Читать книгу Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln - Arved Fuchs, Hannes Lindemann - Страница 45
Ein Tümmler klagt mich an
ОглавлениеBald beruhigte sich die See wieder, wie sie es immer zu tun pflegt nach einer Reihe von Sturmtagen. Ich geriet in eine große Schule von Delphinen, die mich längere Zeit durch ihr munteres Spiel erfreuten. Ich wollte schon immer einmal einen Delphin erlegen, um seinen Magen zu untersuchen, die Organe, vor allem das windungsreiche Großhirn, zu betrachten und etwas Fleisch zu gewinnen. Zu diesem Zweck hatte ich mir in Las Palmas einen Dreizack schmieden lassen, obwohl die Niña mich in jedem zweiten Brief flehentlich gebeten hatte, dieses Mordinstrument ja nicht an Tieren zu versuchen, die „länger als ein halber Meter seien“.
Die Delphine tummelten sich längsseits, ich nahm Maß, und schon flog die Harpune durch die Luft. Vielleicht schwamm das Tier, nachdem ich gezielt hatte, zu tief im Wasser, vielleicht hatte ich schlecht gezielt, jedenfalls glitt die Harpune aus, und mein Studienobjekt entwischte. Ich holte meinen Dreizack ein; einer seiner Zinken war verbogen.
Dann geschah etwas ganz Außergewöhnliches: der Delphin tauchte mit blutender rechter Brustflosse noch einmal neben dem Boot aus dem Wasser auf, viel höher als gewöhnlich, und drehte seinen Kopf nach mir, als wolle er sehen, wer der Schandkerl war, der ihn da so rücksichtslos angekratzt hatte. Der Blick des Tieres ging mir durch Mark und Bein; noch bevor der Delphin wieder ins Wasser schoß, hatte ich ihn schon um Verzeihung gebeten. Und wenn ich sage, daß ich vor Schuldbewußtsein einen roten Kopf kriegte, so ist das nicht übertrieben.
Die unglaublich klingenden Geschichten von Schweinsfischen, wie die Delphine und ihre Brüder, die Tümmler, bereits von den Römern genannt wurden, sind so alt wie die Tierfabeln überhaupt. Doch erst seitdem man die Möglichkeit hat, das Leben der Tiere hinter den Glaswänden der Seeaquarien in Florida und Kalifornien genauer zu studieren, ist man geneigt, in den Geschichten einen wahren Kern zu vermuten.
Aus Nordflorida stammt die Geschichte von dem Neger, der jedesmal, wenn er zum Fischen hinausfuhr, schon nach verblüffend kurzer Zeit mit gefüllten Netzen wieder zurückkam. Jemand fragte ihn erstaunt, wie er das anstelle. Das verdanke er alles einem Tümmler, war die mysteriöse Antwort. Der Fragende glaubte, der Fischer wolle ihn zum besten halten und lachte: „Können Sie mich Ihrem Tümmlerfreund nicht einmal vorstellen?“ „O.K. – kommen Sie morgen früh mit!“
Dies stellte sich heraus: sobald der Fischer zu einer bestimmten Zeit in seinem Fangrevier erschien, tauchte tatsächlich ein Tümmler auf und trieb, wie ein Schäferhund die Schafe, die Fische der Umgebung ins Netz.
Erinnert das nicht an die Fabel, in der die Delphine des Altertums die Meerbarben auf diese Weise in die Netze der Fischer jagten und dadurch belohnt wurden, daß man ihnen zum Dank ein Stück in Wein getränktes Brot schenkte?