Читать книгу Seine Frau - Hanne-Vibeke Holst - Страница 38
ОглавлениеPers junge Gäste haben bereits einen Platz auf der Stufenleiter erreicht, wo man sich nicht um den Abwasch kümmert. Darum, wer ihn macht. Oder wer den Tisch abräumt, die Dorschreste in den Abfalleimer wirft, die Teller von Eiresten und Senfsauce säubert. Diese Art von niederen Arbeiten, die junge, vorwärts strebende Menschen nur kurzfristig übernehmen, um die mageren Studienjahre zu finanzieren, bevor die fetten Akademikerjobs auf sie warten. Bin ich verbittert? Vielleicht ein wenig eifersüchtig? Weil nicht ich mit achtundzwanzig einen Platz im engsten Kreis des Hofes bekommen habe? Weil ich nicht einmal geglaubt habe, dass das jemals passieren könnte? Das ist die Geißel der Arbeiterklasse – dass du zu wenig erwartest. Wir setzen die Latte zu niedrig an. Aus Selbstschutz, um nicht enttäuscht zu werden, falls es nicht gelingen sollte. Nach oben zu kommen.
Scheiß drauf, es passt mir ganz ausgezeichnet, hier in Pers minimalistischer Bulthaup-Küche zu stehen, die diese kühle Exhexe, Gitte Bæk, hat installieren lassen, und wie einer der beiden Trottel in Lars von Triers Das Hospital der Geister den Abwasch zu machen. Hier kann ich mit hautschonenden Gummihandschuhen stehen, denn trotz allem gibt es so ein Paar ganz ordinäre, gelbe unter dem doppelten Industriespülbecken, und auf einfältige Weise die Kluge spielen. Zu Anfang sind wir allein, Per und ich, was mir vorzüglich passt, denn wir haben uns lange nicht mehr unterhalten, und er macht, ehrlich gesagt, einen etwas mitgenommenen Eindruck hinter der fröhlichen Partylaune. Ein bisschen quält mich auch mein schlechtes Gewissen wegen meiner Bemerkung mit den Karnevalshüten.
»Nun, wie sieht es aus?«, leite ich unser Gespräch ein, während er über die Spülmaschine gebeugt steht. »Alles im grünen Bereich?«
Meine Absicht ist, ihn zum Sprechen zu bringen, über all das, worüber niemand spricht. Über Gitte, die ihn mitten in dem ganzen Dilemma verlassen hat. Über das angestrengte Verhältnis zu seinen scheißverwöhnten erwachsenen Kindern. Über die Wohnung, in der leere Flächen an den Wänden und Lücken im Regal davon tratschen, dass eine aufreibende Teilung des Mobiliars im Gang ist. Über Per »ganz privat«, wie es immer in den Zeitschriften heißt. Warum zum Teufel trägt er noch immer seinen Ehering? Der Vogel ist davongeflogen, das wissen alle! Bildet er sich etwa ein, dass er ins Nest zurückkommt? Doch mein Versuch, vertraulich zu sein, ist vergebens. Natürlich weicht er mir aus. Das tun sie alle.
»Mir geht es gut, aber um die Nation mache ich mir Sorgen«, antwortet er und legt das Gesicht in ernste Falten. Er kann das gut, diese landesväterliche Sorge, vielleicht weil sein Gesicht so fleischig ist, dass es wirklich etwas zum Modellieren hergibt. »Glaub mir, wer den Ernst der Lage noch immer nicht begriffen hat, wird morgen ein unsanftes Aufwachen erleben.«
»Du denkst an die Neujahrsansprache?«, frage ich; ich habe ihn früher am Abend seine düsteren Prophezeiungen lüften hören.
»Hmm«, nickt er und schiebt den Unterkiefer vor. »Das wird richtig brutal, heißt es. Und das Schlimmste ist, dass sie es auch so meinen. Sie werden Dänemark zu einem Minimalstaat machen. Du hast gehört, dass sie dreiunddreißig Spindoktoren eingestellt haben, von denen viele von der bürgerlichen Presse kommen? Die politische Redaktion der Jyllands-Posten ist wie leer gefegt. Kein Wunder, dass wir diese Wahl verloren haben. Alles, was wir gesagt oder getan haben, wurde schließlich verdreht!«
»Ja, aber ...«, wende ich ein, während ich Teller abspüle.
»Und so wird es auch die nächsten vier Jahre bleiben. Die Zeitungen sind so regierungsfreundlich, dass es bald an die alte Sowjetunion erinnert.«
Per starrt mutlos vor sich hin. Er füllt nicht länger die Spülmaschine.
»Weißt du was, Linda«, sagt er und dreht sich zu mir um. »Du und ich, wir verstehen, was das bedeutet. Es ist ja nicht nur die Sahne, die sie vom Kuchen kratzen, nicht? Es ist die ganze Menschlichkeit. Die Anständigkeit, der Respekt vor den Schwächsten. Du kannst meinen guten Freund Tony Blair fragen, was elf neoliberalistische Jahre mit der Thatcher-Regierung gekostet haben. An menschlichen Tragödien. Hat man die Menschen erst einmal gebrochen, stehen sie nicht mehr auf. Hat man ihnen erst einmal den Glauben genommen, bekommen sie ihn nicht mehr zurück. Das ist nicht wieder gutzumachen, Linda. Verstehst du, das Schlimmste ist, wenn die Glut erstickt. Wenn keine Hoffnung mehr in den Augen ist ... Es ist diese Hoffnung, die wir festhalten müssen, Linda. Verstehst du, was ich meine? Wir müssen ihnen zeigen, dass wir sie nicht im Stich lassen!«
Wenn Gert hier wäre, würde er auf dem Absatz kehrtmachen und die Küche verlassen. Er kann es nicht ausstehen, wenn Per anfängt, sich zu wiederholen. Doch die jungen Genossen, die nach und nach auftauchen und zu dem Publikum werden, ohne das er nicht auskommt, werden sichtlich von seinem Engagement angesteckt. Das ist es, was Per kann und Gert nicht: Er kann eine Stimmung schüren. Auf einem Bierkasten auf dem Enghave Plads stehen und die Leute zum Jubeln und Klatschen bringen, dazu bringen, sozialdemokratisch zu wählen. Oder richtiger, das konnte er. Damals, als sie ihm noch zugehört haben.
»Ja, und wie zeigen wir ihnen das, Per?«, ertönt plötzlich Charlotte Damgaards durchdringende Stimme, deren Ton jetzt etwas nordjütischer ist als sonst. »Kann ich irgendwie helfen?«, fragt sie dann, an mich gerichtet. Vermutlich nur eine rituelle Frage, aber ich bin froh, überhaupt bemerkt zu werden. Mit Aufmerksamkeit werde ich nicht gerade verwöhnt, auch nicht auf Pers Silvesterpartys. Und obwohl die Gästeliste in diesem Jahr etwas merkwürdig ist, sowohl was die Anwesenden als auch die Nichtanwesenden angeht, muss ich zugeben, dass ich nicht viele der üblichen Gäste vermisse. Weder bei den Herren noch bei den Damen.
Doch wenn die Gästeliste widerspiegelt, womit Per in der nächsten Zukunft zu tun haben wird, besteht Grund zur Sorge. Für ihn. Gert dagegen kann sich ruhig zurücklehnen. Auch das wird a piece of cake.
»Nein, danke, es ist einfacher, wenn ich es allein mache«, antworte ich Charlotte Damgaard, deren kleidsamer Rausch sie noch weiter in meiner Achtung steigen lässt. Die anderen sind langweilig puritanisch, mehrere von ihnen sind zu Mineralwasser übergegangen. Gert mag Charlotte nicht, deshalb mag ich sie offiziell auch nicht, doch im Geheimen ist sie diejenige, der ich während des Wahlkampfs am meisten die Daumen gedrückt habe. Während Gert über ihre jungen Wahlhelfer aus Amager vor Wut geschnaubt hat, Zickenclique nennen sie sich, war ich voller Bewunderung. Allein der Name ihrer Homepage, www.männersind-schweine.dk, hebt die Laune. Meine Sympathie habe ich niemandem verraten und tue es auch jetzt nicht, als ich mit den gelben Gummihandschuhen und Gittes zurückgelassener und fast neuer Amokka-Schürze demütig wie Aschenputtel am Spülbecken stehe und mit der Arbeit fortfahre, während die Diskussion hinter mir weitergeht.
»Es ist nämlich so, Charlotte! Wir müssen zeigen, dass wir noch da sind!«, kommt es eifrig von Per, der die Spülmaschine inzwischen sich selbst überlassen hat, die ich jetzt, wo ich die Teller abgewaschen habe, einräume. Töpfe und Pfannen werde ich anschließend schrubben. Meine Promillegrenze, bis zu der ich gut funktioniere, ist hoch, sodass mir die paar Gläser heute Abend keine Probleme machen.
»Okay«, sagt Charlotte. »Es ist auch super, den Leuten die Hände zu schütteln und mit Rentnern in Herlev zu reden. Ganz bestimmt. Aber wir müssen wirklich bald formulieren, warum wir die Wahl verloren haben! Tun wir das nicht, können wir die nächste nicht gewinnen, richtig?«
Ich brauche mich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass die jungen Genossen jetzt Blicke wechseln und das Gewicht unruhig von einem Fuß auf den anderen verlagern. Natürlich haben auch sie das diskutiert – aber man kann schließlich nicht den Gastgeber brüskieren, indem man ihm offen ins Gesicht sagt, dass die Niederlage vor allem seiner Person zuzuschreiben ist. Vielleicht glauben sie das auch nicht. Vielleicht hat er sie bereits dazu gebracht, an die bürgerliche Medienmauer und den ultraliberalen Wolf im Schafspelz zu glauben, den man erst durchschauen wird, wenn er morgen Abend seine Neujahrsansprache gehalten und mit einem Happs alle kleinen Lämmer verschlungen hat.
Es besteht auch kein Grund, die Arbeit zu unterbrechen, sich umzudrehen und Per anzusehen, während er den Fragen der Xanthippe ausweicht, indem er sich über die komplexen Zusammenhänge auslässt, die nicht auf eine eindeutige Erklärung reduziert werden können, abgesehen davon, dass wir natürlich erkennen müssen, dass wir zu der Integrationsfrage allzu vage Stellung bezogen haben. Und so weiter. Rasend langweilig, und Charlotte hat auch nicht die Geduld, ihm bis zu Ende zuzuhören, stattdessen wendet sie sich noch einmal an mich.
»Was meinst du, Linda? Du hast so viele Jahre als Beobachterin zugesehen, wie kommen wir wieder aus dem Sumpf heraus?«
Es wird totenstill. Sowohl in der Küche als auch in mir. Niemand fragt mich sonst nach meiner Meinung. In den vielen Jahren, die ich mit einem Minister verheiratet bin, ist das, glaube ich, noch nie vorgekommen. Ich habe es mir abgewöhnt, Meinungen zu haben. Ich übernehme einfach Gerts, das ist am sichersten. Jedenfalls nach außen hin. Früher habe ich mir oft Probleme eingehandelt, weil ich den Mund nicht halten konnte und mich partout in Dinge einmischen musste, »von denen ich nichts verstehe«. Deshalb beziehe ich nicht länger Stellung, beobachte nur, verhalte mich still und denke mir das Meine. Doch jetzt ist es, als würde ein trockener Ast in einem leisen Wald geknickt und die Stille plötzlich zerbrochen. Sie, Charlotte, ist ein Eindringling, und das mag ich an ihr. Ich lasse die Spülbürste ins Becken fallen und stelle das laufende Wasser ab, während mir das Herz in der Brust hämmert wie vor einer wichtigen Präsentation. Langsam drehe ich mich zu dem großen Mädchen mit dem markanten Gesicht und dem beharrlichen Blick um und befeuchte die Lippen, während ich wie eine Verrückte darüber nachdenke, was ich sagen soll.
»Ich meine«, beginne ich und merke, wie Pers Antennen auf mich gerichtet sind. Glaubt er auch, dass ich Gerts Bauchrednerpuppe bin? Dass das, was ich jetzt sage, klingen wird, als würde Gert selbst reden? Gert, der zurzeit klug genug ist, sich an seine Zahlen und Berechnungen zu halten und ansonsten so wenig wie möglich zu sagen?
»Ich meine«, fahre ich fort und überlasse mich dem freien Fall. »Ich meine, Männer-sind-Schweine und dass es von deiner Art mehr geben sollte!«
Niemand scheint zu begreifen, wie großartig, wie grenzüberschreitend das ist, was ich gerade getan habe. Denn alle lachen laut, am lautesten Charlotte, die darüber hinaus noch pfeift, vielleicht um ihre Verlegenheit über ein so vorbehaltloses Lob zu überspielen. Per lacht ächzend mit, was sollte er auch sonst tun, doch als das Lachen verebbt ist, legt er den Kopf schräg.
»Das meinst du nicht, oder? Du meinst nicht, dass alle Männer Schweine sind?«
»Kein Kommentar«, sage ich und drehe wieder den Wasserhahn auf, während es warm in meinem Bauch brodelt und erneut Gelächter hinter mir erklingt.