Читать книгу Wie ein Engel auf Erden - Hannelore Kleinschmid - Страница 20

19.

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Am nächsten Morgen war ich erstaunlich ruhig. Gelassen, geradezu kalt, sah ich den kommenden Ereignissen entgegen. Als Fingerzeig eines gutmeinenden Schicksals erschien mir die Möglichkeit, auf alle Fragen zu schweigen. Hundertprozentig - dessen war ich sicher – wussten die Medizinmänner noch immer nicht, ob mein Kopf normal funktionierte. Der Verlust der Sprache deutete auf eine Schädigung hin. Befriedigt nahm ich den Schutz an, den mir das Schweigen bot.

Aber zunächst geschah außer der täglichen Routine nichts Nennenswertes. Allein meine Phantasie beschäftigte sich mit dem Mann auf der Couch. Dabei gelang es mir, an seine beglückende Stelle, nicht jedoch an meine rote Rage und deren Folgen zu denken.

In seiner Denk- und Funktionsweise ist der Mensch ein Wunder. Wunderbar klammert er aus, was er verdrängen muss, um Ruhe zu finden. Nach der Visite, die ablief, als werde ein alter Film wiederholt, kleidete ich mich an. Raffiniert suchte ich unter den Kleidungsstücken, die Karin mir gebracht hatte, farbenfrohe aus. Farbenfroh bedeutete in meinem Kleiderschrank Beige und Grau, Dunkelgrün und -blau, Braun und Violett. Ich wählte Jacke und Hose in Beige und eine dunkelgrüne Bluse aus. Warum ich mich anzog, wusste ich nicht. Ich tat es einfach. Während ich mich kämmte, klopfte es an der Tür. Nachdem er EinsZweiDrei gezählt hatte, trat der Oberarzt mit einem munteren Guten Morgen ein. Ich nickte lächelnd.

"Oh" sagte er, "Sie haben das Bett verlassen und sich angekleidet. Unsere Absichten stimmen offenbar überein. Wir haben nämlich beschlossen, dass wir Sie entlassen, wenn Sie einverstanden sind. Sie gehen nach Hause und probieren das normale Leben. Falls es Schwierigkeiten gibt, dürfen Sie jederzeit zu uns kommen. Unbürokratisch und schnell nehmen wir Sie dann auf. Wie finden Sie die Idee?" Er merkte, dass er die Frage falsch gestellt hatte. Also fragte er: "Sind Sie einverstanden?"

Mir lief es bei dem Gedanken, meine Wohnung zu betreten, kalt den Rücken hinunter. Doch ein Kopfschütteln könnte mich verdächtig machen. So nickte ich. "Also einverstanden!" sagte er und war's zufrieden. Ich zog die Stirn in Falten und zeigte auf meine Utensilien im Schrank.

"Hm," sagte er, "wir können Ihre Freundin anrufen, oder wollen Sie warten, bis sie Feierabend hat?" Ich nickte. "Sie wollen warten?" versicherte er sich.

Wieder nickte ich.

"Na, dann auf Wiedersehen bis später." sagte er freundlich und ging.

Mir war wirr im Kopf. Kein vernünftiger Gedanke ließ sich festhalten. Das würde ein aufregender Spätnachmittag werden. Angezogen legte ich mich aufs Bett. Kurz bevor gegen elf Uhr das Mittagessen serviert wurde, klopfte es hastig, und hastig wurde die Tür vom Vormüllerchen aufgerissen. "GutenTagEntschuldigung!" rief er. "Sie wollten mir doch Bescheid geben, ob wir gemeinsam zur Konferenz fahren. Ich hörte, Sie werden noch heute entlassen.“

Ich nickte und musste aufpassen, dass meine Miene die abschweifenden Gedanken nicht verriet. Er nahm es für ein Ja zu meinem Auftritt als Versuchskaninchen und verließ zufrieden das Zimmer.

Erstaunlicherweise gelang es mir, die Stockschläge und den leblosen Mann weitgehend aus meinem Denken zu vertreiben und mir stattdessen Angenehmes, zum Beispiel den jungen Holger Vormüller, vorzustellen. Nach dem Mittagessen schlief ich sogar den Schlaf, der gern als Schlaf der Gerechten bezeichnet wird.

Als Karin auf der Bildfläche erschien, war sie bereits von der Stationsschwester informiert worden. Ohne Luft zu holen, fragte sie mich, ob ich schon gepackt hätte und mit zu ihnen kommen wolle. Mir erschien es lächerlich, erst zu nicken und anschließend sofort den Kopf zu schütteln, also sah ich sie einfach an, bis sie begriff.

"Möchtest du, um nicht allein zu sein, die erste Nacht bei uns verbringen?" artikulierte sie beleidigend deutlich. Nun konnte ich den Kopf schütteln. Ich hatte ein Zettelchen vorbereitet, das ich ihr hinhielt.

BITTE, WIE BEKOMME ICH GELD?

LEIDER HABE ICH DEN WOHNUNGSSCHLÜSSEL VERLOREN.

TUT MIR LEID!

stand darauf.

Wie ein Engel auf Erden

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