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Auf Bäumen wachsen Vögel

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An der Flasche, die wir aus dem Meer zogen, klebten vier kleine, zarte Entenmuscheln, die bestgehaßten blinden Passagiere der Segler. Im Jugendstadium heften sie sich an Treibholz und Schiffe, zuweilen auch an Schildkröten, Wale und sogar Fische, um sich auf diese Weise eine kostenlose Passage in alle Winkel der Weltmeere zu sichern. Manchmal wachsen sie zu richtigen „Wäldern“ heran, zu Wäldern, die auf dem Kopf stehen und ihre gefiederten Füße wie belaubte Zweige in die Tiefen des Meeres strecken.

Auch unter meinem Einbaum und unter dem Faltboot hatten sich diese unerwünschten Mieter eingemietet und die Geschwindigkeit der Boote herabgesetzt. Zum Ausgleich jedoch bildeten sie im Verein mit anderem pflanzlichen und zoologischen Getier einen kleinen privaten Unterwassergarten, der mir meinen knappen Lebensmittelvorrat strecken half. Hatte ich Appetit auf Entenmuscheln, „pflückte“ ich sie mir aus diesem Garten und verzehrte sie roh, die jüngeren Tiere sogar mitsamt der dünnen Kalkschaie, die sich leicht zerkauen läßt.

In einigen Gegenden der Welt ißt man Entenmuscheln mit Genuß, und das nicht nur in mageren, sondern auch in guten Zeiten. In Südchile, zum Beispiel, wird eine Riesenart dieser Muscheln zu einer Suppe verwendet, deren Wohlgeschmack dem der französischen Bouillabaisse nicht nachsteht.

Die Entenmuscheln durchlaufen eine Reihe eigenartiger Entwicklungsstadien. Daher hat es sehr lange gedauert, bis sie von der Wissenschaft klassifiziert werden konnten. Im Mittelalter glaubten die Gelehrten, sie wären Baumfrüchte, die sich zu Vögeln entwickelten, gelegentlich tot zur Erde fielen und gegessen werden könnten. Dann wieder vertrat man die Meinung, diese seltsamen Lebewesen entstünden aus Fichtenholz, das vom Meer auf den Strand getrieben wird; sie wären echte, kleine Sumpfgänse, suchten ihre Nahrung jedoch aus dem Holz.

Das klingt absurd, doch warum sollte man nicht an diese Baumgänse glauben, wo man doch sogar davon überzeugt war, daß sich Vögel in Frösche verwandeln können?

Entenmuscheln sehen in den einzelnen Stadien ihrer Entwicklung sehr verschieden aus. Zuweilen könnte man sie für Muschelkrebse halten, dann wieder für Schnecken. Als Larven haben sie das Aussehen von Garnelen; in diesem Stadium suchen sie sich ein „Grundstück“ und kleben darauf ihr Fundament. Sie besitzen zu diesem Zweck in ihren Fühlern besondere Drüsen, die einen Zement absondern, mit denen sie sich kopf-zsuerst an die gewünschte Baufläche – beispielsweise eine Schiffswand – anmauern. Versucht man sie später von der Schiffs wand abzureißen, löst man zugleich die Farbe mit ab, an der sie sich festgeschweißt haben. Im Magen von Hornfischen, den speziellen Feinden der Entenmuscheln, fand ich so viele giftige Farbreste, daß ich mich fragte, wie die Fische noch am Leben sein konnten.

Doch zurück zu den Larven. Haben sie sich an dem gewünschten Bauplatz festgemauert, bauen sie sich ein Haus in Form zweier kalkhaltiger Schalen, in das sie sich bei Gefahr zurückziehen können. Ihr Hals beginnt nun in die Länge zu wachsen, ihre Augen bilden sich zurück, und ihre Füße werden zu gefiederten Fächern, mit deren Hilfe sie sich Wasser herbeifächeln, aus dem sie sich ihre Nahrung holen. Mit der Freiheit und Ungebundenheit ist es dann für immer vorbei; aus dem frei umherschwirrenden Planktontier ist ein seßhaftes Schalentier geworden, aus dem Meernomaden ein festgemauerter kopfstehender Rankenfüßler.

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