Читать книгу Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln - Arved Fuchs, Hannes Lindemann - Страница 48
Omar und die Afrikaner
ОглавлениеNach gut vier Tagen meist heftiger achterlicher Winde traf ich spät in der Nacht vor dem Kap Verde ein und wartete bis zum Morgengrauen mit der Einfahrt in den Hafen von Dakar.
Jeden Tag hatte ich rund 100 Seemeilen geschafft, vier Tage war ich bei achterlichen Winden gerollt, als ob ich auf einem Baumstamm und nicht auf einer Yacht segelte. Aber ich war zufrieden wie einer, dem das Leben erneut geschenkt wurde; ich hatte meinen Hafen erreicht, und das löste etwas von der Genugtuung aus, die nur der kennt, der je zur See gefahren ist.
Der moderne Hafen von Dakar ist so weiträumig, daß es geraume Zeit dauerte, bis ich einen günstigen Ankerplatz gefunden hatte. Im allgemeinen ziehen Seeleute die ehemals französischen Häfen den britischen vor, und das nicht etwa des Weines und der Frauen wegen: die Erledigung der nötigen Formalitäten wird von den Eingeborenen früherer französischer Gebiete großzügiger gehandhabt; die Hafenanlagen sind oft moderner.
Man kann einem gebildeten Afrikaner – südlich der Sahara nennt man die Schwarzen und Farbigen „Afrikaner“ – auf den ersten Blick ansehen, ob er unter englischer, französischer, spanischer oder portugiesischer Herrschaft aufgewachsen ist.
Afrikaner sind genauso intelligent wie Europäer, allein ihr Bildungsniveau ist meist erschreckend niedrig. Nachdem ich drei Jahre lang als Arzt Afrikaner behandelt habe, glaube ich nicht daran, daß sie bestimmte rassisch gebundene Talente besitzen oder nicht besitzen, also etwa musikalischer sind als wir oder technisch weniger begabt. Unterschiede dieser Art – und das gilt meiner Meinung nach für alle Völker und Rassen – lassen sich meist durch Umwelteinflüsse und Erziehung erklären. Daß gesunde Afrikaner nicht faul sind, hat sich inzwischen auch bei uns herumgesprochen. Daß ihre Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit häufig zu wünschen übrig lassen, erklärt sich daraus, daß diese Begriffe für sie neu sind und sie sich erst langsam mit ihnen vertraut machen müssen.
Beim Anlegen an der Mole half mir ein junger Afrikaner die Leinen belegen2. Dann ließ er sich häuslich an Bord nieder und zeigte mit dem Finger auf das Deck: „Ich hier, ich Ihnen helfen.“
“Aber Monsieur, ich brauche Sie nicht!“
„Dann ich bleibe, bis Sie mich brauchen!“
Tatsächlich blieb Omar mehrere Wochen lang an Bord sitzen und behütete mein Boot und meinen Schlaf. Er war aus dem Innern des Senegal in die große Stadt Dakar gewandert, um einen Job zu finden. Da er jedoch keine Arbeitsgenehmigung erhielt, war er auf Schwarzarbeit im Hafen angewiesen.
„Warum arbeiten Sie denn nicht für Ihre afrikanischen Brüder?“ fragte ich ihn eines Tages. Er erklärte mir, daß seine Landsleute ihn stets betrogen und seine Arbeit nicht bezahlt hätten; auch meinte er, daß die Franzosen, wären sie noch am Ruder, ihn gewiß legal in Dakar hätten arbeiten lassen.
Als eine örtliche Zeitung später ein Foto brachte, das Omar und mich auf der LIBERIA zeigte, war er so stolz, daß er das Bild tagelang immer wieder betrachtete und es allen Passanten unter die Nase hielt. Da er nicht lesen konnte, mußte ich ihm immer wieder die Bildunterschrift vorlesen, in der sein Name erwähnt war.
Kaum waren die Formalitäten im Hafen erledigt, als man mir auch schon von allen Seiten Hilfe anbot. Im Gegensatz zu der sonstigen Schwerfälligkeit deutscher Amtsstellen im Ausland stand es auch, daß der diensttuende junge deutsche Konsul sofort an Bord kam, sich erkundigte, ob er mir behilflich sein könnte und mich zu einem Trip in den Busch einlud. Die Hochschule, die Marine und die Segelclubs baten mich, Vorträge zu halten. Kurz, es regnete von allen Seiten Einladungen.
Dakar ist eine afrikanische Weltstadt, Knotenpunkt vieler Schiffahrts- und Fluglinien, und Dakar ist die reiche Hauptstadt des armen Senegal, das sich kümmerlich von Erdnüssen und Palmkernen ernährt, indem es sie ins Ausland verkauft.
Dakar ist gut 100 Jahre alt und hat die beiden älteren Kolonien Goree und St. Louis weit überflügelt, vor allem, weil es auf Grund seiner strategisch günstigen Lage am Atlantik zum Flotten- und Luftstützpunkt ausgebaut worden ist. Es liegt näher bei New York als Paris. Und nach Südamerika ist es nur ein Katzensprung, nicht weiter als nach Nigeria!
Als die Portugiesen das westlichste Kap Afrikas, auf dem heute Dakar steht, umsegelten, nannten sie es Kap Verde, das grüne Kap, weil seine Hügel im Gegensatz zur nördlichen Küstenlandschaft in schönstem Grün prangten. Südlich von Dakar weicht tatsächlich die Savannenlandschaft immer mehr dem Regenwaldgebiet.
Dakar, eine Großstadt von 500.000 Einwohnern, ist reich an modernsten luftgekühlten Wolkenkratzern. Und an elenden Slums. Prächtig gewachsene Menschen halten im Schatten häßlicher, knorriger Affenbrotbäume Siesta, feilschen um eine rotbraune Kolanuß oder bieten dem Besucher „garantiert“ echte „Kunstwerke altafrikanischer Kulturen“ an.
Mit der Echtheit dieser Kunstwerke ist es nicht so weit her; sie werden auf schmutzigen, sandigen Hinterhöfen von gerissenen maurischen Händlern im Akkord hergestellt. Dennoch – ich konnte es nicht lassen, nach längerem Feilschen ein paar Masken zu einem Viertel des ursprünglich geforderten Preises zu erwerben.
Durch nordafrikanisch anmutende Straßenzüge gelangte ich unvermittelt auf den Eingeborenenmarkt. Eine dichte Wolke von Fliegen und schwerem, widerlichem Kloakengestank schwebte über den offenen und ungeschützten Auslagen von Fleisch, saurer Milch, Palmwein, Klippfischen, Gewürzen, Gemüsen und Früchten. Fette Marktweiber stillten ungeniert ihre Säuglinge, weigerten sich aber, fotografiert zu werden. Stolze muselmanische Frauen schritten gemessen durch die Menge; über dem Rand ihrer Schleier glühten dunkle, scheue Augen. Junge Senegalesinnen in farbenprächtigen, weiten, über einer Schulter gerafften Gewändern, ließen ihre Hüften wippen.
Alle zehn Meter mußte man übelriechenden Abfallhaufen ausweichen – die Straßenkehrer hatten gerade Streik. Keiner schien an dem Kehricht Anstoß zu nehmen, am allerwenigsten die fliegenden Gesundheitspolizisten, die Milane. Sie hockten auf dem Dach der Markthalle und beobachteten mit scharfen, flinken Augen, wo ein Happen für sie abfallen könnte.
Am häufigsten traf ich diese Bussard-großen Schmarotzer in der Nähe von Fischersiedlungen wieder, wo sie sich um die winzigsten Abfälle noch stritten. Kein Mensch ließ sich durch sie aus der Ruhe bringen; jeder weiß, daß sie für die Hygiene wichtig sind und die Aasgeier anderer Länder ersetzen.
Als ich an einem Brunnen vorbeikam, an dem Kinder und Frauen mit Krügen auf dem Kopf Schlange standen, erzählte mir der Franzose, der mich begleitete, daß die Frauen von Dakar nicht die sorgfältig behüteten Haussklavinnen seien, die man in Nordafrika antrifft, sie gingen an die Wahlurnen mit einem Eifer, den man schon als organisiert bezeichnen müsse. Dabei kümmerten sie sich, im Gegensatz zu den Europäerinnen, nicht im geringsten um die Wahlsympathien ihrer Männer, sondern wählten den, der ihnen am geeignetsten erscheine. So habe ein Kandidat ein Plakat drucken lassen, mit dem er sich speziell an die Frauen wandte: „Geben Sie mir Ihre Stimme, und Ihre Männer müssen Wasser schleppen!“
Der Mann sei tatsächlich gewählt worden, jedoch die Frauen schleppten, wie ich sähe, leider noch immer Wasser …