da noch durchfinden?"

„Bernabo Visconti alle Mal“, lachte sie.

„Ja, er besitzt eine massive Hausmacht.“

„Herzog Albrecht hat einmal gesagt, man kann Kriege führen oder heiraten. Bernabo Visconti tut beides. - Möglicherweise will er König werden?" bemerkte Johanne schlicht und Widzelt zuckte erheitert die Schultern.

Herrgott! Wenn der Junker so lacht, könnte ich ihn glatt abküssen!’ dachte Johanne Kenema verliebt und suchte seinen Arm, um sich einzuhängen und ihm näher zu sein. ‚Aber wir beide sind wohl zu nah verwandt...’

Derweil ließ Potter großmächtig einen Haufen Biberfelle als Gastgeschenk vor Johannes Füßen ausbreiten. Dazu verkündete er grandios, dass er sich glücklich preise, die Freundschaft der Vorsteher von Brookmer- und Auricherland belohnen zu dürfen.

Vorsteher! Was fällt ihm ein! Und Freundschaft? Nichts dergleichen verbindet uns mit diesem Barbaren! Und dann diese grässlichen Biberfelle, in denen die Flöhe herumspringen! Wem mag er die wohl abgejagt haben?’ „Werter Herr", flötete Johanne anmutig, „an einem so wunderschönen Tag wie heute solltet ihr nicht solch unwürdige Geschenke bringen. Seht Ihr nicht, dass es in den Fellen von Flöhen nur so wimmelt?"

„Haltet die Felle nur gut fest, sonst laufen sie gleich von selber zum Tor hinaus", spottete Widzelt.

Hatte Potter plötzlich eine Kröte im Halse stecken? Jedenfalls zog solch ein Gesicht. Die Umstehenden konnten sich das Lachen nicht verkneifen, aber Potter wurde von einer berserkerhaften Wut befallen. Als der hübsche Knabe, der die Pelze gebracht hatte, das zu begreifen begann, war es bereits zu spät. Er wurde bleich vor Schreck und warf sich augenblicklich in den Staub, ergriff zitternd Potters Stiefel und küsste sie: „Euer Exzellenz... der ich bin Euer Hoch- und Edelgeborenen untertänigster Diener, Herr... Vergebt mir, Herr! Vergebt mir!"

„Du Töffel! Dafür wirst du büßen! Ich verspeise deine Klöten zum Frühstück!", bölkte Potter knurrig.

„Klönen?“, fragte der Junge mit großen Augen und richtete sich auf.

Da trat Potter ihm mit voller Wucht ins Gemächt. „Jetzt weißt du, was ich meine“, schrie er. Der Bub kreischte auf in wildem Schmerz, stolperte seitwärts und kollerte zusammengekrümmt auf den Boden. Der Sporn an Potters Stiefel hatte ihm wohl schwer verletzt. Während Johanne Kenema entsetzt aufschrie, konnte man gar nicht so schnell gucken, wie Potter über den Buben herfiel. Ein kurzes Aufblitzen, Blut schoss dem Knaben aus dem Mund, strömte über das schmale Gesicht auf den Kragen hinunter in den Sand, der sich braunrot verfärbte. Der Hauch eines schmerzvollen Röchelns entfloh den Lippen und mit einem Laut wie kurzes Aufstöhnen entwich das Leben aus ihm. Das sehend, wich jeder andere Mensch aus Potters Gefolge hastig zurück – stumm vor Furcht, gleichsam auf Sicherheitsabstand gehend.

„Es geht nicht an, dass er Euch Flöhe ins Haus bringt“, grunzte Potter.

Johanne griff zitternd nach Widzelts Hand. Hätte ich nur nichts gesagt, bereute sie und mühte sich, die aufsteigenden Tränen zurückzudrängen.

„Aber für die Flöhe konnte er doch nichts“, schalt sie leise. „Durch das Töten eines Kindes beweist man nicht, ein guter Krieger zu sein. Ich glaube, dass wißt Ihr sehr wohl, Herr.“

Während Potter seelenruhig sein Mordwerkzeug aus dem Körper des Knaben zog, flüsterte Widzelt bestürzt: „Still, Hanne, still. Halte an dich. - Einrede hilft dem Buben nicht mehr, das schadet uns nur. Verstehst du? Fasse dich und zieh nicht solch ein Gesicht. Du siehst aus, als wäre dir ein schöner Vogel davongeflogen.“

„Der wäre sowieso draufgegangen“, erklärte Potter gefühllos, wischte den Dolch am Rock des Toten ab und fuhr seinen Adjutanten an: „Aufsammeln! Verbrennen!"

Der gab den Befehl an zwei Spießgesellen weiter, die sich eilends daran machten, Felle und Leichnam geschwind fortzuschaffen, um sie in eines der Lagerfeuer zu werfen. Bald darauf trieb der Wind Qualm und Gestank von verbranntem Fleisch und kokelnden Fellen in ihre Gesichter.

„Die Knie sind mir weich…“, ächzte Johanne und Widzelt stützte sie sacht am Ellenbogen.

„Ihr werdet hungrig sein, werter Herr. Nun, da das Fleisch geröstet ist, lasst uns hineingehen und tafeln", äußerte Widzelt in unverkennbarem Sarkasmus zu Potter. Aber dieser abscheuliche Mensch bemerkte es nicht einmal und das war auch wohl gut so.

Überhaupt, ein grauenhafter Kerl, dieser Potter, der sich herausnahm, Hanchen dauernd unbotmäßig zu betatschen und lüstern anzugrinsen. Er hat die Ungezogenheiten eines Ziegenbocks, dachte sie, und er stinkt auch so. Es fiel ihr ungemein schwer, gute Miene zu machen, wenn dieser aufgeblasene Kerl ihr überdies auch noch Schlüpfrigkeiten ins Ohr pustete.

Recht betrachtet, sah er halbwegs stattlich aus. Sein gelber Backenbart war ordentlich beschnitten und lief am Kinn zu einem gut gestutzten Spitzbart zusammen, dazu trug er recht vornehme Kaufmannskleidung, nur müffelte er grauenvoll nach Schweiß und Harn.

„Ihr werdet Sehnsucht nach einem Bad haben“, trug Johanne ihm liebenswürdig an. Aber er verschmähte das angebotene Bad mit dem Hinweis, es sei einem Kriegsmann abträglich, Rosenduft zu verströmen und im Übrigen habe er erst letzten Monat gebadet...

Beim Festmahl beobachtete Widzelt die junge Witwe verstohlen. Manchmal trafen sich ihre Blicke und sie lächelten einander kaum merklich zu.

Ist es Liebe, wenn man immerzu lächeln muss, wenn man einander anschaut? Augen sind der Liebe Tür… Wie schön sie ist! Wie anmutig sie den Löffel zum Munde führt, nicht wie die andern, die den Löffel plump von oben grabschen und in die Faust nehmen… Und wie sie ihre weißen Zähne in das Hühnchenfleisch gräbt! Welch animalischer Anblick... Ich kenne sie fast schon zehn lange Jahre und meine Liebe zu ihr wächst mit jedem Jahr, wird größer, reicher, tiefer. Wir sind einander nah und doch ist sie so weit entfernt von mir… Werde ich eines Tages jenes Glück finden, dass so viele erträumen und doch niemals erreichen?

Ihm wurde ganz heiß im Gesicht und anderswo. Als die Marketenderin sich ihm keck auf den Schoß setzte, fühlte diese es mit Belustigung. „Ich merke es, Herr, Ihr seid auch kein Heiliger“, girrte sie lüstern in sein Ohr und machte ihm sogleich ein zuchtloses Angebot.

Die Heerscharen lagerten auf der ’Langen Vorhut’, dem Glacis, jener kahlen Fläche, die Ritter Ocko noch hatte roden lassen, damals - für den Ausbau der Burg “Donia“. Jetzt waren auf dem Glacis allenthalben Paniere aufgepflanzt und wiesen den Weg zu den einzelnen Heerhaufen.

Johannas Kinder stiegen auf den Turm und beobachteten begeistert das Treiben auf der vom Löwenzahn goldgelb erblühten ’Langen Vorhut’. Welch ein buntes Gewimmel von Kriegsleuten und Weibern mit ihren Kindern, von mitgebrachten Pferden, Eseln, Hunden und Schlachttieren aller Art! Die einfachen runden Zelte mit ihren farbigen Bannern waren rasch errichtet worden und im Nu loderten etliche Lagerfeuer, über denen Suppenkessel brodelten oder Fleischspieße gedreht wurden.

An diesem Abend verputzte das Heer 10 Schweine und Schafe, 100 Malter Getreide, 5 Rinder, außerdem Hühner, Fisch, Schalentiere, Eier, Gemüse und vieles mehr, dazu wurden 6 Fuder Bier gesoffen.

Als der Haushofmeister Bericht erstattete, lief Johanne rot an und eilte - außer sich vor Empörung - zu Widzelt: „Man sollte diesen Schmarotzern Fliegenpilze ins Essen mischen! Sieh nur zu, dass sie schnellstens wieder abziehen. Diese Heuschrecken fressen mir die Haare vom Kopf!"

„Heuschrecken fressen keine Haare“, grinste Widzelt, zog sie an sich und küsste ihre Stirn. „Wir werden uns in Harlingen schadlos halten. Dann bekommst du Entschädigung."

„Narretei! Ihr spekuliert mit Geld und Schätzen, die ein anderer besitzt, wenn überhaupt." Sprach’s, machte sich frei, drehte sich um und stapfte davon, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Dabei hätte Widzelt ihr doch noch gern sein Ziel erklärt; das, was ihm vorschwebte, was Graf Albrecht von Holland ihm versprochen hatte... Aber der Zeitpunkt war wohl unklug gewählt, da sie sich ihm verschloss…

Bunte Wappenbanner in den merkwürdigsten Zuschnitten streckten sich im erwachenden Morgenwind in den mattrot betupften Himmel. Die Kriegsleute sammelten sich bei ihrem Panier.

Fanfaren kündigten Potter als den befehlenden Hauptmann an. Gefolgt von Widzelt und anderen Haufenführern trat Potter vor das Heer, während sein Feldkaplan unterdessen die Leiter emporklomm auf den gerüstartigen Turm mit der winzigen Kanzel. Auf der einen Seite der Kanzel wehten das blau-weiße Weckenbanner des Herzogs von Bayern und das Panier von Rotterdam mit dem Stadtwappen, auf der anderen streckte sich golden der Broek’sche Adler auf rotem Grund. Eigens für den Zweck, das Heer zu segnen, war der Turm errichtet worden und der Geistliche wäre doch beim Hinabsteigen fast noch hinunter gepurzelt, weil der Wind sein Ornat im Gerüst verhedderte.

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