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2.3. Neue Zugänge a. Bibelerklärungen ad litteram

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Der Midrasch als StrohhalmR. Josef Qara hat sich als erster ganz explizit gegen die Auslegung auf der Basis des Midrasch* und für eine innerbiblische Textauslegung als Grundlage jeder Auslegung ausgesprochen. Der Midrasch |62|war für ihn der Strohhalm, an dem sich der Ertrinkende festhält. So schreibt er im Kommentar zu 1Sam 1,17:

Aber jeder, der den einfachen Wortsinn eines Verses [peschuto schel miqra] nicht erkennt und sich (gleich) der Midrasch-(Erklärung) einer Phrase zuwendet, gleicht demjenigen, der von einem reißenden Strom fortgespült wird, und [den die] Tiefen des Wassers überfluten, und der sich dann an alles klammert, was ihm in die Hand kommt, um (sich) zu retten …

Insbesondere in seinen Auslegungen zu den prophetischen Büchern finden wir daher kurze, glossenartige Erklärungen, die zunächst einmal dazu gedacht waren, den Bibeltext überhaupt verstehen zu können:

R. Josef Qara zu Joel 1,10Verwüstet wurde das Feld, es trauert der Ackerboden (Joel 1,10a): Dies ist eine von den (stilistischen) Doppelungen, die in ihrem (Vers-)anfang unverständlich sind, aber durch ihre (andere Vers-)hälfte erklärt werden. Wenn (Joel) sagt „Verwüstet wurde das Feld“, so weiß ich nicht, wodurch es verwüstet wurde. Wenn er sagt: „Es trauert der Ackerboden“, weiß ich nicht, weswegen er trauert. Doch die Erklärung (dieser Vershälften findet sich) in ihrer (jeweils komplementären anderen Vers-)hälfte: Das, was ich (vorne) gesagt habe, (nämlich) „Verwüstet wurde das Feld“, (wird hinten mit der Phrase) denn das Korn wurde verwüstet (1,10bα) (erklärt), und (für) das, was ich (vorne) gesagt habe, (nämlich) „Es trauert der Ackerboden“ (findet sich hinten die) Erklärung „Weil der Most vertrocknet ist“ (1,10bβ) (…).

Qara hat die Erklärung von Unklarheiten oder Ungereimtheiten im Bibeltext an eine innerbiblische Auslegung gebunden: Bibeltext wird nur mit Bibeltext erklärt, vor allem in den (Vorderen und Hinteren) Propheten. Dabei macht er seine Hörer auf den parallelismus membrorum* aufmerksam, den diese erkennen sollen, um von dort aus das Verständnis des Verses zu erschließen. Hier geht es also noch gar nicht um die Raffinessen von Auslegungen, sondern zunächst einmal darum, den hebräischen Text durchzuarbeiten und Verständnisschwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Dass dies für die französischsprechenden Juden in Troyes nicht immer leicht war, zeigt der Vergleich zwischen der Erklärung von Qaras letztem Lemma* aus Nah 2,4 (‚werden geschwungen‘) und Raschis Erläuterung zu demselben Wort. Raschi kommentiert mit einer anderen Nuance, die offenbar mehr Hebräisch-, aber vor allem mehr biblisch-rabbinische Sprach- und Quellenkenntnisse voraussetzt:

R. Josef Qara zu Nah 2,4Und die Zypressen werden geschwungen [hor‘alu]: Das sind Lanzen aus Zypressenholz: Das Eisen (der Lanzen) war mit (Schutz-)kleidungen (aus Zypressenholz) umhüllt, bis sie in den Kampf zogen.

Raschi zu Nah 2,4Hor‘alu (Nah 2,4) (bedeutet) ‚sie sind eingewickelt‘. Ähnlich (finden wir es in) ‚die Gehänge, die Ketten und die Schals‘ [ha-re‘alot] (Jes 3,19). Und in der Sprache der Mischna haben wir (den Ausdruck) ‚eingehüllte (arabische Jüdinnen)‘ (vgl. mShab VI,6).

|63|Während Qara eine militärtechnische Erklärung bietet, um den Ausdruck zu erklären (Schutzumhüllung aus Zypressenholz), wählt Raschi eine lexikographische Zugangsweise, die er intertextuell erweitert, indem er innerbiblische und rabbinische Aussagen zitiert. Diese stichwortartigen Notizen kann man sich nicht nur gut als marginale Glosse vorstellen; sie verweisen auch darauf, dass in Raschis Unterricht vielfach nur noch auf rabbinische Überlieferung hingewiesen wurde, um sie dem Hörer wieder ins Gedächtnis zu rufen.

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