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e. Die Anfänge der Historiographie

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Insbesondere anhand der Auslegungen der Vorderen und Hinteren Propheten lassen sich zwischen Raschi und Qara erste wichtige Weichenstellungen beobachten, denn die Ausleger stehen vielfach vor dem Problem, verschiedene Chronologien und Ereignisse, die sowohl in den Vorderen Propheten (den eigentlichen Geschichtsbüchern) als auch in den Prophetenbüchern (Jes, Jer, Ez, Hos–Mal [Zwölfprophetenbuch]) berichtet werden, miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Auch hier zeigt sich wieder, dass es Raschi vielmehr darum geht, aggadische Historiographie mit biblischer Geschichtsschreibung in Einklang zu bringen. Seine chronologischen Berechnungen stützen sich zumeist auf den sog. Seder Olam ([Rabba], einen erzählenden Midrasch* zur biblischen Chronologie, wahrscheinlich aus spätamoräischer* Zeit; vgl. Raschi zu Gen 6,3; 10,25f.; Lev 9,1 u.ö.). Demgegenüber stützt sich R. Josef Qara vornehmlich auf die innerbiblische Quellenauswertung (Qara zu Jos 10,13; Ri 11,26; 1Sam 1,22; 2,27 u.ö.). In seiner Auslegung zu Hos 5,3 rekonstruiert Qara die kult-politische Situation zur Zeit des Nordreichkönigs Hosea ben Ela (732–724; vgl. 2Kön 17) ebenfalls unter Bezugnahme auf den Seder Olam:

R. Josef Qara zu Hos 5,3Fürwahr, nun hast du Hurerei getrieben, Ephraim: Fürwahr, nun wird es (vor) der ganzen Welt offenbar, dass ihr jetzt (wieder) hinaufziehen könntet, ihr aber (weiter) hinter den Kälbern herhurt. Und wisse, dass es (tatsächlich) so war, denn über (König) Hosea, den Sohn Elas, sagt (ein Vers): Und er tat, was in den Augen des Ewigen schlecht war, aber nicht wie die Könige Israels, die vor ihm waren. Gegen ihn zog Salmanasser, der König von Assur, hinauf (2Kön 17,2). Und wir lernten im Seder Olam (SOR 22): Warum musste Israel in den Tagen des (Königs) Hosea, des Sohnes Elas, in die Verbannung gehen? Weil sie bis dahin ihre Verdorbenheit auf die Könige Israels geschoben haben, wonach sie wegen deren Wachen nicht nach Jerusalem hinaufziehen konnten. (Dann) kam (König) Hosea, der Sohn Elas, hob die (Wachen) auf und sagte: „Jeder, der nach Jerusalem hinaufziehen will, möge hinaufziehen“. Aber dennoch zogen sie nicht hinauf.

Hosea ben Ela hatte die Pilgerfahrt nach Jerusalem grundsätzlich ermöglicht, aber die Bewohner des Nordreiches blieben dennoch aus (weil sie weiterhin zu den Heiligtümern in Dan und Bet-El zogen). Hier wird die rabbinische Überlieferung herangezogen, um den geschichtlichen Ablauf bzw. das, was man dafür hielt, im Sinne des littera gesta docet nachzuvollziehen und gleichzeitig das Nordreich, an dem es ohnehin nichts mehr zu entschuldigen gab, gegenüber dem Südreich einmal mehr theologisch zu belasten. Auffällig |71|an den historiographischen Darlegungen der nordfranzösischen Exegeten ist vor allem ihr Bemühen, die ‚verlorenen zehn Stämme‘ in möglichst negativem Licht zu zeichnen, gegen deren dunkle Folie sich das Südreich Juda und die ihm gegebenen Verheißungen besonders positiv abheben. Die moderne Exegese kennzeichnet diese Heilsworte zumeist als spätere judäische Zusätze. Diese exegetische Entlastung Judas kann vielleicht als Versuch gedeutet werden, Juda als Vorläufer des rabbinischen und zeitgenössischen Judentums zu präsentieren, das darin auch möglichen christlichen Anschuldigungen etwas entgegenzusetzen hatte.

Jüdische Bibelauslegung

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