Читать книгу Wie ein Engel auf Erden - Hannelore Kleinschmid - Страница 14
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ОглавлениеEs regnete, als wir vor der Haustür anlangten. Ich schnaufte vor Anstrengung. Dass wir ungesehen in die Wohnung kamen, war mir nur recht. Meine zwei Zimmer waren noch immer alptraumhaft vollgeräumt. Ich öffnete ein Fenster, um zu lüften. Mein Gast roch nicht nach Veilchen. Hätte ich je Zweifel gehabt, ob mein Riechorgan das Koma unbeschadet überstanden hatte, so wären sie jetzt beseitigt worden.
"Wasredstedennnich?" motzte er. "Wassolltichdennmitkomm?" Er wurde unruhig. Ich vermutete, dass es an der ordentlichen spießbürgerlichen Wohnung lag.
Auf dem Küchenregal fand ich Zettel und Stift. Für Einkaufslisten in der ehemaligen Zeit waren sie gedacht gewesen. Ich schrieb auf, dass ich seit einer Krankheit stumm sei und heute nicht allein sein wolle.
Er nickte mir zu: "HasteStoff?" Nun nickte ich, obschon ich nicht sicher sein konnte, dass sich die Flaschen nach meiner langen Abwesenheit am alten Platz befanden und er keinen anderen Stoff als den flüssigen meinte. Noch ein Zettel musste her, nachdem ich genickt hatte.
Bitte zuerst baden ! schrieb ich auf und malte ein weiteres Bitte ! dazu. Ich brachte den Mann ins Bad. Dort registrierte ich, dass Karin an alles gedacht hatte. Ein Ölradiator stand in dem engen Raum. Auch im Wohnzimmer befand sich ein solches Heizgerät, das zu DDR-Zeiten von Westverwandtschaft gespendet wurde. Die volkseigene Wirtschaft sah aus Gründen der Stromersparnis von einer Produktion ab.
Der Besucher badete, während ich Jacke und Mütze ablegte. Die Sonnenbrille vertauschte ich mit dem Alltagsmonstrum. Beim Rauschen des Wassers spähte ich in das Wohnzimmerbuffet, in dem sich meine Minibar befunden hatte. Wie erwartet, standen dort einige Flaschen. Auch den Kühlschrank hatte Karin gefüllt. Ich war gerührt. Freilich konnte das vom Rotwein kommen.
Ich deckte den Couchtisch, der von der Sitzgarnitur eingeklemmt wurde, mit ein wenig zu essen und viel zu trinken. Dabei nahm ich mir vor, über meinen Alkoholspiegel zu wachen.
Der Mann soff und redete, als müsse er mit Letzterem Karin Konkurrenz machen. Obwohl mir der Wein schmeckte und ich mich in die Sofaecke kuschelte, ging mir der Wortstrom, der sich feucht aus seinem Munde ergoss, auf die Nerven.
Meinen Vorsatz fest im Kopf, das Leben genießen zu wollen, ging ich ins Bad und kramte in dem Schränkchen, das mir als Hausapotheke diente. Ein bisschen alt, dachte ich, als ich eine Packung mit harmlosen Purdorm aus DDR-Zeiten, hervorholte. Ich wusste, dass man sich mit diesem Schlafmittel nicht umbringen kann. Verwundert beobachtete ich, was ich tat. In einem Wasserglas löste ich einige Tabletten auf und übergoss sie beim Weg zurück zur Couch mit einer echt sowjetischen Portion Wodka. Ich hatte mich noch nicht von der Sowjetunion verabschiedet, obgleich es sie nicht mehr gab. So dachte ich das Wort „sowjetisch“ statt „russisch“.
Mein Gast nahm den Trank und schüttete ihn hinunter, ohne zu schlucken.
Wortlos, aber auch gedankenlos verfolgte ich, wie ihn der Schlaf übermannte. Den Versuch, ihn durch meinen Möbelkramladen aufs Bett zu schleppen, gab ich schnell auf. Ich begnügte mich mit der Couch. Zuerst räumte ich den Couchtisch leer, damit nicht ungeschickte Bewegungen Scherben verursachten. Dann zog ich den Mann aus. Dabei rümpfte ich die Nase, als ich seine Hosen bewegte. Dass er schnarchte, störte mich nicht. Früher hatte mich die Sägerei anderer gestört, obgleich ich selbst ausgemeckert wurde, wenn ich neben jemandem schlief. Was selten genug geschah. Höchstens bei Klassenfahrten. Dass ich schnarchte, war mir unangenehm, aber ich konnte wie alle Leidensgenossen nichts dagegen tun.
Der nackte Säufer war im Schlaf impotent. Was ich erwartet hatte, weiß ich nicht. Ich verging mich an ihm, so gut ich konnte. Noch war meine Phantasie begrenzt. Die geringe Erfahrung engte meine Möglichkeiten ein. Aber ich fühlte mich gut und besser und wurde wilder. Ich presste meinen Körper auf seinen.
Draußen wurde es Nacht. Ich hätte ins weiße Zimmer zurückkehren müssen. Doch ich war anderweitig beschäftigt! Meine lustvollen gymnastischen Übungen währten eine ganze Weile. Müde und befriedigt zog ich mich schließlich in mein Bett zurück, ohne auf die Uhr zu sehen oder an die wartende Schwester zu denken. Ich dachte nicht einmal daran, wie unglücklich ich auf dieser Matratze gewesen sein musste, als ich mir das Leben nehmen wollte.
Gegen das Eindringen der Welt stopfte ich mir Watte in die Ohren und schlief augenblicklich ein.