Читать книгу Seine Frau - Hanne-Vibeke Holst - Страница 36

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Sie sind dreizehn bei Tisch, worauf der Gastgeber zwischen der Foie gras und dem gekochten Dorsch mehr als einmal scherzend hinweist. Keiner der Gäste auf der gelinde gesagt überraschenden Gästeliste ist abergläubisch, zumindest lässt keiner durchscheinen, dass er es ist. Abgesehen von seiner Tischdame Linda natürlich, Gerts flatterhafter Frau, die wie üblich redet, wo sie besser schweigen sollte.

»Forderst du das Schicksal heraus, Per?«, fragt sie ihn beispielsweise und legt ihre schmale Hand auf seine. Eigentlich ist er erheblich paranoider, als er meint, so paranoid, dass er, hätte dieses Silvesteressen in einem italienischen Fürstenhof zur Zeit Machiavellis stattgefunden, sowohl für einen Mundschenk als auch für eine schwer bewaffnete Leibgarde gesorgt hätte. Deshalb hört er auch fälschlicherweise eine Betonung auf dem du, sodass die Frage in seinen Ohren lautet: »Forderst du das Schicksal heraus?«, und das in einem Tonfall, der besagt, dass sein Glück aufgebraucht ist, dass gerade er sich nicht der Gefahr aussetzen sollte. Auf die gleiche Weise sieht er plötzlich, während sein Blick auf der Suche nach einer passenden Replik die Runde macht, seine Gäste in schweren Brokat und Velours gekleidet; die Ohren der Frauen mit großen tropfenförmigen Perlen geschmückt; die Männer in Wams und Barett. Wer Freund und wer Feind ist in diesem Szenarium, ist unmöglich auszumachen. Doch dann findet er seine Antwort, blinzelt hinter der Brille und schaut noch einmal über eine nun ganz vertrauenerweckende Gesellschaft von in hohem Grad jüngeren, um nicht zu sagen jungen Menschen, die ihm ihre offenen, noch immer beeindruckten Gesichter zuwenden. Der Einzige, der auf seine Gabel hinunterblickt, ist Gert.

»Ich glaube nicht an das Schicksal, Linda«, antwortet er und hebt sein Glas, indem er eine kleine Kunstpause einlegt. »Ich glaube an harte Arbeit. Sie bringt als Einziges Resultate«, sagt er dann, unmittelbar an die beiden Neugewählten gewandt, den jungen Sune Garde und die noch jüngere und herrlich zielstrebige Liv Busk Sørensen, auf die er zusammen mit dem dritten Neuen in der Gruppe, René Nielsen aus Aalborg, zu setzen gedenkt, wenn er direkt nach den Weihnachtsferien den ersten Teil seines Erneuerungsplans vom Stapel lassen wird. Christina Maribo ist ebenfalls mit von der Partie. Was ihr an politischem Talent fehlt, wird durch ihre grenzenlose Loyalität voll und ganz wettgemacht. Hinzu kommt, dass sie robust wie ein Brauereipferd ist und über eine Energie verfügt, die es fast, fast, mit seiner aufnehmen kann. Ein derartiger Arbeitseifer findet sich nur selten bei Frauen, wie er leider konstatieren muss. Nicht, dass sie faul sind, bestimmt nicht, Frauen sind nur, wie die süße Gitte immer zu sagen pflegte, nicht so monoman in ihrem Zugang zur Arbeit. Für sie gibt es auch noch anderes im Leben, wie er oft belehrt worden ist, und daran ist schließlich nichts auszusetzen. Doch wenn man in der Politik etwas erreichen will, braucht es diese totale Besessenheit, ohne Ablenkungen und ohne Gewissensbisse alles einzusetzen, um sein Ziel zu erreichen.

Dass Charlotte Damgaard, die er heute Abend nach einigen Überlegungen neben Gert gesetzt hat, über diesen Arbeitseifer verfügt, hat er früher bezweifelt. Ihrer Loyalität war er sich auch nicht ganz sicher, während das Talent nicht zur Diskussion stand. Was sie, zuletzt am Vormittag des 11. September dänischer Zeit, beinahe zu Fall gebracht hätte, war ihre Aufmüpfigkeit. Sie war zu weit gegangen, hatte sich wie eine Primadonna aufgeführt, sich geweigert, in ihrer allzu weit gehenden Forderung nach einem Schweinestopp zurückzustecken. Aus diesem Grund – und weil Gert ihren Kopf auf einem silbernen Tablett forderte – sollte sie von ihrem Ministerposten gefeuert und, um bei den morbiden Metaphern zu bleiben, zum Schafott geführt werden, als zwei voneinander unabhängige Ereignisse, das eine geringfügig, das andere von allumfassender Bedeutung, eintrafen.

Kurz vor dem anberaumten Treffen, auf dem die Entlassung effektuiert werden sollte, fiel er die Treppe im Staatsministerium hinunter und landete so unglücklich, dass er sich einen relativ komplizierten Knöchelbruch zuzog, der einen sofortigen orthopädischen Eingriff und einen Gips erforderlich machte. Und so viel er den Leuten auch zumutet, und offenbar hat er ihnen viel zugemutet, wenn man den Klagegesängen glauben darf, die in den Analysen der Medien bezüglich der dänischen Politik für das kommende Jahr laut geworden sind, doch Leute per Telefon zu feuern, das mutet er ihnen nicht zu. Wenn möglich jedenfalls nicht. Deshalb musste die Entlassung warten. Und als er schließlich mehrere Stunden nach der Operation wieder aufwachte, wachte er in eine neue Wirklichkeit mit den schockierenden Nachrichten über die Terroranschläge auf das World Trade Center und das Pentagon auf.

In dieser Situation konnte man natürlich keine Minister verabschieden, da galt es zusammenzustehen. Zusammenhalt zu demonstrieren. Deshalb teilte er ihr kurz mit, dass sie weiter dabei war, wenn sie das wolle. Das wollte sie, und das Wunder geschah, das musste selbst Gert zugeben, aus der Ente wurde ein Schwan. Vor ihren Augen. Charlotte Damgaard wuchs mit der Verantwortung, von Tag eins an.

Ob der Schock sie einlenken und nichts sagen ließ, als die Presse inmitten des Ganzen ihren Kommentar zu den »Verlautbarungen« hören wollte, dass sie hatte entlassen werden sollen, weiß er noch immer nicht. Er hatte lediglich konstatieren können, dass sie sich zum ersten Mal, seit sie Mitglied des Regierungskollektivs geworden war, wie ein Teil dieses Teams verhielt. Sie unterstützte hundertprozentig seine Autorität, die glücklicherweise nicht dadurch unterminiert wurde, dass er wochenlang auf Krücken herumhumpeln musste. Wie ihre Kollegen fand sie ihren Platz im Maschinenraum, wo sie loyal ihrer Aufgabe nachging und offensichtlich verstanden hatte, was es heißt, mit einer Verantwortung betraut worden zu sein. Mit Zufriedenheit stellte er fest, dass auch sie von dem altruistischen Pflichtgefühl erfüllt war, das die Feuerwehrleute in New York unter Einsatz des eigenen Lebens heroische Heldentaten vollbringen ließ. Weder Charlotte Damgaard noch ihre Mitarbeiter im Umweltministerium schonten sich in diesen ersten intensiven Krisenwochen, in denen er ihr die Aufgabe übertrug, die sektorenübergreifende Taskforce zu leiten, deren Ziel es war, ein Bioterrorismusbewusstsein aufzubauen. Eigentlich fiel das ins Ressort des Gesundheitsministers, doch da Charlotte noch vor 9/11 als Erste den Begriff »Bioterrorismus« eingeführt hatte und darauf verweisen konnte, dass sie ihr Ministerium schon vor einigen Monaten gebeten hatte, zu dem Risiko eines genau solchen Angriffs Stellung zu nehmen, war sie allen ein Stück voraus, weshalb er den entrüsteten Protest des Gesundheitsministers überhörte und auf Charlotte setzte.

So kam sie von der kältesten Kälte in die wärmste Wärme, was symbolisch noch dadurch unterstrichen wurde, dass er sie in der darauffolgenden Zeit oft als seine Sekundantin auswählte, wenn beruhigende Pressekonferenzen zu möglichen Funden von Milzbranderregern im Postterminal, kursierenden Märchen über eine Vergiftung des Wasserreservoirs Groß-Kopenhagens und Geständnissen über gestohlene Pockenviren abgehalten wurden. Dass Pulverpanik und Untergangsangst die Bevölkerung nicht total verunsicherten, musste zu Recht auch Charlotte zur Ehre angerechnet werden. Denn ohne die Angst der Bevölkerung zu unterschätzen, gelang es ihr, die Hysterie zu dämpfen, indem sie sich sachlich und kompetent zu den Gefahren äußerte, die im kollektiven Unterbewussten phantomartige Formen anzunehmen begannen. Und dann kam sie mit diesem »typischen Charlotte-Stunt«, wie ihre Fans das nannten. Als sie genau wie mehrere andere Politiker einen anonymen Brief mit einem weißen Pulver bekam, wurde dieser verfahrensmäßig zur Analyse ins Seruminstitut weitergeschickt, doch als der Milzbrandtest negativ ausfiel, bekam sie ihn zurück, brachte ihn mit auf die Pressekonferenz, lutschte einen in das Pulver getauchten Finger ab und teilte mit, dass er nach Puderzucker schmeckte. »Warum? Weil das Puderzucker ist

Das erlösende Lachen breitete sich von ihm selbst auf das versammelte Pressekorps im Spiegelsaal aus und weiter auf ein paar Millionen Fernsehzuschauer, die dankbar die Brücke zur Vernunft betraten, die sie für sie gebaut hatte. So begann zu mancher Bedauern Charlottes absteigender Stern am Medienhimmel wieder zu steigen, selbst der Begriff »Kronprinzessin« wurde erneut blank geputzt. Und da Per Vittrup den Meinungsumfragen zufolge noch nie so populär gewesen war wie in diesem turbulenten Herbst und es deshalb nicht länger undenkbar war, dass er auch der nächste Staatsminister werden könnte, gab es bereits Spekulationen über »das neue Paar in der dänischen Politik«. Ja, ein Zeitungszeichner stellte sie sogar wie zwei bekannte Comic-Figuren dar. Über diese Zeichnung lachte er selbst am lautesten, und auch Charlotte schien sie so zu verstehen, wie sie gemeint war. Als Zeichen von Popularität oder zumindest Bekanntheit, ohne das kein moderner Politiker leben kann. Während des Wahlkampfs förderte er sie hemmungslos; sie und nicht Christina wählte er als »die Vertreterin der jüngeren Generation« für die Parteiwerbung im Fernsehen, und obwohl sie wahrscheinlich auch ohne seine Unterstützung gewählt worden wäre, meint er in aller Bescheidenheit, einen Teil der Ehre an den ungefähr fünfzehntausend persönlichen Stimmen zu verdienen, mit denen sie ins Folketing gesurft ist. Nicht, dass er aus diesem Grund lebenslange Dankbarkeit erwartet oder verlangt, weit entfernt. Aber er findet schon, dass sie sich in den letzten Monaten so nahe gekommen sind, dass er sie als eine der Seinen bezeichnen kann. Alles in allem schuldet sie ihm – und, okay, Meyer – sowohl ihre Position als auch ihren Posten.

Sein umherschweifender Blick verweilt auf Charlotte. Sie und Gert helfen gerade ihrer kleinen Tochter, Johanne heißt sie wohl, eine Tischrakete zu zünden. Der Zwillingsbruder ist nicht so vorwitzig wie seine Schwester, aber doch neugierig genug, dass er hinter Gerts Rücken, hinter dem er Schutz gesucht hat, hervorguckt.

»Seid ihr bereit?«, fragt Gert und zündet ein Streichholz an. Der Junge hat sich die Finger in die Ohren gesteckt, doch das Mädchen müssen sie fortziehen, damit sie sich nicht die Nase verbrennt.

Paff macht es, als die farbige Papierfüllung herausschießt und auf den Tisch hinunterrieselt. Das Mädchen lacht laut, und auch der Junge lächelt.

»Willst du es auch mal versuchen, Jens?«, fragt Gert, und zu seiner Verblüffung erlebt Per Vittrup jetzt diesen Mann, von dem er in keiner Weise gedacht hätte, dass er bei Kindern ankommt, wie er einen furchtsamen Jungen bis ganz an die Tischkante lockt, um dort, geführt von Gerts Hand, eine weitere Tischrakete zu zünden.

»Ich auch!« Das Mädchen hüpft auf und ab, und obwohl Charlotte zu intervenieren versucht, lächelt Gert sie großväterlich an und sagt, »Natürlich! Du auch!«, und wiederholt den Prozess von Anfang an bis zum lauten Jubel der Kinder. Charlotte klatscht in die Hände und lacht, tauscht lächelnd Blicke mit Thomas, dem Vater der Kinder, und selbst Linda, die in ihrer Ehe bestimmt nicht viel Grund zum Lächeln hat, sieht ihren Mann mit einem fast verliebten Blick an. Per Vittrup weiß ganz genau, wie lächerlich das ist. Aber es muss eine Art Eifersucht sein, die ihm einen Stich ins Herz versetzt und ihn nach einem nicht aufgeblasenen Ballon greifen lässt, den er hin und her schwenkt.

»Es gibt auch noch Ballons, Kinder!«

Linda dreht sich langsam zu ihm um und misst ihn mit diesem ganz speziellen, alles durchschauenden Blick, mit dem nur sie – und Gitte – ihn ansehen können.

»Und Luftschlangen, Per!«, sagt sie und pustet eine gelbe Luftschlange in einer Spirale über seinem Kopf aus. »Hast du nicht auch noch ein paar Karnevalshüte?«

Seine Frau

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