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Zwischen Medizin und Magie

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Der angesehenste Missionar und Arzt Liberias ist zweifellos der Amerikaner Dr. George W. Harley, der zusammen mit seiner Frau seit den zwanziger Jahren im Hinterland, in Ganta, nahe der Grenze zur Republik Guinea, ein großes Hospital unterhält. Dort operiert er, versorgt seine Leprastation und bildet Afrikaner zu Krankenpflegern aus.

Viele seiner Forschungsarbeiten gelten den Stämmen seiner Umgebung. Dr. Harley glaubt, daß die ungeheure Luftfeuchtigkeit sich nicht gerade fördernd auf die Zivilisierung auswirke; er betrachtet auch die Abgeschlossenheit, in der die afrikanischen Stämme bis vor kurzem noch lebten, als einen entscheidenden Grund für die Verzögerung des Fortschritts.

In Liberia gibt es 30 verschiedene Sprachen, selbst Nachbarstämme können sich gegenseitig nicht verstehen und keine Ideen austauschen. Zudem wurden die Stämme bis vor kurzem von Zauberern und Geheimbünden beherrscht, die jeden erbarmungslos entfernten, der neue Auffassungen und Vorstellungen in die Gemeinschaft zu bringen suchte.

Auf den Eingeborenen stürzt heute mit einem Mal eine neue Welt ein, die Welt der Weißen. Innerhalb von wenigen Jahren soll er sich mit dieser Welt auseinandersetzen, soll er verstehen und nachahmen können, was ihm unverständlich ist. Normalerweise sind für einen solchen Entwicklungsprozeß Generationen nötig. Wer will es da dem Schwarzen übelnehmen, wenn er zwischen seinem Animismus und der christlichen Religion, zwischen Zauberer und Arzt unentschlossen und verwirrt hin- und herschwankt.

Wie häufig haben wir Eingeborene in unser Hospital aufgenommen, die von den Medizinmännern halb zu Tode traktiert worden waren, bevor sie in letzter Stunde zu uns europäischen Ärzten kamen. Ich habe noch eine junge Frau in Erinnerung, die mit Hilfe von Hebammen aus dem Hinterland hatte gebären sollen. Eine Hebamme hatte auf der Brust der Armen gesessen und gepreßt, eine andere ihr ins Gesicht geschlagen. Als ihre Angehörigen sie endlich zu uns brachten, waren ihre Kinnladen und Augen geschwollen, ihre Lippen aufgesprungen und blutig, an ihren Handgelenken zeigten sich Hautabschürfungen, als ob sie gefesselt gewesen war.

Gegen diese barbarischen Methoden hatte sich auch schon eine mir bekannte Liberianerin gewandt. Ellen Moore war erst durch besondere Fürsprache eines Bischofs von einer New-Yorker Hebammenausbildungsstätte aufgenommen worden – ihre Schulbildung schien gar zu kümmerlich. Aber nach kurzer Zeit schon war sie die Beste ihrer Klasse und bestand die Abschlußprüfung mit Auszeichnung. Heute arbeitet sie in einem von ihr gegründeten Entbindungsheim in Kakata und versucht, ihren Landsleuten zu helfen.

Ein Erlebnis, das typisch für die Unwissenheit und Hilflosigkeit der Afrikaner in medizinischen Fragen ist, hatte ich an einem Weihnachtsabend im Süden Liberias. Als ich von unserem Club nach dem Hospital fuhr, zeichnete sich plötzlich mitten auf der Straße, die von Pleebo zu unserer Plantage führte, eine dunkle Gruppe von Menschen ab.

Ich stieg aus dem Wagen; die Schatten wichen ehrerbietig zur Seite und gaben eine dunkle Gestalt frei, die sich auf dem Boden wand und leise stöhnte. Bei ihr lag ein Knäuel, das sich nicht rührte. Erst jetzt erkannte ich, daß es sich um eine Sturzgeburt handelte; die Frau war auf dem Wege zu unserem Spital gewesen.

Das Neugeborene fühlte sich schon kalt an. Und keiner der Umstehenden kam auf den Gedanken, ihm und der Frau zu helfen! Untätig, gaffend standen die Afrikaner da. Ich unterband und zerriß die Nabelschnur, gab dem Baby ein paar Klapse und versuchte es mit künstlicher Atmung. Tatsächlich ließen sich nach einer Weile die ersten schwachen Laute vernehmen; unter ständiger Anwendung von künstlicher Atmung brachten wir Mutter und Kind in unser Krankenhaus, wo das Kleine sich nach einigen Minuten Sauerstoffatmung endgültig fürs Leben entschied. Die Mutter wurde schon nach zwei Tagen glückstrahlend entlassen.

Nie wieder habe ich eine Krankengeschichte so gern geschrieben wie an diesem Weihnachtsabend 1954.

Über das Können von Medizinmännern etwas auszusagen, ist nicht leicht, da sie vorwiegend mit Suggestivmethoden arbeiten. Überraschend tüchtig waren im allgemeinen die „Knochenärzte“ (Bone doctors); ich habe nie einen Patienten gesehen, der nach einem Unfall von ihnen behandelt worden war und irgendwelche Deformierungen davongetragen hatte.

Afrikaner sind für ihre Heilung von einer Krankheit ebenso dankbar wie Europäer. Als ich einmal einen Häuptling von seinem Leistenbruch befreite, kam er anschließend zu meinem Bungalow und wollte mir seinen Sohn „schenken“. Es dauerte geraume Zeit, bis ich ihn davon überzeugen konnte, daß mich sein „Geschenk“ zwar außerordentlich ehrte, daß ich es aber nicht annehmen konnte, weil ich unmittelbar vor der Abfahrt nach Europa stand.

Das Verschenken von Kindern war zu meiner Zeit nicht ungewöhnlich; es bedeutete eine Ehre für den Beschenkten, aber auch eine Pflicht: man mußte für die Ausbildung des „Geschenkes“ sorgen.

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