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Kapitel 15 - Foelke im Fieber

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Die Kinder freuten sich, ihre heiß geliebte Muhme Hebe im Kloster Dykhusen besuchen zu dürfen und als das Pferdegespann zum Tor hinausrollte schilpten die Spatzen fröhlich hinterdrein.

Die Angst schnürte Foelke das Herz zusammen. Wovon bekam sie jetzt Schweißausbrüche und Hitzewallungen? Sie zog sich in ihre Kemenate zurück.

Ihre Überzeugung vom Tod als Stufe zwischen Leben und Erlösung führte nicht zu Hoffnungen, sondern zu Ängsten. Auch der Umgang mit Ockos letzten Dingen konnte Foelke weder trösten, noch ihre Ängste tilgen. Der Gedanke, Ocko schon so bald nachzufolgen, und ihre Kinder allein und hilflos zurücklassen zu müssen, in dieser unvollkommenen, grausamen Welt, versetzte sie in schreckliche Furcht.

Tags darauf bemerkte sie Schmerzen im Nacken. Ja, eigentlich tat ihr alles weh und sie lag ganz still in ihrem Alkoven, rührte sich nicht, lauschte in sich hinein auf die Signale ihres Körpers. Ich friere wie in einem eisigen Kerker…

Alle Stunde kam eine Magd und legte Torf aufs Feuer.

„Burgfrau! Burgfrau! Besinnt Euch!“, rief sie. „Ihr müßt aufwachen! Aufwachen! Wacht auf!“ Aber Foelke wachte nicht auf. Im Fieber phantasierte sie von Ocko: „Ich habe ihn stöhnen gehört und manchmal hat sein Körper sich bewegt und mir schien, als ob er aufstehen und mir etwas sagen wollte..., ich hörte... Töne... aber er hat sich nicht erhoben... Er ist nicht aufgestanden, nie mehr aufgestanden..."

„Tote haben ein Eigenleben", antwortete die Magd gedämpft und traute sich von da an aus Furcht vor Foelke und ihrer Krankheit kaum mehr in die Kammer, geschweige denn in die Nähe ihres Bettes. Mit dem Besen schob sie ein Tischlein mit Kräutertee und Hirsebrei ans Krankenbett. Aber aus eigener Kraft konnte Foelke jedoch schwer daran gelangen und als sie sich mühsam vorbeugte, musste sie sich furchtbar übergeben.

Entsetzt floh die Magd aus der Kemenate. Später hörte Foelke jemanden an der Tür werkeln und hämmern. Sie wollte rufen, aber ihre Stimme versagte. Das Schlafmittel von Ibn tat seine Wirkung, benebelt sank sie in ihre Kissen zurück, in einen von wirren Träumen zerrissenen Schlaf.

Am späten Nachmittag kam Ibn, um nach der Burgfrau zu sehen. Der Wächter vom Torhaus wollte ihn nicht einlassen. Ibn sprach mit Engelszungen - ohne Erfolg. Er drohte mit seinem Krummschwert, das er stets bei sich führte, umsonst, denn schließlich befand sich der Torwächter außer Reichweite. Obwohl, er schien Angst vor Ibn zu haben, sah den Orientalen wohl als Ungläubigen und damit als Gehilfen des Teufels an. Letzten Endes führte die massive Drohung mit Widzelts grausamer Rache dazu, dass man Ibn durch eine Nebentür in den Zwinger (Vorhof) einließ. Dort musste Ibn dieselben Sperenzchen über sich ergehen lassen, bis ihm der herbeigerufene Vogt schließlich erlaubte, das Schloss zu betreten.

Fünf Steinstufen führten hoch zur eisenbewehrten Eichentür mit dem schön behauenen, strahlend weißen Sandsteinrahmen. Die Tür war unverschlossen, so dass Ibn ungehindert eintreten konnte. Eine Vorhalle, vor kurzem nass gewischt, die Fliesen glänzten noch feucht; gleich links führte eine Treppe hinunter in die Kellergewölbe mit der Küche, geradeaus der Prunksaal. Zum Glück kannte Ibn sich aus im Schloss. Zielsicher betrat er den Saal. Dort roch es nach Bienenwachs und Gewürzen. Bunte Strahlenbündel schickte die Sonne durch die kostbaren Glasscheiben und malte die krummen Schatten der durch Steinwürfe verbogenen Gitter auf die Dielen. Hübsch anzusehen die kunstvoll geschmiedeten Blattranken.

Aus Sandstein gehauene Sitzbänke mit karmesinroten Samtpolstern vor den Fenstern, gleichfarbige Samtvorhänge - mit Goldquasten zusammengehalten. Das Tuch für die Vorhänge hatte Ibn aus Venedig kommen lassen.

Rechts der große Kamin mit allegorisch bemalten Fliesen, in der Erkernische Ockos Hochstuhl, verhängt mit schwarzem Tuch, darüber der purpurne Baldachin. Rechts daneben sein Schild und Schwertgehänge. Widzelt hat es auf die Expedition gegen Harlingen nicht mitgenommen, dachte Ibn. Links daneben eine lebensgroße Marienstatue aus Eichenholz, farbig bemalt. Das Feldzeichen von Brookmerland fehlt, das wird Widzelt wohl mit sich führen.

Rechter Hand die Treppe nach oben zu den Privatgemächern; Ibn steigt bedächtig die Stufen hinauf. Auf dem Treppenabsatz begegnet ihm ein junger Kerl. Der erschrickt heftig und sucht eilends seine rechte Hand in einem Tonkrug verschwinden zu lassen. Die Öffnung ist aber zu eng, so dass Ibn unschwer erkennen kann, dass die Finger des jungen Kerls mit Blut beschmiert sind. Eilends drückt der Knecht sich an dem Arzt in orientalischer Tracht vorbei, springt hastig die Treppe hinunter, als sei Ibn der Antichrist persönlich. Das Zuknallen der Haustür hallt durchs Haus.

Das wunderliche Verhalten des Knechtes lässt Ibn Schlimmes vermuten... Er beschleunigt seinen Schritt, steht plötzlich einem blutigen Kreuz gegenüber, das offenbar vor gar nicht allzu langer Zeit und in großer Eile an die Tür gemalt wurde. Das Blut ist noch nicht einmal getrocknet, tropft dickflüssig auf den Boden, wo es gallertartig erstarrt.

Eine Art Riegel ist kreuzweise so angenagelt, dass man die Tür nicht, oder nur sehr schwer öffnen kann. Der Arzt zerschlägt mit seinem Krummschwert den Riegel. Leises Quietschen beim Öffnen der Tür. Ibn tritt zögernd ein.

Unglaublicher Dunst und Hitze schlagen ihm entgegen. Es riecht nach Rauch und verbrannten Kräutern. Spärliche Sonnenstrahlen fallen direkt auf bereits eingetrocknetes Erbrochenes. Mit drei Schritten ist Ibn beim Fenster, schiebt es ganz auf und atmet mehrmals tief durch. Langsam verbessert sich die Luft in der Kemenate.

Im Kamin flackert ein kräftiges Feuer. Die Mägde haben heftig eingeheizt, weil sie glauben, damit die Pestilenz bekämpfen zu können.

Ibns Blick streift kurz die Bogentür zwischen den beiden hintereinander angeordneten Zimmern. Hm, hochherrschaftlich das Wappen, sauber geschnitzt... Er kennt das Wappen, jeder kennt es hier und doch ist der Adler immer wieder beeindruckend, genauso wie der Wappenschmuck, bestehend aus Topfhelm, Helmdecke und drei Kronen. „Drei Kronen“, murmelt Ibn und wirft einen Blick in die Wiege - leer... Ob das Kind... Ibn mag nicht weiterdenken.

An der Wand zu Ockos Zimmer, ein breiter Alkoven mit geöffneten Vorhängen aus Blaudruckleinen, abgesetzt mit weißen Spitzen. Im Alkoven stöhnt jemand schmerzhaft. Die Burgfrau!

Wie die junge Frau so daliegt, glühend im Fieber und kaum bei Bewusstsein, befürchtet Ibn das Schlimmste. Die Felldecke ist durchtränkt von Erbrochenem und Ibn wirft sie ohne Umstände ins Feuer. Heftig reißt er am Glockenstrang. Es kommt aber niemand.

Suchend schaut der Arzt sich um. - Die Kranke muss gewaschen werden, benötigt ein neues Deckbett. - In der Ecke steht eine Kleidertruhe. Er entnimmt ihr ein frisches Laken und ein Unterkleid.

Plötzlich klappern Holzpantinen auf dem Flur. Das Klappern nähert sich, ein Schlüsselbund rasselt. Ibn hat die Tür offenstehen lassen. Vielleicht will jemand nachschauen? Auf leisen Sohlen schleicht er neben die Türöffnung. Da, ein weißer Arm, der eben die Tür zuschieben will. Im Nu packt Ibn zu. Ein spitzer Schrei, schon hat er die Magd in die Kemenate gezogen. - Ein knochiges Mädchen mit kräftigen Händen und erschrocken aufgerissenen Augen.

Ibns Stimme lässt keinen Einwand zu, als er befiehlt, frisches Wasser, Lauge und Aufwischlappen zu holen. Die dürre Magd eilt verstört davon. Ob sie wohl zurückkommt?

Ungeduldig geht der Arzt zum Fenster. Dort ist die Luft besser. Sein Blick fällt auf die Schnappe. Ritter Ocko ist da ums Leben gekommen. Nicht gut, dass die Burgfrau das täglich vor Augen hat. Schwärme von Vögeln kreisen über den Feldern und er sieht dunkle Körper sich bewegen. Sie sind immer noch beim Mähen des Getreides.

Hin und wieder stöhnt die kranke Burgfrau auf und wirft sich herum.

Gleichmütig packt Ibn sein Bindfutter, ein am Gürtel getragenes längliches Futteral, aus. Ein ganzes Arsenal von Werkzeugen befindet sich dort drin, welches er auf der steinernen Bank unter dem Fenster ausbreitet.

Es scheint ihm ewig zu dauern, bis die dürre Magd endlich mit ihrem Wischeimer kommt. Sie bringt Stine mit. Stine, der nach einem Schlangenbiss die Hand abgetrennt worden war. Sie trägt ein Joch über der Schulter mit zwei Holzeimern daran. In dem einen dampft heißes Wasser, der andere enthält kaltes Frischwasser.

Als Stine die Knochensäge auf der Bank liegen sieht, zuckt sie sichtlich zusammen. Und da sind noch die vielen anderen grausigen Werkzeuge wie Skalpelle, Zangen und Pinzetten, Wundhaken, Knochenheber und Sonden, Nadeln, Schere, ein Schnäpper zum Aderlass und eine schön ziselierte Messingdose.

In der Hand hält Stine einen Steintopf, über dem Armstumpf mit der hölzernen Hand ein sauberes Tuch.

Ibn lenkt sie ab: „Was ist da in dem Pott?"

„Weidenasche. Ich muss noch die Lauge draus machen."

Die andere Magd hilft, die Asche in das heiße Wasser einzurühren, reinigt dann unter Ibns strengen Blicken damit den Fußboden.

Gedankenvoll entnimmt Ibn seinem Lederbeutel Schwamm und Seife, schaut dabei Stine an, denkt, wie hübsch sie ist mit ihren großen blauen Augen; himmelblau und wunderschön sind ihre Augen.

Ehe der Sarazene Foelke untersucht, befiehlt er, dass die Kranke sorgfältig gewaschen wird. Stine zögert keinen Augenblick. Trotz ihrer Behinderung ist sie sehr geschickt. Ibn fragt Stine behutsam, ob sie sich nicht vor der Krankheit fürchte.

„Ach nein, Herr. Wenn ich sterben soll, dann ist es mein Schicksal, daran ändert auch Furcht nichts."

„Das gefällt mir, Stine."

Das schmutzige Laken wandert ins Feuer und auch der Feudel und das benutze Leintuch. Das Schmutzwasser lässt Ibn durch den Abtritt in den Graben schütten. Der leere Eimer wird vors Bett gestellt - für alle Fälle.

„Hole frischen Kräutertee", trägt Ibn der Dürren auf. „Minze, Kamille, Wegerich und Huflattich zu gleichen Teilen. Brühe das Ganze gut auf und süße es mit Honig. Sodann bringst du es her. Die Burgfrau möchte später vielleicht etwas essen. Brei ist nicht gut, den wird sie wieder ausspeien. Sicher mundet ihr zwiegebackenes weißes Brot. Habt ihr gutes weißes Brot?“

Die dürre Magd knickst und kichert dümmlich, aber Stine bestätigt, dass sie erst kürzlich weißes Brot gebacken hätten und trägt dem Mädchen auf, Ibns Anweisungen zu folgen. „Tu, was der Arzt gesagt hat. - Hier, nimm die Schüsseln mit dem kalten Zeug mit."

Als die Magd gegangen ist, steht Stine unschlüssig herum. „Es ist immer schwierig mit der Hefe“, sagt sie. „Die Bierhefe ist oft zu sauer für weißes Brot. Aber diesmal ist das Brot richtig gut geworden.“

Ibn nickt zustimmend und winkt sie zu sich: "Komm her zu mir, fass' an! Du mir helfen."

Die Kranke ist völlig bekleidet. Stine muss beim Ausziehen zur Hand gehen. Eigentlich findet sie es geradezu abartig, dass der Sarazene ihre Herrin nackt sieht, aber die Erkrankung scheint ziemlich ernst zu sein und das verlangt es wohl, denn eigentlich ist es Ibn aufgrund seines Glaubens wohl verboten, nackte Menschen anzusehen.

Indessen sucht er Foelke sorgfältig nach Geschwülsten ab, betastet die Achselhöhlen, die Leisten. Er atmet schwer, nickt und brummelt etwas vor sich hin. Das ist für Stine bestimmt, aber sie kann es nur schwer verstehen. Ja, die Drüsen sind angeschwollen, aber Beulen sind es nicht. Noch nicht? Er muss sie beobachten. Die Stirn glüht, aber das Fieber kann wohl mit kalten Beinwickeln gesenkt werden.

Vorsichtig drehen sie Foelke auf den Bauch. Ellenbogen und Nacken sind normal, weder pflaumengroße Beulen, noch linsengroße schwarze oder blauschwarze Flecken am Körper.

Schnaufend richtet Ibn sich auf und verhüllt halb sein Gesicht mit dem herunter hängenden Ende seines Turbans, welches sich bei der Prozedur gelöst hatte.

„Wird sie den Kampf gewinnen?“ fragt Stine zögerlich.

„Keine Schwarze Pest!" antwortet er laut.

„Keine? Was dann?"

„Vielleicht hat die Burgfrau Verdorbenes gegessen? Wer weiß? Die Kinder? Geht es ihnen gut?"

„Ja, Herr. Bevor sie nach Dykhusen abgefahren sind, hörte ich sie streiten wie eh und je", lacht Stine niedlich.

„Und wer hat gewonnen?“, fragt Ibn amüsiert. Er kennt die beiden Rangen gut genug, um zu ahnen, dass Tetta gewonnen hat, denn die Kleine ist keck und hat stets das letzte Wort.

„Tetta natürlich, Herr.“

„Und wo sind die Kinder jetzt?"

„Die Amme hat Tetta und Dietrich mitgenommen."

„Wohin?"

„Sind mitgefahren nach Dykhusen."

„Aha.“ Er reicht Stine das saubere Nachtkleid. „Komm, zieh ihr das an und leg der Burgfrau kalte Beinwickel an, das senkt das Fieber."

Will er sie nicht zur Ader lassen? überlegt Stine, denn das hat man sie gelehrt, dass die Entstehung von Krankheiten auf einer Störung des Gleichgewichtes der vier Kardinalssäfte beruht, nämlich der des Blutes, des Schleimes, der gelben und der schwarzen Galle. Wenn die Herrin gesund werden soll, muss der Arzt das Gleichgewicht wieder herstellen. Und das geschieht durch Aderlass. Allerdings, zurzeit ist zunehmender Mond und der Zeitpunkt des Aderlasses hängt ab von Mondphase und Planetenstand.

„Glaubst du auch, dass ein Aderlass nur in den ersten sechs Tagen bei abnehmendem Mond hilft?" fragt Ibn im selben Augenblick.

Stine nickt und taucht das Tuch ins kalte Wasser: „Ja, Herr. Bei wachsendem Mond sind Blut und faulige Flüssigkeiten zu sehr vermischt. Darum kann man das Schlechte nur ungenügend vom Guten trennen."

Das nasse, kalte Tuch regt Foelkes Lebensgeister an. Sie stöhnt und phantasiert.

Ibn klärt Stine über den Aderlass auf: „Ein Aderlass beseitigt die schlechten Säfte und sorgt für den Körper wie ein warmer Regen, der langsam und in gedeihlicher Menge auf die Erde fällt, diese bewässert und befähigt, Frucht hervorzubringen. Deshalb werden wir trotzdem einen Aderlass machen, Stine, denn wir müssen die Burgfrau von dem schädlichen Schleim reinigen.“

Er spricht sehr deutlich und langsam, damit sie auch alles verstehen kann. Nur selten kommt es noch vor, dass er die fremde Mundart nicht einwandfrei beherrscht. „Geh, Stine, hol mir die Fliete und fasse sie nicht an der Schneide an, sie ist sehr scharf."

Behutsam nimmt Ibn das messerähnliche Gerät entgegen: „Wir unterscheiden drei Hauptadern, Stine, die Kopfader, die Mittelader und die Leberader. Am wirkungsvollsten ist der Schnitt in die Kopfader, denn diese ist mit vielen Säfte führenden Gefäßen eng verbunden. Bei traurigem Herzen, Schwermut, Schmerzen an der Seite, Lungen- und Herzschmerzen schneiden wir die Mittelader an. Bei Leber- und Milzschmerzen, bei dem Gefühl von Atembehinderung, bei Schwindelanfällen ist dagegen die Leberader zu öffnen. Bei Schmerzen an der Zunge oder am Fuß werden dort kleine Schnitte angelegt."

Der Wundarzt hat die Sprache in den vergangenen Jahren so perfekt erlernt, dass Stine kaum noch einen Unterschied feststellen kann und wäre nicht sein exotisches Aussehen, dann würde bstimmt kaum jemand bemerken, dass er aus einem fernen Land stammt.

Unterdessen hat der Arzt bereits Foelkes Arm mit einem festen Band am Oberarm abgebunden und durch leichten Druck die Ader in der Armbeuge schräg angeschnitten. „Dünne Adern“, fährt er in seinen Erklärungen fort, „schneidet man quer an, vor allem an den Füssen.“

So redefreudig kennt Stine ihn sonst gar nicht und während das Blut in einen Becher rinnt, überlegt sie, aus welchem Grunde er ihr das wohl alles erzählt.

Er bittet freundlich, ihm die Messingdose zu reichen. „Wenn ein Gefäß angeschnitten wird, ist es so, als ob sich das Blut erschreckt. Dadurch fließen schlechtes und zersetztes Blut gleichzeitig mit ab."

„Hat das Blut deswegen so unterschiedliche Farbe?" fragt Stine und hält Ibn die geöffnete Dose hin.

„Ja, denn wir glauben, dass es aus Fäulnis besteht und Blut. Siehst du, was jetzt kommt, ist reines Blut. Nun müssen wir die Blutung stillen. Wenn jemand körperlich schwach ist, so wie Foelke, darf der Aderlass nicht mehr betragen als in ein Ei von gewöhnlicher Größe hineingeht. Denn ein Aderlass, der über das Maß hinaus vorgenommen wird, schwächt den Körper ebenso wie ein heftiger Regenguss die Erde schädigt, wenn er ohne Maßen auf die Erde fällt. Es ist wichtig, dass man nie zu viel Blut abzapft, weil sich sonst das verarmte Blut nicht mehr gegen Seuchen und andere Krankheiten wehren kann."

Ibn gibt Stine den Becher mit dem abgezapften Blut und nimmt eine schütter gewebte Binde aus seiner Messingdose: „Schau, so verbindet man das angeschnittene Gefäß. - Möchtest du nicht in meiner Apotheke helfen?"

Röte schießt in Stines Wangen und sie knickst beschämt, greift verlegen nach dem Beinwickel, um ihn zu erneuern: „Ich glaube nicht, dass ich das kann.“

„Du bist sehr geschickt. Ich denke wohl, dass du das kannst. - Das ist gut so, Stine. Immer, wenn das Tuch warm geworden ist, muss es erneuert werden. - Ich gebe dir Zeit zum Überlegen. Ich glaube, dass Junker Widzelt das sicher nicht ungern sieht. - Wenn das Fieber nun wider Erarten nicht heruntergeht, können wir später noch schröpfen.“

„Ich sollte für sie beten“, sagt sie leise und faltet die Hände.

Die Dürre kommt mit dem Kräutertee zurück und Ibn schickt sie gleich wieder fort, damit sie Zwiebeln hole, denn Zwiebeln hätten die Wirkung einer Arznei.

„Zwiebeln? Zum Essen?“ fragt die Magd fassungslos.

„Das wäre das Beste, aber ich fürchte, dass sie das nicht verträgt. Nein, nicht zum Essen. Ich mache Brei daraus und trage ihn auf die Brust auf.“

Kopfschüttelnd verschwindet die Dürre und Stine zieht sich zum Fenster zurück.

„Fürchtest du dich etwa vor mir, Stine?"

Sie nickt schüchtern: „Ein wenig, Herr.“

„Das musst du nicht. - Ich bin weder Dämon noch Gott, wie manche Leute von mir sagen, eher bin ich ein Prophet des Quecksilbers. Der Arzt, der die Heilkräfte der Wurzeln und Kräuter kennt, kennt auch die Heilkraft von Wasser und Feuer, Stine. – Aber... ich kenne auch die Kraft des Gebetes, genau wie du.“

Das klingt rätselhaft und geheimnisvoll und obwohl er lachend seine schon etwas schadhaften Zähne zeigt, überläuft Stine ein kalter Schauer. Unwillkürlich starrt sie auf ihre künstliche Hand und denkt verängstigt: Das hätte er man nicht sagen sollen, jetzt bin ich wirklich bange.

„Gefällt dir deine neue Hand?" fragt Ibn verbindlich. Er hat ihr nach der Amputation eine Hand aus Holz schnitzen lassen, die sie an den Unterarm geschnallt trägt.

„Schon, nur kann ich damit nicht greifen. Aber es ist besser als mit dem kahlen Stumpf."

„Zeig her, Stine." Behutsam schnallt er die Hand ab. „Sieht gut aus. Ist ausgezeichnet verheilt“, sagt Ibn und streicht sanft über den Stumpf.

Was für weiche Hände er hat!

Behutsam schnallt Ibn die Hand wieder fest.

„Es ist gut, dass du den Schlangenbiss damals so gut überstanden hast, Stine, meinst du das nicht auch? Wenn man die Hand nicht abgenommen hätte, würdest du vermutlich jetzt tot sein.“

Sie schaut ihn nachdenklich an: Sie sagen, er ist ein Sarazene. – Was immer das auch sein mag. - Eigentlich ist er ein schöner Mann, besonders in seinem schwarzen Kapuzenmantel mit dem schwarzen Turban. … Nur diese krumme Nase! Sie schmunzelte und dachte an Ritter Ockos scherzhafte Worte über Ibn: „...wie die Nase des Mannes, so sein Johannes“.

Ibn ist hingerissen von ihr und dem entzückenden Lächeln auf ihren Lippen.

„... damals dachte ich, Wundbrand zu kriegen, weil mir jemand erzählt hat, dass Ihr kein siedendes Öl, sondern nur Wein über die Wunde gegossen habt. Ach ja, nach dem vermaledeiten Schlangenbiss ist alles sehr schnell gegangen. Ich erinnere mich noch, die Hand war in kurzer Zeit unglaublich blau und rot angeschwollen. Sie sah aus wie ein unförmiger Ziegeneuter.

Gott sei Dank hattet Ihr gleich das richtige Werkzeug dabei. Ich habe gerade eben gesehen, es ist heute noch immer dasselbe wie vor Jahren, sogar die schöne Messingdose habt Ihr noch. Auch damals schon waren Verbandszeug und Salben darin."

Ibn lächelt warmherzig: „Ja, beim Anblick der Skalpelle und der Knochensäge bist du vor Entsetzen in Ohnmacht gefallen und wir mussten dich wieder aufwecken, damit wir dir den Sirup einflössen konnten."

„Komisch, dieses Zaubermittel! Irgendwie bin ich plötzlich furchtbar müde geworden und konnte beim besten Willen die Augen nicht mehr aufhalten und als ich wieder aufgewacht bin, hatte ich einen so dick verbundenen Arm, dass ich glaubte, die Hand sei noch dran. Ich meinte sogar, die Finger zu fühlen. War aber nicht so, die vergiftete Hand war weg..."

Stine hält immer noch den Becher mit Foelkes Blut in der Hand.

„Ins Feuer damit!" befiehlt Ibn und entledigt sich seines grauen Kittels, „...und jetzt waschen wir uns die Hände", sagt er und taucht ihre blutverschmierte Hand ins Wasser.

Schön ist das, wie er meine Hand einseift und die Haut reibt, beinahe zärtlich. Da wird einem richtig merkwürdig zumute... Hmm, wie die Seife duftet. Könnt mich dran gewöhnen...

Die Frage, ob es noch weitere Kranke auf dem Schloss gibt, reißt Stine aus ihren Träumen. Sie schüttelt den Kopf.

„Nun geh." - Ibn trocknet ihre Hand. Es kommt ihr so vor, als ob er sie zärtlich streichelt.

„Bei Allah, alles Weitere kann ich allein machen, Stine, doch halt, richte mir bitte noch ein Lager. Ich will bei der Burgfrau wachen und gib mir sofort Bescheid, wenn es noch mehr Kranke gibt.“ Er seufzt erleichtert: „Ich denke, nun kann sie hoffen, alt zu werden."

„Alt werden? Es ist nicht schön, wenn man alt wird. Das Augenlicht läßt nach, man kann nicht mehr richtig hören, nicht laufen, nicht kauen, nicht denken, ja, nicht einmal die Körperausscheidungen lenken. Statt zu Lachen, spuckt man grünen Qualster, der Atem stinkt, die Brust sinkt, die Haut wird fleckig und grau, die Knie wackeln wie Sau. Haare und Zähne fallen aus, die Gelenke schmerzen wie toll und manchmal kotzt man alles voll... Ich glaube, es ist eine Strafe Gottes, wenn man alt wird", bemerkt Stine kritisch, dreht sich um und will gehen, aber dann fügt sie rasch hinzu: „Ja, und beten kann man auch nicht mehr auf Knien und die brüchige Stimme vertreibt Gottes Segen.“

Ibn schaut Stine mit unverholener Überraschung hinterher. Noch lange hört er ihren raschen Schritt, das Klappern ihrer Holzschuhe auf dem Flur.

Aha, deswegen hat sie keine Angst vor der Pest. Stine ist zwar christlich erzogen, und dennoch stimmen wir darin überein: Das Alter ist oft eine quälende Last und der Tod ist nichts weiter als Erlösung aus den irdischen Qualen, er ist das Tor zum Himmel.

Nach drei Tagen ging es Foelke wieder besser und Ibn empfahl Mandelmilch mit Grieß als Krankenspeise, damit sie rasch auf die Beine käme. Ihre Augen waren noch nicht ganz klar, aber ihre Anweisungen trotz des zeitweisen Keuchens recht deutlich:

„Spinelli soll die Mandeln brühen, enthülsen und mit etwas Rosenwasser in einem Mörser mit dem Stößel zerkleinern."

„Ihr solltet Euch nicht überanstrengen, Burgfrau. Meint Ihr nicht, dass der Küchenmeister das selber weiß?" fragte Ibn belustigt.

„Weiß ich nicht, aber wenn man ihm nicht alles haarklein vorschreibt, macht er alles falsch. – Hört: Er muss das Zerkleinerte mit Kuhmilch verrühren und das Gemisch durch ein Seihtuch drücken. Sagt ihm das. Die Mandelmilch muss er dann mit Grieß aufkochen und Weinbeeren drunter rühren. Dazu will ich weißes Brot haben."

Der Arzt lachte herzlich darüber und freute sich über Foelkes neuen Lebensmut.

Bevor Ibn zurück in seine Burgapotheke ging, schaute er noch am Hafen vorbei. Der frische Seewind duftete nach Salz und Jod, Pech und Ferne... Büschel von Strandhafer, Grasnelken, Wundklee, Salzmelde und andere Strandpflanzen durchsetzten den weißen Sand und Seevögel streiften darüber her. Ibn ließ sich seufzend auf die Knie fallen. Nein, beten in aller Öffentlichkeit, das traute er sich nicht, aber auch so konnte er Zwiesprache halten mit Allah. Manchmal, wenn Ibn sich nach seiner Heimat sehnte, dann ging er zum Hafen hinunter und beobachtete die fernen Segel auf dem Meer. Ob er je wieder heimatlichen Boden betreten würde? Ob er sich dort überhaupt wieder zurechtfinden würde? Könnte er dort frei arbeiten, wie in vergangenen Zeiten? - Sein Gelübde war erfüllt, sein Herr weilte ja nun nicht mehr auf Erden... - Hinter ihm rumpelte ein Karren entlang. Interessiert wandte Ibn sich um. – Hm, Mönche auf einem Eselskarren.

Der Eselskarren hielt vor dem Badhaus. Die beiden Mönche sprangen vom Bock. Unter den schweren Schritten der Männer hörte Ibn die splitternden Muschelschalen knirschen, die auf den Sand gestreut waren, um den Weg trockener und beständiger zu machen. Roh stießen sie das Zauntor auf, eilten über den Bohlenweg ins Badhaus. Sie bewegten sich ganz anders als man es von Mönchen gewöhnt war. Am Zaun stand Oda und schaute ihnen neugierig nach.

Schwarzröcke. Wieso gehen die Dominikaner ins Badhaus? Jedes Kloster hat ein eigenes Badhaus, mochte sie wohl denken.

Ibn wartete gespannt. Nach einer Weile kamen die Dominikaner wieder heraus, einen Baderknecht im Schlepp. Der trug einen Sack und einen Strick in der Hand. Freundlich schaute Oda ihnen entgegen, das konnte Ibn unschwer erkennen. Zögerlich traten die drei Männer auf sie zu, die immer noch am Zaun stand, anscheinend gefällig lachte, ehe sie herzhaft in ihren Apfel biss. Die Männer blickten aufmerksam um sich, stockten, bemerkten offenbar den umherlungernden Buttfänger mit dem Korb auf dem Kopf und fingen an zu plaudern – oder taten zumindest so.

Endlich, der Buttfänger war außer Sicht. Nochmals äugten die Mönche nach allen Seiten. Ibn bemerkten sie nicht, seine weiße Djellabah, der weite Kapuzenmantel, tarnte ihn wohl.

Jäh packten die Mönche die junge Frau. Ruckzuck war sie geknebelt und gefesselt. Dann stülpte der Baderknecht ihr den Sack über den Kopf, ehe man sie roh auf den Karren stieß. Die Mönche, so es denn tatsächlich welche waren, sprangen auf den Bock und schlugen so heftig auf den Esel ein, dass dieser sich sofort in Bewegung setzte und den Karren ruckelnd den Sandweg entlang zog...

Eine kurze Weile noch blickte der Baderknecht dem Karren nach, ehe er sich hurtig dem Badhaus zuwandte…

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