Читать книгу Wie ein Engel auf Erden - Hannelore Kleinschmid - Страница 9
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ОглавлениеAn einem Abend, an dem die Sonne blutrot unterging, redete Karin hastig, wie sie gekommen war. Ohne Punkt und Komma sagt man dazu. Ich betrachtete die Sonne und malte mir aus, wie befriedigend es sein müsse, wenn man malen und das grandiose Schauspiel im Bild festhalten könnte. Plötzlich erschrak ich. Was war das? Was hatte Karin gerade gesagt? Die Worte waren durch mich hindurchgerauscht, aber ein einziges hatte getroffen. Vorsichtshalber achtete ich von nun an, auf Karins Worte.
"Weißtdueigentlichwielangedujetztschonaufgewachtbist?" Sie hatte eine Frage gestellt, auf die sie keine Antwort erwartete. Es gelang mir nicht, Wörter aus dem Buchstabensalat zu filtern. Ich zog die Stirn in Falten. Zufällig sah Karin mich an. Daraufhin schüttelte ich ganz sacht den Kopf. Kein richtiges Nein sollte das sein, sondern ein bisschen Zweifel. "Washastdu?" fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern. Sie hatte eine Erleuchtung: "Ich rede zu schnell, oder? Fritz beschwert sich dauernd darüber." Ich nickte und war wieder einmal erstaunt, wie gut der Mensch ohne Worte auskommt.
"Also" sagte meine beste Freundin, "also," wiederholte sie langsam, "seitdem du aufgewacht und Rekonvaleszentin bist, machst du tolle Fortschritte. Das hat der Oberarzt vorhin zu mir gesagt. Ich bin ihm auf dem Flur begegnet. Sie denken daran, dich zu entlassen."
Wahrscheinlich wurde ich blass, denn Karin fuhr fort: "Das ist ein Riesenerfolg für dich. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Wie du weißt, kann ich alles organisieren. Ich bin doch jetzt Amtsleiterin im Sozialamt und kenne mich aus."
Von der Amtsleiterin wusste ich nichts. Ich hatte es nicht wissen wollen, weil es mich nicht interessierte. Jetzt stieg wie eine Flutwelle Panik in mir auf. Nach Hause! Nach Hause? Was sollte ich in den überfüllten zwei Zimmern! Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich mich mit Alltagsdingen beschäftigte wie Einkaufen, Saubermachen und abends Fernsehen.
In Pfaffenroda gefiel es mir. Ich war für nichts verantwortlich und bekam mehr Beachtung als je zuvor im Leben. Ein Ende dieser Geborgenheit hatte ich nicht in Betracht gezogen. So einfach war das!
"Regdichnichtauf!" steigerte Karin für meinen plötzlich vollgestopften Kopf das Redetempo zu sehr. Ich ließ sie reden, bis ich nach Minuten das Wort Physiotherapie aufschnappte und festhielt. Jemand würde mir helfen und sich kümmern. Ob ich mir dafür einen Mann aussuchen könnte?
"Du-wirkst-abwesend." sagte Karin mit deutlichen Pausen zwischen den Worten. "Hast-du-alles-verstanden?" Ich zog es vor, den Kopf zu schütteln. Nun lieferte sie eine leicht verständliche Kurzfassung: "Du darfst damit rechnen, bald hier entlassen zu werden. Wahrscheinlich wirst du aber noch längere Zeit Behandlungen erhalten. Von einem Physiotherapeuten, vielleicht auch von einem Psychologen. Je nachdem, was du brauchst. Dir wird weiterhin geholfen. In der neuen Zeit.“
Mit kläglichem Lächeln nickte ich.
Zum ersten Mal seit langem siegten beim Einschlafen trübe Gedanken. Es gelang mir nicht, in einen lustvollen Traum hinüberzugleiten.