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Auf den Jungferninseln

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Die Bugwelle wie einen weißen Knochen im Maul, jagte die LIBERIA IV bei steifem Passat nach Westen, nach St. Croix, der südlichsten amerikanischen Jungferninsel, auf der ich 1955 nach 65 tägiger Einbaumfahrt zum ersten Male an Land gegangen war. Nichts hatte sich seither hier verändert. Wir trafen den alten Hafenkapitän wieder, die Zollbeamten und meine Bekannten, als wir am frühen Morgen des nächsten Tages in den blauen, glasklaren Wassern der Lagune ankerten.

Auf unserem ersten Postgang stießen wir auf das Ehepaar Lawaetz, Westinder dänischer Abstammung, bei denen ich früher gewohnt hatte und die mich schon in Deutschland besucht hatten. Mit einem anderen alten Bekannten, Fritz Henle, dem berühmten Fotografen, plauderten wir später in dem eleganten Hotel „St. Croix-by-the-Sea“, das den Lawaetzens gehört. Als eine Kellnerin einem kranken Gast Essen aufs Zimmer bringen wollte, hielt Frau Lawaetz sie an, schaute aufs Tablett und legte noch ein paar Blumen hinzu: „Es ist kein Spaß, krank zu sein“. Wir freuten uns, daß in diesem Hotel Gäste noch als Individuen und nicht als Nummern behandelt wurden.

Noch ist auf St. Croix der Fremdenverkehr nicht zur Industrie geworden, aber überall schießen neue Hotels aus dem Boden, und die Grundstückspreise schnellen in die Höhe, so daß die friedliche Insel bald einen hektischen Charakter erhalten und mit ihrem internationalen Nachbarn im Norden, St. Thomas, wetteifern dürfte.

Als wir von einem unserer Ausflüge auf St. Croix zu unserer LIBERIA zurückkamen, saß auf der Reling ein brauner Pelikan. Er war so tief in Gedanken versunken, daß er erst verstört aufflog, als wir unmittelbar neben ihm waren. Im Flug glich er einer Witzblattfigur: vorne nichts, in der Mitte ein plumper Körper, auf dem der Hals mit einem langen Schnabel ruht, und achtern auch nichts, es sei denn ein Stummelschwanz.

Überall in den Kariben haben wir Pelikane gesehen. Manchmal gehen sie gemeinsam auf Jagd, indem sie in „Schlachtordnung“ Schulen von Fischen ins seichte Wasser treiben und dann plötzlich mit ihrem gewaltigen Kehlsack, der als Kescher dient, zufassen. Da sie in ihrem Fangsack bis zu 15 Liter Wasser halten können, wird sich wohl so mancher Fisch hineinverirren.

Wir haben sie indes nur aus der Luft jagen sehen. Sie flogen flach über dem Wasser und ließen sich, sobald sie einen fetten Brocken entdeckt hatten, mit geöffnetem Schnabel auf das ahnungslose Opfer fallen. Es gab einen Aufprall, als hätte ein Turmspringer einen Bauchklatscher gemacht, das Wasser spritzte nach allen Seiten, und dann sah man den Schwanz des Vogels wieder aus dem Wasser kommen, gefolgt vom Kopf.

Im Vergleich zum gewandten Tölpel, der die Kunst des Stoßtauchens beherrscht, ist der Pelikan ein tolpatschiger Anfänger. Seine Jungen sind noch häßlicher als die Alten, und sie schreien in ihrer Jugend so viel, daß sie im Alter noch die Ohren voll haben und meist schweigen.

Wieder rüsteten wir zur Weiterfahrt. Ganz entgegen unserer bisherigen Gewohnheit segelten wir dieses Mal bei Tage los und kamen am Abend in dem mir so vertrauten Charlotte Amalie an, dem Hafen von St. Thomas. Kaum war der Anker in die Tiefe gesunken, als auch schon Bekannte an Bord gestiegen kamen.

St. Thomas hat sich in den letzten Jahren immer mehr auf den Fremdenverkehr eingestellt, neue Piers sind errichtet, unzählige Häuser und Hotels aus dem Boden gestampft und sogar neue Straßen angelegt worden. Im Yachtclub wimmelt es von schnittigen Yachten, die den Touristen zur Verfügung stehen.

Deutsche luden uns zu einer Inselrundfahrt ein. Unser erstes Ziel war French-Town im Westen der Bucht. Hier hatten sich vor Jahrhunderten bretonische Fischer von der Insel St. Barts angesiedelt und eine kleine Ortschaft um eine Kirche herum errichtet; sie nannten ihre Siedlung schlicht Carénage, weil sie hier ihre Boote bauten und kielholten. Die Englisch sprechenden Eingeborenen verstanden jedoch nicht, was die braungebrannten Fischer redeten und nannten diesen Ort deswegen „Cha-Cha-Town“, ähnlich ihrem „Cha-Cha-Baum“, der Samenkapseln trägt, die im Winde das lautmalerische Cha-Cha erzeugen.

Auch diese Nachkommen der Bretonen haben sich wie die auf Les Saintes erstaunlich reinrassig gehalten, obwohl ihre Haut manchmal von der Sonne so braun gegerbt ist, daß man Mulatten in ihnen vermuten könnte. Die Alten unter ihnen sprechen noch heute kein Englisch, die Frauen flechten seit altersher Hüte, Körbe und Reusen, während die Jugend heute überall in den Geschäften der Stadt arbeitet und den bunten Kistenhäusern ihrer Eltern einen moderneren Anstrich geben möchte.

Auf der Nordseite der Insel suchten wir nach seltenen Muscheln und badeten in einer geschützten Bucht. Zum erstenmal hatte Niña Zeit und Lust, sich mit dem Unterwasserleben zu beschäftigen, und wenn sie auch nur mit Maske und Schnorchel an kleinen Riffs ihre Tauchversuche unternahm, so war sie doch voller Begeisterung, wie alle, die jemals in den Tropen den Kopf unter Wasser gesteckt haben.

Über das „Mountain-Top-Hotel“ fuhren wir in die herrliche Magens Bay, suchten nach Scherben aus der Zeit der Kariben, schlenderten durch Mangrovenwälder, in denen riesige Landkrabben Vertiefungen in der Größe von Kaninchenlöchern ausgebuddelt hatten und gingen in den Botanischen Garten, in dem afrikanische Affenbrotbäume neben indischen Feigenbäumen standen. – St. Thomas ist ein Paradies für den reichen Touristen. Es bietet ein ideales Klima, tief eingeschnittene, von Palmen umsäumte Buchten, mondäne wie entlegene Strandplätze mit weißem Korallensand und türkisfarbenem Wasser; und von nahezu allen Hotels genießt man eine majestätische Aussicht auf die Nachbarinseln und das Meer. Wer sich die Inselwelt genauer ansehen will, mietet sich eine der vielen Hochseeyachten, die an der neuen Pier des Yachtclubs von St. Thomas in unübersehbarer Zahl darauf warten, die Besucher der Insel an jeden erwünschten Punkt der Antillen oder sogar der Welt zu bringen.

1 Altes Längenmaß der Seeschiffahrt: der zehnte Teil einer Seemeile, also 185,2 m.

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