Читать книгу Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln - Arved Fuchs, Hannes Lindemann - Страница 114
Spökenkieker unter Palmen
ОглавлениеMich interessierten Jossets merkwürdige Anschauungen aus dem Bereich des Mystizismus, und um das Gespräch in diese Richtung zu lenken, erzählte ich ihr ein eigenes Erlebnis parapsychologischer Art.
„Dies ist eine Insel, auf der vieles passiert, das sich nicht mit dem Verstand erklären läßt“, sagte Josset. „Geister gehen hier umher und treiben ihr Unwesen. Manchmal brennt nachts auf den Hügeln ein Licht, und wenn ich dann den Berg hinaufklettere, ist kein Licht mehr da. Manchmal finde ich morgens abgeschlagene Bäume vor. Ich frage Sie: wer hat Interesse daran, hier mit dem Haumesser Bäume zu fällen!?“
Niña und ich schauten uns fragend an, wir wußten es nicht.
„Nur die Seelen der Toten; sie wollen nicht vergessen sein. Die Insel wimmelt von Toten; unter jeder Krume Erde liegen Gebeine –, von den Indianern, die ihre Toten von St. Lucia hierherbrachten, von den Briten, die hier eine Garnison errichteten und deren Soldaten wie die Fliegen an Malaria, Dysenterie, Gelbfieber und anderen Krankheiten starben.“
Josset war ganz in ihrem Element, eine Geistergeschichte folgte der andern. Ich hörte gespannt zu, Niña jedoch zog die Brauen hoch. Später lachte sie mich aus: „Typisch Mann! Du hast nicht einmal gemerkt, daß sie uns Theater vorspielte – sie ist eine gute Schauspielerin.“
Am Nachmittag tollten wir auf der Insel umher. Während Niña auf Rodneys Fort ein Sonnenbad nahm, kletterte ich in einsame Buchten, um nach dem Schatz zu suchen, den französische Seeräuber – wie Josset uns anvertraut hatte – hier deponiert haben sollen …
Nach dem Abendessen bei Josset wollte Niña gern in einem der verwunschenen Häuser schlafen. Warum auch nicht? Ich mußte jedoch auf mein Boot zurück, weil der Ankergrund bei starken Winden nicht sicher genug war. Als ich Niña am nächsten Morgen in ihrem Wunschhaus mit dem Palmendach abholen wollte, fand ich sie noch schlafend im Bett. Sie sah erschöpft aus, und ihre Finger umklammerten krampfhaft eine Parfümflasche. Plötzlich flog eine Taube gegen die Tür, und Niña fuhr hoch, als wollte ihr jemand an die Kehle.
„Gottseidank – du bist’s!“ rief sie, als sie mich sah. „Ich habe eine furchtbare Nacht gehabt! Stell’ dir vor, kaum war ich ins Bett gegangen, da rüttelte es an den Türen, polterte es gegen die Fensterläden und plumpste es aufs Dach, daß mir angst und bange wurde. Ich rief nach Josset, aber sie antwortete nicht. Dann habe ich dir mit der Lampe Blinkzeichen gegeben, aber du hast wohl schon geschlafen, und ich hätte den Weg zu dir durch den Dschungel nicht mehr gefunden. Der Spuk ging immer weiter; der Wind heulte, das Meer donnerte zu Füßen dieser verflixten Hütte, und schließlich sprang mit lautem Knarren die Tür am Kopfende des Bettes auf. Da hatte ich endgültig genug. Ich wanderte ruhelos durch das Haus. Der einzige Raum, den man abschließen konnte, war der Duschraum. Dort habe ich mich schließlich auf den Boden gelegt und den Riegel vorgeschoben. Erst als es dämmerte, bin ich wieder ins Bett zurückgeschlichen. Mein Gott, kann eine Nacht lang sein! Da, schau mal hier ins Bett: da wimmelt und krabbelt es nur so von winzigen roten Insekten. Und auch das Bettzeug riecht noch muffiger als bei uns an Bord. Scheußlich, sag’ ich dir!“
Arme, kleine Niña, die sonst so tapfer ist! Und skeptisch. Und nicht an Geister glaubt …
Josset verabschiedete uns: „Sie sahen das Beste und das Schlechteste von Pigeon Island“. Mit dem Schlechtesten meinte sie aber nicht etwa Niñas Erlebnisse, sondern die vielen Touristen, die am Sonntag von Martinique und von Port Cast ries in Yachten angesegelt kamen.
Am Nachmittag segelten wir weiter, den Schatz hatte ich nicht entdecken können, und das war gut so, sonst hätte Pigeon Island doch eine seiner vielen Attraktionen verloren.