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Es klopfte. Da ich nicht herein sagte, was das Personal im Krankenhaus wusste, zählten alle offenbar immer bis drei oder vier, bevor sie die Tür öffneten. So geschah es auch diesmal. Hereintrat der junge Arzt im Praktikum, dessen Anblick mich erfreute. Also fiel es mir nicht schwer, mich aus meinen Träumen zu reißen.

Schlank und muskulös, hielt sich der Jungmediziner, was bei großgewachsenen Personen selten der Fall ist, ausgesprochen gerade. Spräche ich, fragte ich ihn, ob sein Vater ihm auch immer den Gehstock auf dem Rücken quer durch die angewinkelten Arme geschoben und "Geh gerade!" verlangt habe. Für mich war das eine Tortur gewesen, die mir bis heute Spaziergänge verleidet. Gebracht hat sie nichts, weil mein gekrümmter Rücken nicht durch Nachlässigkeit, sondern durch den Scheuermann bedingt ist. Als praktischer Arzt hätte mein Vater verformte Wirbel in Betracht ziehen sollen. Aber ich spürte sowieso, dass die Quälerei mehr mit seiner Enttäuschung zu tun hatte, nur eine Tochter statt eines Sohnes gezeugt zu haben, als mit meiner Körperhaltung.

Der junge Arzt erschien mir als Musterbeispiel seines Berufsstandes. Aus blauen Augen blickte er die Patienten ernsthaft an und erweckte den seltenen Eindruck, zuhören zu können. Allerdings war ich unfähig, das auszuprobieren.

Als ich wieder schreiben konnte, notierte ich jeden Tag zwei bis drei Fragen für die Ärzte und Physiotherapeuten. Nach dem täglichen „Wie-geht-es-uns-denn-heute?“, das ich mit Schütteln oder Nicken beantworten durfte, ohne dass je eine Reaktion darauf erfolgte, wurden im weißen Kreis ein paar Wortfetzen gewechselt, die ich nie verstand. Letzteres ist ärztliche Gepflogenheit und hatte nichts mit dem Zustand meiner Ohren oder meines Gehirns zu tun. Manchmal gelang es mir, den Zettel in eine Ärzte- oder Pflegerhand zu drücken und auf die erste Frage einen schnellen Satz zu hören.

In den Zeitungen standen Überschriften, einen Gesundheitsminister Seehofer und seine Reformen betreffend. Von Kostendämpfung war die Rede, und dass alles viel zu teuer sei. Wenn die wöchentliche Reha-Visite an meinem Bett vorbeihastete, überlegte ich, warum das teuer sein sollte. Für diesen mir unbekannten Minister beeilte sich das medizinische Personal jedenfalls aus Leibeskräften.

Holger Vormüller schien anders zu sein. Die misstrauische Stimme in meinem Hinterkopf warf ein: Noch ist er anders! Wird er ein richtiger Doktor, lernt er das Vorbeihasten schnell.

Jetzt aber trat der schöne Medizinmann an mein Bett und blickte schüchtern, woraufhin ich in seine markanten Züge unter dem blonden lockigen Haar lächelte, um ihn zu ermutigen.

"Liebe Frau Blaugrün," begann er, "ich habe da ein Anliegen." Das hatte ich mir gedacht, war jedoch in der glücklichen Lage, mich mit schlichtem Weiterlächeln begnügen zu können.

"Sie haben sicherlich vernommen, dass Ihr Erwachen aus dem Koma an ein Wunder grenzt, noch dazu, wo Sie offensichtlich kaum Ausfallerscheinungen haben. Natürlich macht der vorübergehende Verlust der Sprache Ihnen zu schaffen."

Ein netter Junge, dachte ich, was weiß er schon vom Leben und noch dazu von einem zweiten Leben!

„Ich schreibe meine Doktorarbeit, und der Zufall will es, dass ich mir das Thema gewählt habe, inwieweit das menschliche Gehirn dazu in der Lage ist, ausgefallene Funktionen zu ersetzen. Mal vereinfacht gesagt."

Dazu dachte ich keinen Kommentar, sondern ahnte, was folgen würde. Immerhin hatte man mir bereits mehr als einen Fragebogen vorgelesen, und ich hatte mit Kopfnicken oder -schütteln geantwortet, nachdem ich so wunderbar erwacht war und dadurch zum Ruhme des städtischen Gesundheitswesens beitrug.

Holger Vormüller fragte mich etwas umständlich, ob ich in der Lage und willens sei, ihn - was der Chef genehmigt habe - zu einer Tagung in die frühere Bezirksstadt zu begleiten, die zur Landeshauptstadt aufgestiegen war. Ich ahnte, dass ich als Versuchskaninchen auftreten sollte. Ich wiegte mein Haupt und kritzelte auf einen Zettel: "Bedenkzeit!"

Freundlich lächelnd und in unangemessen väterlichem Tone Wohlbefinden wünschend, trat der junge Arzt ab.

Mein Kopf beschäftigte sich nicht mit seiner Frage, sondern mit seinem Bilde. Ich zog ihn aus, legte ihn auf mein Bett im Schlafzimmer und ließ ihn dort liegen, wo ich - nur noch mit einem Hauch am Lebend hängend - gelegen hatte, als mich Karin fand.

Wieder einmal bemerkte ich, wie es mich überkam, ohne dass ich der geringsten Nachhilfe bedurfte.

Ich wollte mir keine Gedanken darüber machen, welches Chaos im Hormonhaushalt einer Frau herrschen muss, die die Wechseljahre im schwarzen Loch verbracht hatte, sondern genoss meine neuen Möglichkeiten ausgiebig, bis eine Schwester ins Zimmer trat. Weil sie nicht angeklopft hatte, durfte sie über mein verzücktes Lächeln staunen, falls sie wollte.

Wie ein Engel auf Erden

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