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Die letzten Indianer

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In der Nacht segelten wir an Martinique vorbei, das einer der großen Knotenpunkte des Karibischen Touristenverkehrs ist. Doch Niña kannte es schon. Wir hatten uns als nächstes Ziel das urwüchsige, regenreiche Dominica ausgesucht; nachmittags liefen wir am Nordwestende dieser Insel in die riesige Prinz Rupert-Bay ein und warfen vor dem halb verfallenen Dorf Portsmouth Anker.

Als wir uns der Mole näherten, rief eine Schar von Kindern, schon bevor wir aussteigen konnten, mit ausgestreckter Hand nach „Pennies“. Das erstaunte uns, weil Dominica die fruchtbarste der Westindischen Inseln ist und dazu noch, im Gegensatz zu den anderen Inseln, unterbevölkert. Alles wächst in Dominica, ob man düngt oder nicht, ob man den Boden pflegt oder sich selbst überläßt – man braucht nur wenig zu arbeiten, um ernten zu können.

Portsmouth ist ein sauberer Ort, dessen Häuser jedoch an Skorbut zu leiden scheinen, denn überall fehlen Ziegel, Bretter oder Fensterscheiben. Wir waren nach Portsmouth gekommen, um von hier aus zu dem berühmten Indianerreservat zu gelangen, das auf der Ostseite der Insel liegt und nur sehr mühselig zu erreichen ist. Nach langem Suchen fanden wir schließlich den Sohn des Drogisten, der gegen hohe Entlohnung bereit war, uns bis in die Nähe eines neu erbauten Flugplatzes zu fahren, von wo aus wir laufen wollten. Unser Führer war ein Schwarzer, dessen Wurzeln nach Afrika wiesen. In der Neuen Welt leben rund 50 Millionen Menschen afrikanischer Abstammung.

Wissenschaftler haben auf den Antillen die verschiedensten afrikanischen Kulturkreise abgrenzen können: Einflüsse der Fanti-Aschanti-Kultur aus der Goldküste, dem heutigen Ghana, lassen sich auf den ehemals britischen Antillen nachweisen; auf den französischen Inseln dominieren Kultureinflüsse aus Dahome, und auf den spanischsprechenden findet man vorwiegend Sitten und Gebräuche, deren Ursprungsland Nigeria ist.

Ohne die Sklavenimporte nach der Neuen Welt wäre der wirtschaftliche Aufschwung in Amerika nicht denkbar gewesen; das Wohlergehen ganzer Länder basierte auf der billigen Arbeitskraft der Afrikaner, Industriezweige blühten auf, die neue Naturprodukte verarbeiteten: Zuckerrohr und Baumwolle, in kleinem Maße auch Tabak und Indigo.

Bereits ein Menschenalter nach der Entdeckung Amerikas waren die Indianer auf einigen Karibischen Inseln nahezu ausgestorben, geflohen oder gefangen und in die Bergwerke und Plantagen der Spanier abtransportiert. Da wollte der spanische Bischof Las Casas der zum Aussterben verurteilten Rasse helfen und empfahl, Afrikaner zur Arbeit heranzuziehen. Er hat diese gutgemeinte Empfehlung später bitter bereut.

In unserer heutigen Zeit kann man den Sklavenhandel mit seinen schändlichen Auswüchsen nicht mehr so recht verstehen, zieht man nicht in Betracht, daß in Europa noch Feudalsysteme herrschten und die meisten Menschen der ländlichen Bevölkerung Leibeigene waren, als sich die Portugiesen dem afrikanischen Sklavenhandel zu verschreiben begannen. Später stiegen die Spanier und vor allem die Briten ganz groß in das Sklavengeschäft ein.

Nicht sehr bekannt ist auch, daß es im 17. Jahrhundert oft mehr Todesfälle auf den Auswanderschiffen als auf den Sklavenschiffen gab. Die Kapitäne der einen Schiffe erhielten für jeden heil herübergebrachten Afrikaner ein Handgeld, die der anderen sparten das Verpflegungsgeld der an Bord gestorbenen Emigranten! Was haben die königlich privilegierten Pfeffersäcke aus England, aber auch aus Neuengland, nicht für Geld mit dem schwarzen Elfenbein verdient! Erst als sich damit keine rechten Geschäfte mehr machen ließen, schafften sie den Sklavenhandel ab – und ernteten sogar noch Applaus dafür, weil die Spanier und Portugiesen in kleinem Rahmen weitermachten.

Die letzten Ureinwohner der Antillen-Inseln, die Kariben-Indianer, deren Nachkommen wir nun aufsuchen wollten, hatten sich auf einigen der Inseln verzweifelt gegen die europäischen Eindringlinge gewehrt. Wer von ihnen nicht im Kampfe fiel oder Selbstmord beging, erlag meist den Krankheiten, die von der Alten Welt in die Neue eingeschleppt wurden. Tuberkulose, Pocken und Malaria forderten viel mehr Opfer als die Feindseligkeiten. Heute findet man nur noch selten auf den Karibischen Inseln ein Gesicht, in dem sich indianische Züge entdecken lassen. Auf Dominica jedoch gibt es ein Reservat, ein „Naturschutzgebiet“ für Indianer.

Da wir erst am späten Morgen eine Transportmöglichkeit gefunden hatten, mußten wir uns beeilen, wollten wir noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein. Auf einem primitiven Weg ging es bergauf und bergab, bald durch Morast, bald über vulkanisches Gestein, mal unter Mangobäumen hindurch, dann wieder in der grellen Mittagssonne. Wir dampften, die Hemden klebten an der Haut. Fragten wir in einer Hütte, ob das Dorf der Kariben nicht endlich bald käme, hieß es stets: „Hinter dem nächsten Berg!“

Dann stießen wir auf eine Gruppe von Indianern, die aus einem Gummibaum einen Einbaum geschlagen hatten und ihn nun durch Aufsetzen einer Planke zu einer echten indianischen Piroge umbauen wollten. Gedichtet wurde mit Asphalt, die Breite des Bootes etwas erweitert, indem man Wasser hineinschüttete und die Bordwände mit Hilfe von Querstäben dehnte.

Keiner dieser Indianer war reinblütig, alle hatten sie einen Schuß afrikanischen Blutes in ihren Adern. In ihrer Nähe wuschen und badeten Frauen und Kinder, die vorwiegend indianisch aussahen, aber trotzdem von fremden Blutbeimengungen nicht frei waren. Erst als wir in dem Dorf Salybia auf den neugewählten König stießen, hatten wir einen reinrassigen Indianer vor uns.

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